2015-03-13 10:00:00

Die Frau, die mit dem Papst in der U-Bahn fuhr


An diesem Freitag feiert der Vatikan das zweijährige Pontifikat-Jubiläum von Papst Franziskus. Es scheint fast so, als hätte er im Leben nie etwas anderes gemacht als Kinderköpfe auf Generalaudienzen zu küssen, unerwartete Stopps an Mauern auf seinen Papstreisen einzubauen, Reden spontan zu ändern, mit seinen Worten und Taten an die „Peripherie“ zu gehen und die Papst-Marathon Agenda mit einem Lächeln auf dem Gesicht abzuarbeiten. Und doch hatte er ein anderes Leben davor. Erika Rosenberg, die deutsch-jüdische Autorin aus Buenos Aires kann sich noch gut daran erinnern, als sie mit dem heutigen Papst U-Bahn fuhr. In ihrem gleichnamigen und soeben veröffentlichen Werk geht sie zurück zu den Wurzeln des Jesuiten aus Südamerika, der Papst wurde, und hat durch intensive Gespräche mit Familie, Freunden und Weggefährten ein persönliches Porträt des Papstes geschaffen:

„Er hat dann am Schluss gesagt: ‚Erika, ich glaube, sie haben jetzt alles fertig für ihr Buch. Sie brauchen nicht mehr.´ Das ist also das, was mich so beeindruckt. Ein Mensch, der so viele Tätigkeiten hat, kümmert sich um jede Einzelheit. Also auch sogar ein Buch, das eine Jüdin, eine Erika Rosenberg schreibt.“

Von Erzbischof Bergoglio aus Buenos Aires war Erika Rosenberg aufgrund seines Engagements im interreligiösen Dialog beeindruckt. In ihrem Buch erwähnt sie das schwierige Verhältnis in Argentinien gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Das hat einerseits damit zu tun, dass der Staat nach dem Zweiten Weltkrieg vielen Naziverbrechern Unterschlupf gewährte und andererseits mit den Anschlägen auf die israelische Botschaft sowie das große Attentat auf das AMIA-Gebäude 1994, der Zentrale der jüdischen Gemeinden in Argentinien, das bis heute nicht aufgeklärt ist und derzeit für Unruhen in Argentinien sorgt. Als Rosenberg in den 90ern von der Installation eines Wandbildes in der Catedral Metropolitana für die Opfer des Holocausts und der Anschläge in Argentinien erfuhr, war sie erstaunt. Ein Denkmal für Juden in einer Kirche, so etwas gab es noch nie. :

„Und wer war Erzbischof von Buenos Aires? Das war Jorge Maria Bergoglio. Ich fühlte mich als Jüdin von dieser Aktion angezogen. Auch weil die katholische Kirche in Argentinien jahrelang als reaktionär galt. Deswegen freute ich mich über diese Veränderung und bin an einem Feiertag in die Kathedrale, denn ich wollte die Predigt von diesem Erzbischof hören. Ich saß in der ersten Reihe und hab alles aufgeschrieben, was er während dieser Messe sagte.“

Er war kein Mann, der Wasser predigt und Wein trinkt. Das ist er, laut Erika Rosenberg, auch heute nicht. Mit einem Lächeln erinnert sie sich an die erste persönliche Begegnung mit ihm zurück.

„Ich fuhr sehr oft mit der U-Bahn Linie A und dann traf ich ihn, den damaligen Erzbischof zufällig – aber ich glaube nicht an Zufälle, eher an Kausalitäten. Die U-Bahn war sehr voll, doch ich habe mich vorgekämpft und ihn ganz offen und ehrlich angesprochen, dass ich seine Predigt verfolgt hatte. Und dann habe ich ihn gefragt, ob er denkt, dass es wirklich zu einem interreligiösen Dialog zwischen Juden und Christen kommen würde. Und er hat mich angelächelt, das werde ich nie vergessen - gesagt: ‚Ein guter Christ ist ja kein Antisemit!’ Dann musste er aussteigen und winkte mir noch vom Gleis. Ab dann habe ich ihn immer wieder in der U-Bahn getroffen.“

Für ihre Recherchen ist die 64-jährige Autorin wie der Papst an die Ränder der Gesellschaft gegangen. Sie interviewte neben alten Weggefährten Priester, Kollegen, seine Nichten Virna Bergolgio und Maria Ines Narvaja auch Menschen aus den ‚Villas miserias‘, den Elendsvierteln der Stadt der Winde: Prostituierte oder Gefängnisinsassen, welchen er auch als Erzbischof die Füße wusch.

„Das sind also die Menschen aus der Peripherie, nicht? Die Unterdrückten, die Menschen, die von allen vergessen worden sind. Ich bin auch in Elendsviertel gegangen und habe dort recherchiert und habe mit ihnen gesprochen.“

Durch die unterschiedlichen Perspektiven der geführten Interviews zeichnet die Autorin ein Bild von einem Papst der Kirche der Armen mit klaren Linien. ‚Er hat die Begabung sich um Tausenderlei gleichzeitig zu kümmern‘, sagt die Nichte. ‚Was die Armen wollen, ist gut für das Volk‘, zitiert ihn ein anderer Priester aus dem Elendsviertel. Das Buch stellt klar, dass auch für Erika Rosenberg persönlich der Papst ein Hoffnungsträger unserer Gesellschaft ist.

„Als er Erzbischof von Buenos Aries war, da hielt er auch eine Messe am Bahnhof in einen Rotlichtmilieu für die Prostituierten gegeben. Eine Prostituierte hatte ihm darum gebeten einen Rosenkranz zu segnen und sie sagte zu ihm: ‚Pater, ich lebe in Sünde.’ Und er sagte zu ihr: ‚Wir leben alle in Sünde’. Und segnete ihren Rosenkranz. Ich habe sie, sie heißt Isabella, dann gefragt, was sich für sie seit dem Ereignis geändert hatte. Und sie sagte: ‚Viel, denn sie hat wieder Hoffnung fassen können. Und sie merkt, dass Padre Jorge einer von uns ist.“

Laut Rosenberg setzte Papst Franziskus die richtigen Zeichen für den interreligiösen Dialog. Als Argument dafür nannte sie die lange und tiefgehende Freundschaft mit dem argentinischen Rabbi Albert Skorka oder auch die symbolträchtige Umarmung von Papst Franziskus vor der Klagemauer in Jerusalem mit eben Rabbi Skorka und dem Muslimen Omar Abboud. Die derzeitige Situation in Argentinien ist politisch gesehen angespannt. Vor wenigen Tagen sind hunderttausende schweigend auf die Straßen von Argentinien gegangen, denn sie fordern die Aufklärung des Todes des Sonderanklägers Alberto Nismann. Er war mit den Ermittlungen zum Terroranschlag gegen das jüdische Gemeindehaus in Argentinien 1994 beauftragt worden und wurde tot aufgefunden, wenige Tage später nachdem er die Präsidentin Christina Fernandez de Kirchner beschuldigte, die Strafverfolgung der mutmaßlichen iranischen Drahtzieher vereiteln zu wollen.

„Ich kannte Nisman persönlich. Ich weiß nicht, ob er Recht hatte oder nicht. Aber er hat seine Arbeit mit Vernunft und Sorgfalt ausgeübt. Die ganze Gesellschaft ist politisch seit elf Jahren gespalten. Die Gesellschaft an sich ist gespalten. Ich hoffe von ganzen Herzen, dass die ganze Sache richtig ermittelt wird und dass wir irgendwann mal wissen werden, wie es gewesen war und was uns als Volk überhaupt noch erwartet.“

Vergangen Juli, als sich der schwersten Bombenanschlag in der Geschichte Argentiniens zum 20 Mal jährte schickte Papst Franziskus eine Video-Botschaft in seine Heimat. Er forderte die Stadt Buenos Aires auf, sich der Geschichte zu stellen. Er forderte Gerechtigkeit für die Opfer, die Hinterbliebenen und vor allem Aufklärung. Bis heute ist nicht geklärt, wer die Attentäter waren. Noch immer erhalten die Hinterbliebenen keine Entschädigung. Argentinien hat die größte jüdische Gemeinschaft in Lateinamerika und bereits im Jahr 1992 gab es ein Bombenattentat auf die Botschaft von Israel in Buenos Aires, bei welchem 29 Menschen getötet und 242 verletzt.

Erika Rosenberg hofft, dass ihr Buch zeigt, dass der Papst sich im Grunde nicht verändert habe. Er war schon immer der Mann der armen Kirche. Die Autorin, die auch als Dozentin und Dolmetscherin arbeitet, wurde im Jahr 2014 bereits mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Wichtige Werke sind beispielsweise Biographien von Oskar und Emilie Schindler. Sie ist in ihrem Leben immer auf der Suche gewesen, nach Geschichten von Menschen mit Rückgrat, erklärt sie:

„Wenn ein Mensch schreiben kann oder will, dann kann er dies auf viele Arten tun. Sei es nun einen Roman oder Science Fiction. Ich brauche Menschen, die etwas oder vieles im Leben geleistet haben, ohne sich hoch zu profilieren. Und das war der Fall bei Emilia Schindler. 1990 noch vor dem Film Schindlers Liste, habe ich sie das erste Mal in Buenos Aires getroffen. Sie war völlig vergessen von der Geschichte. Verlassen und vergessen auch von den Geretteten. Ich habe also mir selbst versprochen, ich bringe diese ganze Geschichte wirklich ans Licht, weil sonst sie verloren. Und so sind alle meine Bücher entstanden. Ich brauche Menschen, über die ich schreiben kann und ich muss sie anfassen kann und der Papst, ist ein Papst zum Anfassen.“

(rv 11.03.2015 no)








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