2015-04-09 11:13:00

Papst an Armenier: „Nicht nur das Volk der Leidenden“


Das Wort „Völkermord“ hat er nicht ausgesprochen: Aber vor dem Patriarchalsynod der armenisch-katholischen Kirche erinnerte Papst Franziskus an diesem Donnerstag gleichwohl an das Leiden der Armenier vor hundert Jahren. In drei Tagen wird er in dieser Intention eine Messe im Petersdom feiern, an der nach Agenturangaben auch Armeniens Präsident Serge Sarkissian teilnehmen wird. Im Vatikan äußerte sich Franziskus am Donnerstag vor katholischen Bischöfen aus Armenien, die er in Audienz empfing.

„Wir werden für die Söhne und Töchter eures geliebten Volkes beten, die vor hundert Jahren zu Opfern geworden sind. Wir werden die Göttliche Barmherzigkeit anrufen: Möge sie uns allen helfen, mit Liebe zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit jede Wunde zu heilen und konkrete Gesten der Versöhnung und des Friedens zwischen den Nationen zu ermuntern, denen es noch nicht gelingt, zu einem vernünftigen Konsens über die Deutung dieser traurigen Angelegenheiten zu finden.“

Das zielt auf die stark unterschiedliche Sicht auf die Vorgänge von 1915 in der heutigen Türkei und im heutigen Armenien. Mit Bitterkeit vermerkte der Papst, dass einige Regionen des Nahen Ostens wie etwa das syrische Aleppo „vor hundert Jahren einmal ein sicherer Hafen für die wenigen Überlebenden“ gewesen sind. „Diese Regionen erleben nun in letzter Zeit, dass der Verbleib der Christen, nicht nur der armenischen, in Gefahr gerät“, so Franziskus.

„Euer Volk, das die Tradition als das erste zum Christentum bekehrte anerkennt, hat eine zweitausend Jahre alte Geschichte und verfügt über ein reiches geistliches und kulturelles Erbe, zusammen mit der Fähigkeit, sich nach vielerlei Verfolgungen und Prüfungen wieder zu erheben. Ich ermuntere euch, immer ein Gefühl der Dankbarkeit dem Herrn gegenüber zu verspüren… Es ist außerdem wichtig, Gott um die Gabe der Weisheit des Herzens zu bitten: Die Erinnerung an die Opfer von vor hundert Jahren stellt uns nämlich die Dunkelheit des mysterium iniquitatis vor Augen.“

Das „mysterium iniquitatis“ meint das Geheimnis des Bösen in der Welt. „Wie das Evangelium sagt, können aus dem Inneren des menschlichen Herzens dunkle Kräfte hervorbrechen und die systematische Vernichtung des Bruders planen, seine Einstufung als Feind, als Gegner, ja als Mensch ohne Menschenwürde. Für Gläubige allerdings führt die Frage nach dem vom Menschen begangenen Bösen zum Geheimnis der Teilhabe an der erlösenden Passion hinüber: Nicht wenige Söhne und Töchter der armenischen Nation waren dazu imstande, noch im Moment des Blutvergießens oder des Sterbens während des unendlichen Exodus, zu dem sie gezwungen waren, den Namen Christi auszusprechen.“

Nicht mit politischem, sondern mit spirituellem Zungenschlag beschwor Papst Franziskus den ersten großen Völkermord des 20. Jahrhunderts herauf: „Die Seiten des Leidens in der Geschichte eures Volkes setzen in gewisser Hinsicht das Leiden Jesu fort, aber auf jeder von ihnen findet sich auch ein Same der Auferstehung! Die Seelsorger mögen den gläubigen Laien zeigen, wie man die Realität mit neuen Augen liest, so dass man jeden Tag sagen kann: Mein Volk ist nicht nur das der um Christi willen Leidenden, sondern vor allem das der in ihm Auferstandenen! Darum ist es zwar wichtig, sich an die Vergangenheit zu erinnern – aber um daraus neue Kraft zu ziehen, um in der Gegenwart das Evangelium freudig zu verkünden und Zeugnis von der Liebe zu geben.“

Franziskus erwähnte, dass Papst Benedikt XV. bei Sultan Mehmet V. interveniert hat, „damit dieser den Massakern an den Armeniern ein Ende setze“. So wie Benedikt im Jahr 1920 den hl. Ephraim den Syrer zum Kirchenlehrer erhoben habe, werde er – Franziskus – am kommenden Sonntag auch den hl. Gregor von Narek zum Lehrer der gesamten Kirche erklären.

(rv 09.04.2015 sk)








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