2015-02-25 12:26:00

Libyen: Eine Kirche als Waffenlager


Ein Land mit zwei Regierungen, die einander bekämpfen, mit Rebellengruppen und Halbstarken-Gangs, die ganze Städte kontrollieren, und mit vorrückenden, skrupellosen Dschihadisten: Die Rede ist von Libyen vier Jahre nach Gaddafi. Zum Bild gehört, dass islamische Extremisten die Kirche von Bengasi – angeblich – als Waffenlager nutzen. Bischofsvikar von Bengasi ist Sylvester Magro, wir erreichten ihn telefonisch auf Malta. „Wir wollen doch, wie die Libyer, nur Frieden und ein normales Leben“, sagt er, „so wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben. Diese ganze Verwirrung, die sich jetzt ergeben hat, lastet auf der Bevölkerung und auch auf uns.“

Christen gibt es nur wenige in Libyen; die meisten sind Ausländer, zum Beispiel Gastarbeiter von den Philippinen. Sie hätten sich diesen plötzlichen Sturz in bürgerkriegsähnliche Zustände noch vor ein paar Monaten nicht im Traum vorstellen können, so Bischof Magro. „Leider haben wir damit nicht gerechnet. Alles ist binnen weniger Stunden gekippt: Am 4. November hat man uns angerufen und gesagt, wir bringen euch an einen sicheren Ort. Seit vier Monaten haben wir unsere Kirche also nicht mehr gesehen; dass sie zu einem Waffendepot geworden sein soll, haben wir aus dem Internet erfahren. Ich habe Mitbrüder angerufen, aber auch die wissen von nichts, weil man derzeit nicht in diese ‚heiße’ Zone hineinkann; daher können wir nichts bestätigen.“

Zusammen mit anderen Bischöfen, die für Libyen zuständig sind, kommt Magro bald zum Ad limina-Besuch nach Rom. Er sieht in Papst Franziskus einen Verbündeten in der Hoffnung auf Frieden für Libyen. „Das ist eine Zeit des Leidens und der Angst. Wir sind dazu gezwungen, uns in unseren Wohnungen einzuschließen; wir beten und hoffen auf bessere Zeiten... Unsere Hoffnung zielt auf ein von der UNO vermitteltes Abkommen, das für dieses leidgeprüfte Volk und auch für uns den Frieden wiederherstellt.“

‚Wann ihr hinüberfahrt, entscheiden wir!’

Frieden für die Libyer, Frieden für die Christen dort – und Frieden auch für die Migranten aus dem Nahen Osten und aus Afrika: Sie wollen eigentlich von Libyen aus die Überfahrt nach Europa wagen und sind jetzt auf einmal Geiseln des aufgebrochenen Konflikts. Ein Video des ‚Daily Telegraph’ zeigt syrische Flüchtlinge in Libyen, sie knien halbnackt und gedemütigt vor den Kalaschnikows, die Menschenhändler auf sie richten. Der Priester Mussie Zerai, Gründer der NGO „Habeshia“ für Flüchtlingshilfe, kennt viele solcher Fälle. „Mich haben Leute angerufen, die waren zu etwa sechs- oder siebenhundert Menschen in einer Lagerhalle unter wirklich schrecklichen Bedingungen eingesperrt: ohne Klo, misshandelt, von Bewaffneten umringt. Frauen und Kinder wurden jeden Tag von diesen Bewaffneten erpresst, die sagten: ‚Wann ihr hinüberfahrt, entscheiden wir! Uns ist komplett egal, wie gerade das Wetter ist oder was ihr für Ängste habt.’“

In italienischen Medien wird derzeit oft die Befürchtung geäußert, Dschihadisten könnten Bootsflüchtlinge als eine Art ‚Waffe’ einsetzen – oder sich gar selbst, als Migranten getarnt, unter sie mischen. Aber der aus Eritrea stammende Priester Zerai urteilt: „Diese Erpressung ist gar nichts Neues, das machte auch Gaddafi schon. Allerdings, die haben schon gelernt, dass Europa besorgt ist über diese anlandenden Menschenströme, und dass man die Europäische Union politisch damit erpressen kann... Nach allem, was ich von vielen Informanten höre, kommen jetzt sehr viele Menschen aus dem Sudan, aus der Gegend von Darfur. Auch wenn keiner davon spricht, kein Fernsehen und keine Zeitung in Europa: Hier gehen ganze Dörfer in Flammen auf, und das jagt Tausende von Menschen in die Flucht. Sie kommen nach Libyen und enden dort in den Händen dieser extremistischen, bewaffneten Gruppen.“

„Ein Riesengeschenk für die Extremisten“

Was tun, damit die Lage in Libyen – nicht nur für die dortigen Flüchtlinge, sondern für die Bevölkerung überhaupt – nicht immer schlimmer wird? Vor allem könnte Europa dabei mithelfen, dass die Stammeschefs in Libyen die Sache unter sich abmachen, findet Don Mussie. Eine ganz schlechte Idee wäre aus seiner Sicht ein militärisches Eingreifen der Europäer in Libyen: „Das würde die Lage noch mehr erhitzen und wäre ein Riesengeschenk für diese Extremisten; ich glaube nicht, dass das die Lösung wäre! Das hätte man 2011 machen können, aber man hat es unterlassen – jetzt dagegen wieder europäische Armeen nach Libyen zu schicken, wäre ein immenses Geschenk ans Kalifat.“

Wenn schon ein militärisches Eingreifen, dann müsste das von den Nachbarländern ausgehen, sagt Mussie Zerai, von Algerien, Tunesien, Ägypten. „Aber Libyen ist ja in Clans und Stämme geteilt; darum müsste man die Rolle dieser Stammesführer wieder herstellen, man müsste sie untereinander ins Gespräch bringen. Das würde die Extremisten isolieren, alle, die IS, al-Qaida oder anderen Gruppen angehören. Ich glaube nicht, dass die Lösung durch Bomben zustande kommt.“

(rv 25.02.2015 sk)








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