2015-05-18 10:55:00

Syrien: Hoffnung war früher


Wer mit Bischof Antoine Audo von Aleppo spricht, der trifft auf einen Mann, der immer mehr verzweifelt. „Das ist jetzt mein fünftes Jahr seit Kriegsbeginn, mein viertes Jahr als Präsident der syrischen Caritas. Ich gebe ununterbrochen Interviews undsoweiter; ehrlich gesagt, ich sehe nicht, dass das irgendetwas bewirkt…“ Aber der Syrer gibt sie dann trotzdem, diese Interviews. Denn so viele andere Möglichkeiten haben die Menschen in Aleppo nicht mehr, auf ihre immer dramatischere Lage aufmerksam zu machen. „Was man machen kann? Das ist keine akademische Frage, sondern eine, auf die endlich eine Antwort gefunden werden muss! Aleppo steht im Moment vor zwei Alternativen: Entweder fällt es an die bewaffneten Gruppen, die immer wieder angreifen und die stärker werden. Ich als (chaldäisch-katholischer) Bischof habe in dieser Hinsicht sehr starke Befürchtungen, dass dann – wie es letzten Sommer in Mossul passiert ist – alle Christen aus der Stadt flüchten werden. Oder aber man findet eine politische Lösung, für Aleppo und natürlich für ganz Syrien. Die Zeichen stehen allerdings eindeutig auf Krieg und nicht auf politische Lösung.“

Der Krieg bedroht immer mehr die Existenz des Christentums in Syrien, so Bischof Audo. Fatale Muster, die man schon aus dem benachbarten Irak kenne, wiederholten sich auch in Syrien. „Die Gewalt nimmt besonders in den christlichen Vierteln zu (in so einem Viertel lebe ich auch). Vor etwa einem Monat, in der Nacht des Karfreitags der orthodoxen Christen, ist das Suleimaniya-Viertel – das komplett christlich ist – bombardiert worden – nachts! Es gab Dutzende von Toten in ihren Betten, ganze Häuser krachten ein. Das war das erste Mal, dass etwas in dieser Größenordnung in unseren christlichen Vierteln passiert ist. Und darum sind sehr viele Christen überstürzt in Richtung Küstenregion geflüchtet. Vor weniger als einem Monat gab es außerdem einen direkten Angriff der bewaffneten Gruppen auf die Altstadt, auf den Farhat-Platz – benannt nach einem bekannten Bischof der Renaissance –, wo drei große Kathedralen stehen, die maronitische, die griechisch-katholische und die armenisch-katholische. Alle drei Kathedralen wurden fast völlig zerstört, die Bischöfe sind geflüchtet. Für uns sind das sehr klare Botschaften, die man uns da gibt: Man will, dass die Christen aus Aleppo abhauen!“

Er glaube, dass die Türkei die islamistischen Rebellen gewähren lasse, ihnen sozusagen ein sicheres Hinterland verschaffe, sagt der Bischof; finanziert würden die Islamisten von Saudi-Arabien, die dadurch die sunnitische Präsenz im länderübergreifenden Ringen mit den Schiiten stärken wollten. Die Christen störten nur in diesem tödlichen Kräftemessen unter islamischen Faktionen. Dass die Türkei jede Unterstützung für Islamisten in Syrien strikt verneine, ficht Bischof Audo nicht an. „Das ist eine Propaganda-Tour! In Wirklichkeit bringen sie diese Gruppen zusammen, trainieren sie – und die Gelder kommen aus Saudi-Arabien und auch aus Katar, das ist doch offensichtlich. Man sollte auf diese Propaganda aus politischen Interessen nicht hereinfallen.“

Früher mal war Aleppo, zweitgrößte Stadt des Landes, eine stolze Metropole. Früher. Mittlerweile ist sie grau, liegt in Trümmern, die Bewohner sind allesamt verarmt und kämpfen um ihr Überleben. „Ursprünglich gab es in Aleppo 150.000 Christen. Davon sind jetzt so um die zwei Drittel gegangen, es bleibt also ein Drittel, vielleicht 50.000 Menschen – ich weiß es nicht genau. Es gibt jedenfalls bei uns keine Kraft mehr zum Dableiben, Durchhalten, Widerstehen. Anfangs waren wir alle – ich auch – doch von einer gewissen Hoffnung erfüllt: Das würde doch irgendwann mal auf eine Lösung und auf Versöhnung hinauslaufen. Aber das ist schon lange vorbei. Ich selbst bin jetzt nicht mehr in einer Haltung der Hoffnung, sondern – sagen wir mal – des Glaubens. Ich versuche mich in meinem christlichen Glauben zu halten, der sehr erschüttert und gestört ist.“

 

(rv 18.05.2015 sk)








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