2015-05-04 11:14:00

Syrien: Alltag im Ausnahmezustand


„Ich selbst – der Bischof – kümmere mich im Augenblick vor allem um die Straßenreinigung und die Müllbeseitigung!“ So etwas ist auch im Nahen Osten, wo Kirchenführer immer auch Manager sind, etwas Unnormales. Aber normal ist eben gar nichts mehr in Erzbischof Jacques Behnan Hindos Stadt: Willkommen in Hassaké, dem nordöstlichen Zipfel im Bürgerkriegsland Syrien.

„Hassaké ist nahezu unbewohnbar geworden. Ich kümmere mich also seit einem Monat, und noch für fünf weitere Monate, um den Müll; zum Glück kommt ein bisschen internationales Geld dafür herein. Keiner will hier mehr zur Arbeit gehen, weil jeder nur an seiner Auswanderung bastelt. Die Sache mit dem Müll gehört eigentlich nicht zu den Kernaufgaben eines Bischofs, ich weiß – aber das wollte eben kein anderer machen. Und sie ist wichtig, weil bestimmte Krankheiten hier jetzt ausgebrochen sind... - die gilt es zu blockieren.“

Apropos Blockade: Das Wort steht überhaupt emblematisch für die Lage von Hassaké, eingeklemmt zwischen der Türkei und dem Irak. Der assyrisch-katholische Erzbischof erzählt: „Nach Norden sind wir abgeriegelt, weil die Türkei wie üblich ihre Grenze dichtgemacht hat. Im Osten, Westen und Süden steht der ‚Islamische Staat‘, auf Hunderten von Kilometern und mit Abertausenden von Kämpfern. Vor ein paar Tagen haben sie versucht, die Stadt einzunehmen, wurden aber zurückgeschlagen; die Armee und die ihr zugeordneten Gruppen sind etwas besser ausgerüstet. Aber das geht bei uns jetzt schon drei Jahre so, dass unsere Stadt von Rebellen angegriffen wird; wir warten immer nur auf den nächsten Angriff. Wir warten und warten.“

Dazu kommt das Bangen um die Geiseln, die der ‚Islamische Staat‘ vor zwei Monaten genommen hat. In der Nähe zur türkischen Grenze überfiel die Terrorgruppe mehrere assyrisch-christliche Dörfer und nahm über dreihundert Geiseln. Einige von ihnen wurden freigelassen, aber immer noch sind nach Informationen Hindos 232 Menschen aus den Dörfern am Khabur-Fluss in der Hand des IS, davon 82 Mädchen und Frauen sowie acht Babys.

„Alle Versuche, sie freizubekommen, laufen im Geheimen, haben aber bisher absolut nichts gebracht. Das trägt dazu bei, dass der Alltag hier in der Stadt und in den Dörfern rundum für die Menschen sehr hart geworden ist. Hilfen von außen kommen nur noch tröpfchenweise, NGOs sind vollkommen von der Bildfläche verschwunden, immerhin verteilt die Weltgesundheitsorganisation seit ein paar Monaten kostenlos Medikamente für chronisch Kranke, aber ihr droht ständig das Geld für dieses Projekt auszugehen. Wir waren ja schon bisher ziemlich vergessen, aber angesichts der Unruhen im Jemen sind wir jetzt ganz und gar dem Vergessen anheimgefallen! Und darum flüchtet, wer kann – nicht nur die Christen. Die Armut ist enorm gestiegen – da sehen Sie die Sorgen, die wir im Moment haben.“

(rv 04.05.2015 sk)








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