2015-05-02 10:34:00

Ein Alarmphone für Flüchtlinge in Seenot


„Fähren statt Frontex“ – das fordert Hagen Kopp von „Watch the med“ und Mit-Initiator von einem sogenannten Alarmphone für Flüchtlinge in Seenot. Während Flüchtlingsaktivisten am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg eine 100 Meter lange Liste mit über 17.000 Namen von ertrunkenen Flüchtlingen auslegten, saß Hagen Kopp vor einem Satellitentelefon und wartete auf mögliche Anrufe vom Mittelmeer. Die Flüchtlingsaktivisten in Straßburg zwangen die Parlamentarier, auf den Weg in den Plenarsaal über die Namen der Verstorbenen zu laufen, Kopp und seine Mitarbeiter des Alarmphones bringen immer wieder die Küstenwache Italiens, Spaniens und Griechenlands dazu auszulaufen und Flüchtlingsboote zu retten.

Einige Tage nach der ersten großen Lampedusa-Katastrophe im Oktober 2013 kam ein weiteres Schiff mit über 400 Flüchtlingen aus Syrien und den Irak in Seenot. Ein Arzt versuchte mit einem Satellitentelefon Hilfe zu rufen, vergeblich, berichtet Kopp. „Ein Arzt, der überlebt hat, hatte ein Satellitentelefon und der hat mehrfach bei der italienischen Küstenwache in Rom angerufen, wurde dort aber immer wieder vertröstet, er solle doch in Malta anrufen. Es ging darum, welches Land ist zuständig für die Rettung dieses Bootes in dieser Position. Sie mussten über Stunden warten. Nach sechs, sieben Stunden ist das Boot gekentert, die Menschen sind ertrunken, obwohl in der Nähe verschiedene Schiffe waren, die hätten retten können.“ Über 200 der Flüchtlinge an Bord seien ertrunken. Für das Monitoringprojekt „Watch the med“, das Menschenrechtsverletzungen auf See dokumentiert, Anlass genug selbst etwas zu machen. Die Frage „Was wäre gewesen, wenn es eine unabhängige Nummer gegeben hätte, die sich hätte kümmern können“ gab den endgültigen Anstoß, ein Alarmphone für Flüchtlinge auf Seenot ins Leben zu rufen. Vorbild für die Gruppe rund um Hagen Kopp ist Mussie Zerai, ein Priester aus Eritrea, der in der Schweiz lebt und der seit Jahren zwischen Gottesdiensten in seiner Pfarrei für eritreische Flüchtlinge genauso ein Alarmphone anbietet. „Die Frage, ob wir so ein Telefonprojekt starten, war natürlich mit vielen Unsicherheiten verbunden. Letztendlich war für mich persönlich das Treffen mit Pfarrer Mussie Zerai entscheidend. Weil er ist sozusagen die Telefonnummer der Eritreer, er ist ein eritreisch stämmiger Mann, der nun in der Schweiz lebt. Seine Nummer ist bekannt und er macht das seit vielen Jahren, dass er Bootsflüchtlinge unterstützt in dem Sinne, dass er angerufen wird und das an die Küstenwache weitergibt. Wir haben vor allem von ihm viel gelernt, wie macht er das und wir haben natürlich nochmal andere Möglichkeiten, weil er alleine ist.“ Mit seiner Hilfe und mit Hilfe von Flüchtlingen, die den Fluchtweg schon hinter sich haben, erstellten sie ein Handbuch, indem genau dokumentiert wurde, wie mit Notfällen umgegangen und welche Schritte eingeleitet werden müssen. Inzwischen übernehmen die rund 100 Ehrenamtlichen, die in Telefonschichten 24 Stunden zur Verfügung stehen, meist auch die Notrufe von Zerai, um weiter mit den Flüchtlingen und den Behörden in Kontakt zu bleiben.

Meistens haben die Flüchtlinge ein Satellitentelefon mit an Bord, ein eigenes oder von einem Schlepper, mit diesem können sie über die Notrufnummer das Team von Hagen Kopp erreichen. „Im Zentralen Mittelmeer ist es dann so, dass wir mit der Satellitennummer das Boot identifizieren, denn wenn fünf bis zehn Notrufe, oder wie vor drei Wochen 30 Rettungsaktionen gleichzeitig laufen, ist es sehr wichtig, zu klären, um welches Boot es sich handelt. Dafür ist diese Satellitennummer sehr entscheidend. Dann geht es darum mit den Menschen immer wieder zu klären, wie ist die genaue Position des Bootes und diese GPS Daten dann sofort weiterzuleiten. Es geht auch einerseits darum die Menschen zu beruhigen, andererseits geht es darum, sie zu ermutigen, durchzuhalten.“ Zusätzlich kümmern sich die Mitarbeiter von „Watch the med“, dass die Satellitentelefone immer mit Geld aufgeladen sind, damit die Kommunikation aufrecht erhalten werden kann. Das Callcenter des Alarmphones dokumentiert die Daten, sodass kein Boot in Vergessenheit gerät und übermittelt die nötigen GPS-Daten an die zuständige Küstenwache, sodass ein Flüchtlingsboot gerettet werden kann.

Der Kontakt zur italienischen Küstenwache ist wechselhaft und hängt immer wieder von jeweiligen Mitarbeiter ab. Einige verweigern sich, wie Kopp es ausdrückt, weil diese nicht kooperieren wollen und die Verantwortung an andere Stelle weiterschieben. Doch es gebe auch immer mehr Mitarbeiter, mit denen der Kontakt sehr effektiv sei. Es gebe aber inzwischen noch ein weiteres Problem mit der Küstenwache: „Wir müssen sagen, im Moment ist die Problemstellung etwas verschoben. Wir haben den Eindruck, wenn wir uns die letzten Wochen ansehen, dass die italienische Küstenwache eigentlich sehr viel tut, um alle Menschen zu retten, die dort anrufen. Allerdings haben sie nicht die Mittel dafür.“ Gerade nachdem in den letzten Monaten die Rettungsmaßnahmen von der Europäischen Union zurückgeschraubt wurden. Wenn nun mehrere Notrufe gleichzeitig rein kommen, könne die italienische Küstenwache nicht mehr adäquat reagieren, so erklärt Kopp. „Das habe ich selbst vorletzte Woche am Telefon erlebt, wo ich mit der Küstenwache telefoniert habe. Sie haben mir ganz klar gesagt, sie hätten keine Mittel, haben keine Leute und können keinen Hubschrauber schicken. Es sei niemand in der Nähe, allein ein Handelsschiff ist im Umkreis. Das werden sie versuchen dazu zu ordern. Das ist im Moment die Situation im Mittelmeer.“ All das dokumentiert das Team von „Watch the med“, um neben der akuten Hilfe und Koordinationsarbeit Druck auf die Politik aufzubauen. Deswegen fordert er auch, dass Fähren statt Frontex eingesetzt werden, damit würden man auch das Schleppersystem im Keim ersticken. „In dem Moment wären wir überflüssig und nichts wäre uns lieber, wenn das morgen passieren würde.“

(rv 02.05.2015 pdy)








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