2015-04-18 13:30:00

Warten auf internationale Selbstkritik


Wieder ein Flüchlingsdrama: Bei einer Überfahrt über das Mittelmeer soll die Situation auf einem Boot eskaliert sein. Angeblich haben einige Muslime zwölf Christen über Bord geworfen – wegen ihrer Religion. Die italienische Kirche ist von dieser mutmaßlichen Tat bestürzt. Der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz, Bischof Nunzio Galantino, spricht gegenüber Radio Vatikan von einer „barbarischen Tat“ - wenn sich denn die Berichte bestätigen sollten.

„Aber es sollte erst einmal der genaue Tathergang ermittelt werden, bevor man ihn in einen religiösen Kontext stellt.“ Bisherige Debatten haben gezeigt, so Galantino, dass es unter Bootsflüchtlingen bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu religiösen Konflikten kam. Unter den schwierigsten Bedingungen reiche aber oft schon ein kleiner Streit aus, um unvorhersehbare Reaktionen auszulösen. Generell müsse man sehr wachsam sein, dass sich keine extremistischen Denkstrukturen verbreiten, so Galantino: „Wenn selbst Menschen, die in derselben schwierigen Situation auf einem Boot sind und versuchen, einen Ort der Hoffnung zu erreichen, anfangen, religiöse Hoffnungen und Glauben zu instrumentalisieren, um überlegen zu sein; dann haben sich schon bestimmte Argumentationstrukturen verinnerlicht.“

Seit Donnerstag ermittelt die Staatsanwaltschaft in Palermo gegen 15 muslimische Flüchtlinge aus dem Senegal, der Elfenbeinküste und Guinea. In der italienischen Berichterstattung ist trotz der noch laufenden Ermittlungen schon von einer religiösen Motivation als Tatsache die Rede. Italien fordert einmal mehr die Unterstützung der EU, denn zu 90 Prozent lasten Überwachung und Hilfsmaßnahmen im Mittelmehr auf Italiens Schultern. Auch Galantino ist enttäuscht von der Europäischen Union: „Zu sagen ‚enttäuscht’ ist für mich zu wenig, denn es ist offensichtlich, dass sie nicht wirklich über die Situation nachdenken wollen. Es ist klar, dass sie dieses Problem, dieses Drama nicht bekämpfen können mit immer denselben Mitteln. Offensichtlich müssen andere Denkweisen, andere Handlungsweisen und andere Verständigungswege eingeführt werden. Hier ist die Alternative entweder, die Arme zu öffnen, oder in den Krieg zu ziehen: Wie ist es möglich, dass so viele Staaten mit all ihren intellektuellen und organisatorischen Kräften nicht offener sind? Ich habe wirklich den Eindruck, dass es für sie nur eine elegante Art gibt, die Hände in Unschuld zu waschen angesichts des Dramas, dass zunehmend unerträglich wird für Italien.“

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sieht andere europäische Länder in der Verantwortung, man könne nicht nur die italienische Marine zur Seenotrettung einsetzen, sagte Schulz in einem Interview mit dem ZDF. Für den Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz Galantino ist aber nicht nur die EU mitverantwortlich für die aktuelle Misere. „Ich warte auf den Moment, wo die Vereinigten Staaten, Europa und andere mindestens ein Wort der Selbstkritik sagen zu dem, was sie in den vergangenen Jahren getan haben. Wenn wir es ernst meinen, dann müssen wir auch sagen, dass ein großer Teil dieser Lage begünstigt, wenn nicht sogar hervorgebracht wurde durch unvorsichtige Interventionen - durch Interventionen, bei denen wir langsam verstehen, was die wahren Interessen sind: alles andere, als Werte oder die Demokratie zu exportieren.“

Der aktuelle Vorfall ereignete sich nach Aussagen von Augenzeugen auf einem überladenen Flüchtlingsboot, das am Dienstag von Libyen aus in Richtung Europa aufgebrochen war. Die rund hundert überlebenden Flüchtlinge waren am Donnerstag von der italienischen Küstenwache in Sicherheit gebracht worden.

(rv 18.04.2015 pdy)








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