2015-05-19 09:43:00

D: Schleichender Niedergang


„Früher war alles besser“: Aber so wie früher wird’s nicht mehr. Jedenfalls nicht für die Kirche. In der modernen Welt wird sie weiter an Bedeutung verlieren, und das lässt sich nicht aufhalten, urteilt der Religionssoziologe Detlef Pollack. Dass Religion umso unwichtiger wird, je moderner eine Gesellschaft ist, dafür gibt es nach seinen Erkenntnissen einen „Wahrscheinlichkeitszusammenhang“. „Der besagt, dass moderne Gesellschaften sehr vielfältig sind, sehr viele Angebote in Freizeit, Beruf, Familie, etc. bereithalten und dass die Menschen, wenn sie diese Angebote wahrnehmen und daran Interesse zeigen, zunehmend von religiösen Fragen abgezogen werden und von der Beteiligung an religiösen Veranstaltungen. Die Moderne ist eine attraktive Alternative zu vielen religiösen Gemeinschafsformen.“

Den Münsteraner Forscher treibt die Frage um, ob die Religiösität der Mitglieder einer Gesellschaft eher von persönlichen Erlebnissen und Entscheidungen abhängt - oder eher von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Seine Antwort darauf im Gespräch mit dem Domradio: „Sowohl als auch. Menschen sind vor allem getrieben von dem, was sie persönlich erfahren haben, was ihnen wichtig ist, und welche religiösen Erlebnisse sie möglicherweise gehabt haben. Zugleich gibt es auch gewisse gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die diese Erlebnisse und Erfahrungen begünstigen, und die drücken sich durch gewisse Regelmäßigkeiten und Muster aus. Wenn Menschen z.B. höher gebildet sind, neigen sie oft eher dazu, sich kirchlich zu engagieren. Deshalb sind die sozialen Umstände auch mitverantwortlich für religiöse Bindungen.“

Stark gefördert wird das Religiöse laut Pollack, „wenn sich religiöse Identitäten mit nicht religiösen Interessen verbinden“. „Wenn z.B. zunächst säkulare Erziehungsaufgaben in religiöser Verantwortung wahrgenommen werden oder wenn sich bestimmte politische Interessen mit religiösen Identitäten verbinden. Religion ist auch eine Möglichkeit, in der Gesellschaft Anerkennung zu finden. Immer dann, wenn Religion also anknüpft an diese gesellschaftlichen, sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Interessen, dann ist sie auch in der Lage, die Menschen zu bewegen.“ Umgekehrt ist es in der heutigen Gesellschaft ein Problem für die Religion, wenn sie sich isoliert, oder wenn sie isoliert wird. „Für Religionsgemeinschaften ist es in der Moderne schwer, mit den Ansprüchen des einzelnen Individuums auf Selbstbestimmung umzugehen. Die Religionsgemeinschaften wollen die Menschen ja in eine bestimmte Richtung beeinflussen, sie wollen Lehren verkünden, und dass die Menschen an bestimmten Riten teilnehmen. Viele Menschen fühlen sich da eher bevormundet und bestehen auf ihrer Entscheidungsfreiheit. Die Individualisierung also macht es Religionsgemeinschaften schwer.“

In einer Studie, die in diesen Tagen erscheint, kommt Detlef Pollack zu dem Schluss, dass sich der Rückzug des Religiösen in unseren westlichen Gesellschaften schleichend vollzieht. „Schleichend, weil die Moderne die Religion nicht unbedingt komplett in Frage stellt, sondern viele interessante und attraktive Versuchungen bereitstellt, die die Menschen von der Aufmerksamkeit auf religiöse Fragen abziehen. Die Aufmerksamkeitsverschiebung vom Religiösen zum Säkularen hat die Konsequenz, dass sich die Menschen schleichend von der Religion abwenden, auch wenn sie sie gar nicht prinzipiell in Frage stellen.“

Die Kirchen versuchen natürlich, den Trend zu stoppen oder sogar umzukehren – sie tun das, wie Pollack formuliert, „seit Jahrzehnten mit durchaus guten Methoden“, indem sie „dialogischer“ werden, mehr „auf die Menschen zugehen“. „Aber es hat nicht viel gefruchtet. Auch das Bild der Kirche hat sich nicht stark verändert. Die Kirchen sind den oben genannten Prozessen der Individualisierung relativ hilflos ausgeliefert. Das schließt nicht aus, dass sie an bestimmen Stellen doch vieles tun können, z.B. aktuell in der Flüchtlingsfrage. Diakonische und caritative Aufgaben wahrnehmen. In dem Maße, in dem sich Religion als gesellschaftlich relevant anzubieten in der Lage ist, werden auch die Kirchen wahrgenommen und können die Kirchen auch etwas tun.“

Detlef Pollack ist Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an der Uni Münster und erforscht am Lehrstuhl für Religionssoziologie das Verhältnis von Religion und Moderne.

 

(domradio 19.05.2015 sk)








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