2015-04-11 09:23:00

Die päpstliche Bulle zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit


„Jesus ist das Antlitz der Barmherzigkeit des Vaters“. Mit diesen Worten beginnt Papst Franziskus seine Bulle, mit der er an diesem Samstag offiziell das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat. Es wird am 8. Dezember mit dem Öffnen der Heiligen Pforten an den Papstbasiliken Roms beginnen und bis zum Christkönigsfest 2016 dauern. Pater Bernd Hagenkord hat die Bulle für uns gelesen.

Es gehört zum Leben eines Christen dazu, sich ständig das Geheimnis der Barmherzigkeit vor Augen zu halten. Um das in einer geprägten Zeit als Kirche gemeinsam tun zu können, habe er entschieden, ein außerordentliches Heiliges Jahr auszurufen, so der Papst in seiner Bulle.

Er beginnt den Text mit einigen Gedanken zur Barmherzigkeit. In Jesus sei sie lebendig geworden, sie zeige uns die Dreieinigkeit Gottes, in ihr komme Gott den Menschen entgegen und sie vereine Gott und Mensch.

Das Heilige Jahr werde am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis eröffnet, so der Papst, weil sich in diesem Fest Gottes Handeln in der Welt zeige. Gott wollte den Menschen nicht in Sünde und Schuld zurück lassen, sondern habe barmherzig Maria vor der Sünde bewahrt, damit sie Mutter des Erlösers würde. „Die Barmherzigkeit ist immer größer als alle Sünde, und niemand kann der vergebenden Liebe Gottes eine Grenze setzen“, heißt es in der Bulle. An diesem Tag werde die geöffnete Heilige Pforte des Petersdoms zu einer „Pforte der Barmherzigkeit“. Der Papst werde am gleichen Tag auch festlegen, dass in allen Kathedralkirchen oder anderen wichtigen Kirchen ebenfalls Pforten der Barmherzigkeit geöffnet würden, kündigt die Bulle an. So würden auch die Ortskirchen direkt eingebunden.

Das II. Vatikanische Konzil und die Barmherzigkeit

Mit dem Datum stellt der Text die Beziehung zum Zweiten Vatikanischen Konzil her; das Heilige Jahr der Barmherzigkeit beginnt am 50. Jahrestag des Konzilsendes (8. Dezember 1965). Die Konzilsväter hätten die Kirche aus ihrer „privilegierten Zitadelle“ herausführen und auf neue Weise das Evangelium verkünden wollen. Bereits bei der Eröffnung hatte Papst Johannes XXIII. von der „Medizin der Barmherzigkeit“ gesprochen. Die Bulle zitiert diese Ansprache ausführlich, ebenso die Schlussansprache Paul VI., auch da ist von der Barmherzigkeit ausführlich die Rede.

Barmherzigkeit ist kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil: In der Barmherzigkeit zeige sich die Allmacht Gottes, zitiert der Papst den großen mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin, sie sei also das Gegenteil von Schwäche. Der Papst geht durch die Psalmen und Schriften des Alten Testamentes hindurch und legt die Texte ausführlich aus. Die Psalmen führen direkt zu Jesus Christus, in ihm sei der Gott, der Liebe ist, sichtbar und lebendig geworden, und er zeige sich vor allem in der Begegnung mit den Sündern, den Armen, Ausgeschlossenen, Kranken und Leidenden. „Alles in Ihm spricht von Barmherzigkeit. Nichts in Ihm ist ohne Mitleid.“ Der Papst geht auf das barmherzige Sprechen und Handeln Jesu ein und verweist auch auf die Berufung des Matthäus, von der der frühmittelalterliche Autor Beda Venerabilis gesagt habe „miserando atque eligendo“ (frei übersetzt: mit barmherzigen Augen erwählt). Die Formulierung, erläutert Franziskus, habe ihn so beeindruckt, dass er sie zu seinem bischöflichen und heute päpstlichen Motto gemacht habe.  

Diese Worte und Taten Jesu Christi seien aber nicht nur Gottes Selbstoffenbarung, sie seien auch Kriterium um zu verstehen, wer wirklich Kind Gottes ist. „Wir sind berufen, die Barmherzigkeit zu leben“, so die Bulle, „denn an uns ist zuerst Barmherzigkeit geübt worden.“ Barmherzigkeit sei niemals ein abstraktes Wort, sondern konkretes Leben, „Intentionen, Haltungen, Verhalten, die sich im täglichen Tun zeigen. (..) Wie der Vater liebt, so lieben auch die Kinder. Wie Er barmherzig ist, so sind auch wir berufen, untereinander barmherzig zu sein.“

„Seid barmherzig wie der Vater!“

Der Papst spricht in der Bulle dann von der Kirche und ihrem Auftrag, barmherzig zu sein. „Die Glaubwürdigkeit der Kirche geht über den Weg der barmherzigen und mitleidenden Liebe“, so der Papst. Vielleicht habe man über die Zeit vergessen, den Weg der Barmherzigkeit zu gehen. Seine Gedanken kreisen in der Bulle um die frei geschenkte Barmherzigkeit, und er greift das Jesuswort auf: „Urteilt nicht, damit auch ihr nicht verurteilt werdet“. Barmherzigkeit sei das Gegenteil dessen, was er an anderer Stelle die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ genannt hatte, es gehe um die Verwundungen der Welt und die Antwort der Kirche darauf.

Ausführlich spricht der Franziskus auch über Papst Johannes Paul II., der mit seiner zweiten Enzyklika „Dives in Misericordia“ (Reich an Gnade bzw. an Barmherzigkeit) viele Menschen damals mit diesem Thema überrascht habe. Diese Lehre solle Teil des Heiligen Jahres werden, wünscht sich Papst Franziskus.

Missionare der Versöhnung

„Wir wollen dieses Heilige Jahr im Licht der Worte des Herrn leben, ‚seid barmherzig, wie es der Vater ist‘,“ so der Papst weiter. Über die Meditation seiner Worte könne die Barmherzigkeit zur eigenen Lebensgrundlage, zum Lebensstil, werden. Es sei sein Wunsch, dass die Christen während des Heiligen Jahres die Werke der Barmherzigkeit reflektierten. So könnte man unterscheiden, ob man wirklich als Jünger Jesu nach seinen Lehren lebe oder nicht. Den Worten des Herrn könne man nicht entkommen, auf ihrer Grundlage würde jeder gerichtet, so der Papst. Er zitiert die Stelle, die er immer wieder in Ansprachen als eine der zentralen Stellen des Evangeliums anführt, nämlich die Gerichtsrede in Matthäus 25, 31-45.

Der Papst gibt dann in der Bulle Anleitung, wie Gläubige das Heilige Jahr innerlich begehen könne, in der Fastenzeit als besonders geprägter Zeit etwa, durch die Meditation der Propheten, wie Micha oder Jesaja. Er erwähnt die Initiative „24 Stunden für den Herrn“ und die Beichte, das Sakrament der Versöhnung. In der Fastenzeit 2016 wolle er zum Heiligen Jahr „Missionare der Barmherzigkeit“ aussenden, kündigt der Papst in seiner Bulle an: Priester, die mit der Autorität zur Lossprechung von Sünden ausgestattet sind, die sonst dem Papst vorbehalten ist. Die Bistümer sollen Volksmissionen organisieren, in denen diese Missionare Verkünder der Freude und der Vergebung sein sollen.

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Wie bereits Johannes Paul II. in seiner Barmherzigkeits-Enzyklika, geht der Papst dann auf das Verhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ein. Sie bildeten keinen Kontrast, sondern seien zwei Elemente derselben Wirklichkeit. Gerechtigkeit sei ein ziviles und ein biblisches Konzept, das aber leider immer wieder im Legalismus hängen geblieben sei. Um diesen zu überwinden, müsse man sich daran erinnern, was der Bibel zufolge Gerechtigkeit vor allem bedeute, nämlich: sich selbst dem Willen Gottes ausliefern. Ausführlich spricht Papst Franziskus in der Bulle über die Gerechtigkeit und ihre biblischen Wurzeln. „Wenn Gott bei der Gerechtigkeit stehen geblieben wäre, dann würde er aufhören, Gott zu sein, er wäre wie all die Menschen, die Respekt vor dem Gesetz einfordern“, fasst er zusammen. Gerechtigkeit allein genüge nicht. Mehr noch: Wer ausschließlich die Gerechtigkeit anrufe, riskiere sie sogar zu zerstören. Deshalb gehe Gott mit Barmherzigkeit und Vergebung über die Gerechtigkeit hinaus. „Das bedeutet aber nicht, die Gerechtigkeit zu entwerten oder sie überflüssig zu machen, im Gegenteil.“ Sie ist bloß nicht das letzte Wort.

Barmherzigkeit ist auch eine Brücke zwischen den Religionen, fügt der Papst ein weiteres Themenfeld an, vor allem zum Islam und zum Judentum, denn diese nennen Barmherzigkeit eines der wichtigsten Attribute Gottes. Das Heilige Jahr solle auch hier mit diesen und anderen Religionen eine Gelegenheit für Dialog werden, um sich gegenseitig besser zu verstehen.

„Lassen wir uns in diesem Heiligen Jahr von Gott überraschen“, schließt der Papst seine Gedanken in der Bulle. „Die Kirche spürt sehr deutlich die Dringlichkeit, die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden.“

(rv 11.04.2015 ord)

 








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