2015-02-22 11:23:00

Mit Geduld und Wahrheit: Lösungen für die Ukraine


 

Die Ukraine-Krise war unter den wichtigsten Vatikanthemen in den vergangenen Tagen: Papst Franziskus hatte die Bischöfe des Landes zum Besuch Ad-Limina empfangen und sie in ihrer Aufgabe bestärkt, Zusammenarbeit, Begegnung und das friedliche Lösen von Konflikten zu fördern. Sie sollten Verteidiger des Schwachen inmitten des Konfliktes sein. Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk von Kiew wird an diesem Montag genauer erläutern, was das bedeutet. Und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Papst Franziskus am Samstag auch über dieses Thema gesprochen.

Radio Vatikan hat dazu Pater David Nazar interviewt, den Regionaloberen der Jesuiten in der Ukraine, der sich zu einigen Konferenzen in Rom aufhielt.
Wir haben ihn gefragt, ob abseits der großen Meldungen von Friedensabkommen und deren Bruch, von politischen Treffen und weltweiten Aufrufen die Menschen vor Ort noch Hoffnung auf Frieden haben.

Pater David Nazar: „Die Menschen haben ein großes Selbstvertrauen, was ich sehr beeindruckend finde. Die Kultur ist außerdem voller Spiritualität. Haben die Menschen Hoffnung auf eine Lösung? Öffentlich sagen sie: ‚Wir haben das 20. Jahrhundert überlebt, wie haben das Sowjet-Regime überlebt, wir werden auch diese Aggression überleben‘. Aber niemandem ist klar, ob das die gesamte Ukraine betrifft oder ob das Land noch weiter Territorium verliert. Es ist ein Gewicht, dass alle Menschen spüren, es ist das erste Thema mit jedem den man auf der Straße trifft. Es wird viel gebetet, die Kirchen sind voll und die Predigten sind meistens sehr gut. Es geht immer darum, die Furcht nicht das Herz besetzen zu lassen und keinen Hass auf die Russen zuzulassen. Die Ukrainer sind hier wirklich beeindruckend.“

Radio Vatikan: Das Massaker auf dem Maidan liegt bereits ein Jahr zurück, über die Krim und die aktuellen Ereignisse schon fast vergessen, davor gab es aber auch schon immer wieder Revolutionen, wie die orangene. Haben die Menschen nach diesen dauernde Unruhen, die seit der Unabhängigkeit andauern, noch eine Vorstellung von einer ruhigen und friedlichen Zeit?

Nazar: „Absolut ja. Jede dieser Revolutionen war eine Revolution gegen die Regierung. Und jede Revolution hat dem Volk irgendwas gebracht: etwas mehr Demokratie, etwas mehr Transparenz. Der Maidan war mehr als das, es war ein Wendepunkt der das Ende korrupter Regierungen bedeutet. Das wird nicht mehr toleriert.
Über die Jahre ist auch die Zahl der Menschen, die für europäische Werte und europäische Integration sind, stetig gewachsen. Viele kennen Europa, haben dort gearbeitet, auch aus Donezk, das im Augenblick so umkämpft ist. Die Erfahrungen der Reste des Sowjetregimes geht immer weiter zurück, auch im Osten der Ukraine.“

RV: Die Ukraine kennt viele christliche Konfessionen, griechisch katholisch, römisch katholisch, russisch orthodox und viele andere. Spielt beim Ringen um den Frieden die Ökumene eine Rolle?

Nazar: „Zwischen allen christlichen Konfessionen und auch zwischen den Religionen hat es immer gute Beziehungen gegeben – etwas schwierig ist es nur manchmal mit dem Moskauer Patriarchat [der russisch orthodoxen Kirche] wegen dessen enger Verbindung zur russischen Regierung. Aber alle fühlen sich als Ukrainer, bei den Maidan-Demonstrationen waren alle Bekenntnisse und alle Religionen dabei. Die ökumenische Zusammenarbeit läuft insgesamt sehr gut.“

RV: Die Sprache in der Ukraine scheint im Augenblick die der Gewalt zu sein, wer mehr davon anwendet bekommt, was er will. Dominiert die Gewalt langsam auch den Alltag?

Nazar: „Eher im Gegenteil. Wenn man auf die Antwort der Ukraine auf die Angriffe im Osten schaut, dann ist die Tendenz vom Präsidenten abwärts die, nicht zu kämpfen, sondern Gewalt einzudämmen. Diese Haltung ist auch die der Menschen, wir können nicht einfach Russen hassen, wir können nicht noch mehr Menschen töten. Sie werden im Land keinen Geist finden.
Ein Beispiel sind viele junge Menschen, die ich kenne, die vor der Entscheidung standen ob sie kämpfen sollen oder weiter zivil für den Aufbau des Landes arbeiten, sie haben das wirklich durchgebetet und die meisten haben sich schließlich für Letzteres entschieden: Sich nicht am Krieg zu beteiligen, sondern den Aufbau des Landes für wichtiger zu halten.
Sie dürfen nicht vergessen, dass die Ukraine im vergangenen Jahrhundert 25 Millionen Menschen verloren hat, durch Hunger, Unterdrückung und den Krieg. Man weiß, was Leiden bedeutet und deswegen auch, dass Gewalt nicht die Lösung für das Problem ist.
Die Ukraine will das diplomatisch lösen, die Ukraine will das mit Geduld lösen, es gibt eine große Nähe zwischen den Ukrainern und den Russen, man schiebt die Schuld nicht dem russischen Volk zu.“

RV: Es braucht also vor allem Geduld?

Nazar: „Geduld und Wahrheit. Es gibt viel zu viele Lügen hier, und es geht nicht um verschiedene Sichtweisen, es geht um Lügen. Wir müssen die Wahrheit sagen gegen die, die uns sagen wollen, dass es keine Möglichkeit gibt außer einer militärischen.“

 

Pater David Nazar SJ stammt aus einer ukrainischen Familie des byzantinischen Ritus, seit seinem Eintritt in den Jesuitenorden ist er bi-rituell, d.h. feiert sowohl im lateinischen als auch im byzantinischen Ritus Messen. In Toronto / Kanada geboren trat er dort den Jesuiten bei, lebt und arbeitet aber seit über zwölf Jahren in der Ukraine als Regionaloberer.

Von den rund 48 Millionen mehrheitlich orthodoxen Bürgern der Ukraine sind rund zehn Prozent Katholiken. Von diesen zählten etwa 85 Prozent zur Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche unter dem Großerzbischof von Kiew-Halytsch, Swjatoslaw Schewtschuk. Die Lateiner werden von Erzbischof Mieczyslaw Mokrzycki von Lwiw (Lemberg) angeführt, dem früheren Privatsekretär der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

(rv 22.02.2015 ord)








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