2015-04-24 08:59:00

Armenien: Heiligsprechung von Völkermord-Opfern


In einer ergreifenden Zeremonie wurden am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) in Etschmiadzin, dem Sitz des armenisch-apostolischen Katholikos-Patriarchen Karekin II., die Opfer des Völkermords vor 100 Jahren kollektiv heiliggesprochen. Die Feier - die erste Heiligsprechung in der armenisch-apostolischen Kirche seit 500 Jahren - fand am Vorabend des 24. April statt, der den 100. Jahrestag des Beginns des Völkermords durch eine großangelegte Verhaftungsaktion der osmanischen Geheimpolizei unter armenischen Politikern, Journalisten, Geistlichen, Industriellen, Ärzten, Wissenschaftlern, Künstlern in Konstantinopel markiert.

 

Der Heiligsprechungsgottesdienst fand im Freien statt. An dem Gottesdienst nahmen die armenischen Bischöfe aus aller Welt sowie zehntausende Pilger - darunter viele ökumenische Gäste - teil. Die Heiligsprechungsfeier dauerte mehr als zwei Stunden. Um 19.15 Uhr Ortszeit ertönten, in Anlehnung an die Jahreszahl 1915, die Glocken in Etschmiadzin sowie in allen armenischen Kirchen weltweit zum Gedenken an den Völkermord. Kirchen anderer Konfessionen - darunter die Erlöserkathedrale in Moskau, der Notre-Dame-Kathedrale in Paris und der St. Patrick's Cathedral in New York - schlossen sich an. Es folgte ein Moment der Stille, bevor dann das Vater Unser gebetet wurde.

 

Die armenische Kirche selbst beziffert die Zahl der neuen Heiligen nicht, wobei Historiker von bis zu 1,5 Millionen Opfern ausgehen. Kanonisiert würden alle Opfer, „die für ihren Glauben und ihre christliche Identität ihr Leben ließen", sagte der für die ökumenischen Beziehungen der Kirche zuständige Bischof Hovakim Manukyan am Mittwoch im Gespräch mit der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA. Es gebe auch Heilige unter denen, die den Völkermord überlebt hätten, wenn sie wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt wurden. Viele Armenier seien damals gezwungen worden, zum Islam zu konvertieren, besonders junge Mädchen, so der Bischof. In den letzten Jahren gibt es in der Türkei eine breite Bewegung, in deren Rahmen sich viele Menschen zum armenischen Erbe ihrer Vorfahren bekennen und zur christlichen Kirchen zurückkehren.

 

Weltweite Vertreter und Lanzen-Reliquie

 

An dem Heiligsprechungsgottesdienst nahmen zahlreiche kirchliche und staatliche Delegationen aus aller Welt teil. Nach Angaben des Leiters des offiziellen Koordinationskomitees für das 100-Jahr-Gedenken des Völkermords, Vigen Sarkissian, hatten sich kirchliche und staatliche Delegationen aus 60 Ländern in Armenien eingefunden. Bei dem Heiligsprechungsgottesdienst in Etschmiadzin waren u.a. Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, der koptisch-orthodoxe Papst-Patriarch Tawadros II., der syrisch-orthodoxe Patriarch Mar Ignatius Aphrem II. und der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Boutros Rai, anwesend. Die Delegation der russisch-orthodoxen Kirche wurde vom Metropoliten von St. Petersburg (und Kanzler des Moskauer Patriarchats), Warsonofij (Sudakow), geleitet.

 

In das liturgische Geschehen in Etschmiadzin waren die kostbarsten Reliquien der armenischen Kirche integriert: die Spitze der Heiligen Lanze („Geghard"), mit der Christus am Kreuz durchbohrt wurde (diese Reliquie wurde nach der Tradition im 1. Jahrhundert vom Apostel Thaddäus nach Armenien gebracht), die rechte Hand des Heiligen Gregors des Erleuchters, die rechte Hand des Heiligen Stephanus, des Erstmärtyrers der Christenheit, die rechte Hand der Heiligen Hripsime, aber auch das im Jahr 1256 von Toros Roslin, dem bedeutendsten armenischen Bibelillustrator des Mittelalters, geschriebene „Evangeliar von Zeytun".

 

Bereits am Vorabend der Heiligsprechung hatte Karekin II. in der Kathedrale von Etschmiadzin am Mittwochabend eine feierliche Vigil zelebriert. Zuvor war vom Katholikos-Patriarchen aller Armenier der Grundstein für die Gedächtniskirche der Völkermord-Opfer gesegnet worden. Die Gedächtniskirche wird im Bereich des „Komitas-Pantheons" errichtet, das dem Gedächtnis der „großen Gestalten Armeniens" gewidmet ist. Der in Russland ansässige armenische Industrielle Samuel Karapetyan finanziert den Bau der Gedächtniskirche. Bei der Grundsteinlegung waren u.a. auch der armenische Präsident Serge Sarkissian und der Bürgermeister von Jerewan, Taron Margaryan, anwesend. Katholikos-Patriarch Karekin II. sagte, die neue Gedächtniskirche werde ein „Zeugnis der kulturellen und spirituellen Einheit der armenischen Nation" sein.

 

Kirchen vereint gegen Völkermord

 

Zum Abschluss des „Globalen Forums gegen das Verbrechen des Völkermords" hatten die Repräsentanten von 35 christlichen Kirchen aus aller Welt, unter ihnen auch der Wiener syrisch-orthodoxe Chorbischof Emanuel Aydin, am Mittwoch in Jerewan eine Sieben-Punkte-Erklärung unter dem Titel "Kirchen gegen Völkermord - Das menschliche Leben ist ein Geschenk Gottes" verabschiedet.

 

In der Erklärung wird u.a. betont, dass „Gewalt und Mord auf der Basis von nationaler, religiöser, rassischer Diskriminierung" niemals irgendeine Rechtfertigung  haben können. Jeder Völkermord sei als „Manifestation des Bösen und der Sünde gegen die Menschlichkeit" schärfstens zu verurteilen. Insbesondere sei die „ethnische und religiöse Gewalt" im Nahen Osten zu verurteilen, die „schreckliche menschliche Verluste und die nicht wieder gut zu machende Zerstörung des spirituellen und kulturellen Erbes" bewirkt hat. Um ähnliche Verbrechen in Zukunft zu vermeiden, sei es von größter Bedeutung, die Genozid-Verbrechen anzuerkennen und zu verurteilen, ihre Leugnung zurückzuweisen und das Streben nach Wiedergutmachung zu unterstützen.

 

Gedenken an heutige Märtyrer

 

Patriarch Tawadros II. hatte das Treffen der kirchlichen Repräsentanten beim „Globalen Forum gegen das Verbrechen des Völkermords" mit dem Gedenken an die koptischen und äthiopischen Arbeitsmigranten eröffnet, die im zerfallenen Staat Libyen den Mordorgien der IS-Terroristen zum Opfer gefallen sind.

Katholikos-Patriarch Karekin II. erinnerte im Anschluss daran, dass tausende armenische Kirchen, Klöster und Heiligtümer im Zug des Genozids in Anatolien und Westarmenien zerstört wurden, „in einem Versuch, alle Spuren der Verfolgten und ihrer Kultur, zu vernichten". Heute sei es notwendig, auch im Hinblick auf den Genozid die Elemente des Bußsakraments - Gewissenserforschung, Reue, guter Vorsatz, Bekenntnis, Sühne - anzuwenden, um in Zukunft eine Wiederholung von solch schrecklichen Verbrechen zu vermeiden.

 

Der syrisch-orthodoxe Patriarch Mar Ignatius Aphrem II. ersuchte am Mittwoch die Teilnehmer, im stillen Gedenken um die Rückkehr der beiden vor genau zwei Jahren entführten Aleppiner Metropoliten Mar Gregorios Youhanna Ibrahim und Boulos Yazigi zu beten. Die Christen der syrischen Tradition seien ebenso wie die Armenier den absurden Plänen der Jungtürken zum Opfer gefallen, betonte Mar Ignatius Aphrem II. In den Plänen der Jungtürken und in der Entführung der beiden Erzbischöfe von Aleppo ebenso wie in den Mordorgien gegen die koptischen und äthiopischen Arbeitsmigranten in Libyen zeige sich der Wille, „Menschen nur deshalb zu töten, weil sie mutige Christen sind".

 

(kap 23.04.2015 pr)








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