2015-05-14 13:59:00

Neues EU-Migrationskonzept: Potential zur Wende vorhanden


Groß sind die Erwartungen auf Seiten der Flüchtlinge, Kirchenvertreter und Hilfsorganisationen, nachdem die Europäische Kommission am Mittwoch ein neues Migrationskonzept für Europa vorgestellt hat. Es gibt aber auch verhaltene Töne – der Plan könnte nämlich wieder einmal am mangelnden Konsens unter den Mitgliedsstaaten scheitern.

Dass die neue Flüchtlingsstrategie zu einem echten Kurswechsel führen könnte, hofft das Aufnahmezentrum für Flüchtlinge in Rom, „Centro Astalli“. Der Präsident des vom Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) getragenen Zentrums hofft, dass die erhöhte Aufnahmebereitschaft der EU endlich zu einer Politik der „Gerechtigkeit und Solidarität“ werden könne, die den „Grundprinzipien der Staatengemeinschaft“ entspricht. Als positiv bewertet Pater Camillo Ripamonti, dass nun von einer Verteilung schutzbedürftiger Flüchtlinge auf alle 28 EU-Staaten die Rede ist. Auch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR hatte auf eine solche Regelung gedrängt.

Wie viele Menschen jeweils aufgenommen werden sollen, soll laut dem vorgestellten Migrationskonzept der EU mit einer Quote festgelegt werden. Diese soll u.a. die Wirtschaftskraft, die Bevölkerungsgröße und die Arbeitslosenquote des Gastlandes berücksichtigen. Auch die Zahl der bereits aufgenommenen Flüchtlinge soll in die Rechnung mit einfließen.

Unzufrieden ist Ripamonti mit der Zahl der Flüchtlinge, die in der EU Schutz finden sollen: „20.000 mögliche Aufnahmen pro Jahr für die gesamte Union sind absolut lächerlich angesichts der Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa wollen“, kommentiert der Jesuit in der Presseerklärung vom Mittwochnachmittag: „Ein solcher Plan kann keine gültige Alternative zum Menschenhandel sein.“

Ripamonti bezieht sich hier auf die Ankündigung der EU-Kommission, bis Ende Mai ein Modell für die permanente Umsiedlung von 20.000 bereits von der UNO anerkannten Flüchtlingen nach Europa vorzustellen. Die Kommission reagiert mit diesem „Notfallmechanismus“ auf den aktuell massiven Zustrom von Kriegsflüchtlingen, die ein Recht auf internationalen Schutz haben. Wie die Aufnahme solcher Menschen künftig generell in der EU geregelt sein soll, soll laut EU-Kommission bis Ende des Jahres entschieden sein.

Der Internationale Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) begrüßt insgesamt das neue EU-Konzept, plädiert aber für eine massivere Aufstockung der Flüchtlingskontingente in der EU. „Es sind die Entwicklungsländer, die 80 Prozent der Flüchtlinge der Welt beherbergen, und wir sprechen hier über Plätze für 20.000 Flüchtlinge“, kommentiert James Stapleton, Kommunikationsbeauftragter des Jesuitenflüchtlingsdienstes, im Gespräch mit Radio Vatikan: „Ich denke, die Statements einiger politischer Führer dieser Tage waren nichts anderes als beschämend. Was wir von der politischen Klasse verlangen, ist Mut und Führungskraft, nicht zögerliches Handeln und dann ein Türzuschlagen.“

Weiter fordert der Flüchtlingsdienst eine reale Verbreiterung der legalen Wege nach Europa. Davon sei bislang noch wenig zu sehen, so Stapleton: „Der Fokus liegt immer noch darauf, Leute draußen zu halten und dafür zu sorgen, dass die humanitären Krisen in der Sahara, in einem libyschen Auffanglager oder sonstwo bleiben. Wir müssen etwas tun gegen die Gründe, warum die Leute weggehen! Wir fordern sichere humanitäre Kanäle in die Europäische Union.“

Der Italienische Flüchtlingsrat „Consiglio Italiano per i rifugiati“ (CIR) bezeichnet die geplante Aufnahme von 20.000 Schutzsuchenden in der EU als „Schritt in die richtige Richtung“. Die in Rom ansässige Organisation hält die Zahl zwar auch für zu gering, sieht in der Maßnahme aber eine Stärkung des „legalen und geschützten Zugangs“ für Flüchtlinge zur Europäischen Union. Auch dass die EU den Kampf gegen Schleppernetzwerke verbessern und in Nordafrika und am Horn von Afrika, wo viele der Flüchtlinge herkommen, verstärkt Entwicklungshilfe vorantreiben will, begrüßt der Flüchtlingsrat: „Wenn all das so realisiert wird, wie es da geschrieben steht, könnte die Zahl der Toten auf dem Mittelmeer mittelfristig tatsächlich sinken“, hält Christopher Hein, Direktor des Flüchtlingsrates, fest.

In einen Punkt des EU-Konzeptes sieht die Hilfsorganisation eine eigene Forderung beantwortet: Der Einrichtung einer Kontaktstelle für Flüchtlinge im Niger. Der Italienische Flüchtlingsrat setzt sich schon lange dafür ein, dass bereits in den Herkunftsländern der Flüchtlinge Stellen der EU eingerichtet werden, an die sich Schutzsuchende wenden können, um Asyl zu beantragen. Die Installation solcher legalen Eingänge nach Europa kann laut CIR Flüchtlinge von illegalen und gefährlichen Reisen nach Europa abhalten.

Dass die Mittel für die Grenzschutzmissionen im Mittelmeerraum „Frontex“ und „Poseidon“ in den kommenden Monaten verdreifacht werden und die geografische Reichweite dieser Missionen vergrößert werden soll, könne weitere Menschenleben retten, fährt der CIR-Direktor fort: „Es ist das erste Mal, dass Frontex nicht nur als Grenzschutzagentur, sondern auch als Rettungsmaßnahme gesehen wird.“

Die EU-Kommission hatte am Mittwoch auch angekündigt, weitere Schritte in Richtung eines einheitlichen europäischen Asylsystems gehen zu wollen und das Dublin-System, das die Zuständigkeiten für Asylbewerber regelt, zu evaluieren. Dabei hatte die Kommission zum ersten Mal Mängel der bisherigen Regelung eingeräumt, nach der jener Mitgliedsstaat für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser zum ersten Mal EU-Boden betritt. Laut dem CIR würden mit einer Änderung der Dublin-Regel nicht nur Grenzstaaten der EU wie etwa Italien entlastet, sondern es würde auch die stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Migranten innerhalb der EU verbessert werden: Diese könnten dann fortan nicht nur in dem Staat residieren und arbeiten, in dem sie Asyl erhalten, sondern auch in anderen EU-Ländern.

Hein resümiert: „Mit dieser Agenda beginnt die Europäische Union, Verantwortung zu übernehmen für die unerträgliche Situation im Mittelmeerraum und das Prinzip der Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten umzusetzen, wie es im Vertrag von Lissabon vorgesehen ist.“

Leicht wird die Umsetzung des EU-Migrationskonzeptes sicher nicht: So hat sich bereits in mehreren Ländern – so etwa in Großbritannien, Ungarn, Polen, der Slowakei und Tschechien – Widerstand gegen eine Mehraufnahme von Migranten geregt. Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden, die bisher den Großteil der Flüchtlinge empfingen, hoffen dagegen, dass die Quote ihren Anteil an Aufnahmen senken kann. Damit der Verteilschlüssel rechtlich verbindlich werden kann, müssten alle 28 EU-Länder zustimmen.

(rv 14.05.2015 pr)








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