2015-02-10 07:30:00

Irak: Kirche kauft Menschen vom IS frei


„Es werden nun mal nicht alle ausreisen können…..“ So lautet der Stoßseufzer von Karin Maria Fenbert nach ihrer neuesten Irak- Reise als Geschäftsführerin von „Kirche in Not“. Fenbert steht seit sechs Jahren an der Spitze des deutschen Ablegers des weltweiten Hilfswerks. Im Interview mit Radio Vatikan erzählt sie von der Planung einer christlichen Siedlung in Kirkuk, von Konflikten innerhalb der Flüchtlingslager - und vom Menschenhandel der IS-Terroristen mit Christen.

„Kirche in Not“ ist schon lange im Irak aktiv, erklärt Fenbert. Eines der wichtigsten Anliegen sei, dass die christliche Präsenz an Euphrat und Tigris nicht völlig verschwinde. In Irakisch-Kurdistan hat sie sich ein Bild von der Lage der Christen gemacht, die vor den IS-Terroristen dorthin geflohen sind.

„Seit letzten Oktober hat sich die Situation in Erbil verbessert, denn die Menschen haben nun ein Dach über dem Kopf. Diejenigen, die in Zelten wohnen, wohnen in sehr guten Zelten, und sie wollen dort auch bleiben. Insofern hat sich die Lage verbessert; aber verschlechtert hat sich natürlich die innere Zuversicht.“

Die Hoffnung der Flüchtlinge und Vertriebenen auf Rückkehr sei auf null geschrumpft. Im Oktober letzten Jahres hatten viele noch gedacht, vielleicht gelinge es ja, den IS schnell wieder zu vertreiben. Doch mittlerweile setzen die meisten auf ein Verlassen des Irak, selbst wenn das ihre Familie zersplittern sollte:

„Ein Mann, der uns in diesen Tagen immer wieder gefahren hat, hat Frau und Kinder. Die hatten ein Visum bekommen in die USA, und er hat ein oder zwei Tage später das Visum beantragt, aber keines mehr bekommen. Seit dieser Zeit lebt er getrennt von seiner Familie. Das dürfte im Irak häufiger vorkommen.“

In den Flüchtlingslager hat Frau Fenbert einige Spannungen erlebt: Sie spricht von sozialen Konflikten, von einem „Lagerkoller“. Der Erzbischof von Erbil und seine Pfarrer seien für solche Umstände nicht ausgebildet worden, erklärt sie, sie könnten oft die Lage nicht mehr kontrollieren. Vor allem, seitdem die Flüchtlingslager unkontrollierbare Größen angenommen hätten:

Spannungen in den Flüchtlingslagerningslagern

„Es gibt zum Beispiel ein Flüchtlingszentrum, da sind tausend Personen untergebracht. Seit Monaten sind diese Menschen von der Kirche abhängig: Nahrungsmittel, Kleidung, Strom, Wasser. Der Mensch läuft Gefahr, sich schnell an solche Zustände zu gewöhnen. Abhängigkeitsverhältnisse werden dadurch verinnerlicht. Es kommt leider auch zu einer Haltung nach dem Motto: Ihr müsst jetzt für mich sorgen, ich kann mich jetzt nicht mehr genügend um mich selber kümmern. Das ist ein Problem an den Flüchtlingsstellen, wo kein durchsetzungskräftiger Pfarrer vor Ort ist, der hier geordnete Strukturen aufbauen kann.“

Gegen den Lagerkoller oder die Da-kann-man-nichts-mehr-machen-Haltung hilft nur, die Menschen wieder in die Selbstständigkeit zu führen. Familienväter müssen Jobs finden, in Erbil sei das die Baubranche, in der Öl-Stadt Kirkuk hingegen würden viele als Sicherheitsleute für Kirchen eingesetzt. Ein Lichtblick am Himmel sei der Fertigbau einiger Schulen von „Kirche in Not“. So bekämen zumindest die Kinder ihren Alltag zurück.

Furchtbares hat Frau Fenbert vom Erzbischof von Kirkuk, Yousif Thomas Mirkis, gehört. Der habe das Leben einiger Christen aus den Händen der IS-Terroristen gerettet, indem er sie im wahrsten Sinne des Wortes gekauft habe:

„Der IS verdient sein Geld auch dadurch, dass er Menschen verkauft, vornehmlich Christen, Jesiden, Frauen und Kinder. Der Erzbischof von Kirkuk selber hat sechzig Personen freigekauft, vermittelt durch Muslime, die dadurch selbst Kopf und Kragen riskiert haben. Denn die Muslime, die sich im IS-Gebiet für Christen einsetzen, müssendamit rechnen, getötet zu werden. Vermutlich waren das gemäßigte Sunniten, die vermittelnd tätig wurden.“

Im nordirakischen Kirkuk, wo es am 30. Januar zu einem Großangriff des IS kam, gibt es laut Erzbischof Mirkis seit Juli rund 400.000 Flüchtlinge aus dem derzeit besetzten Gebiet des IS. Sie kamen in drei großen Flüchtlingswellen: Als der IS sich in Syrien bildete, dann vom 10. Juni an, als dem IS die Millionenstadt Mossul in die Hände fiel, und schließlich ab Anfang August, als die Ninive-Ebene eingenommen wurde. Unter diesen 400.000 Flüchtlingen sind alle vertreten: Muslime, Jesiden, Christen. Letztere sind hier laut „Kirche in Not“ in der Minderheit, sie stellen unter den Flüchtlingen nur 11 Prozent. Die Kirche in Kirkuk helfe allen, unterstreicht Fenbert. Einige arbeiteten als Wachpersonal, andere in der Erdölindustrie. Untergebracht seien sie oft in Lagern innerhalb von Kirchen:

„Davon war eines in einer assyrisch-orthodoxen Kirche, dort wurden die Räumlichkeiten genutzt. Ein weiteres in einer assyrischen Kirche ist sofern interessant, als diese Kirche nur einen Kilometer von dem Hotel entfernt liegt, wo am 30. Januar das Selbstmordattentat verübt wurde. Die Flüchtlinge hatten Angst, dass der IS nun auch Kirkuk einnehmen wollte, und sie hatten schon ihre Sachen gepackt. Sie sind aber dann doch wieder zurückgekommen.“

Eine christliche Siedlung für die Ölstadt

Erzbischof Mirkis hält die Stadt für sicher: trotz der Nähe zu den IS-Grenzpunkten – es sind nur lächerliche 12 km – und trotz der bekannten Ölquelle, die der IS wohl gerne für sich erobern würde, es wäre ja auch nicht seine erste. Der Erzbischof will in Kirkuk eine Siedlung für Christen aufbauen. Da könnte er, sagt die Geschäftsführerin von „Kirche in Not“, sicher auf die Unterstützung des Hilfswerkes zählen:

„Wenn er uns da die entsprechenden Nachweise bringen kann, dass die entsprechenden Grundstücke tatsächlich der Kirche gehören, wird „Kirche in Not“ vor Ort helfen. Weil es dann auch um ein pastorales Projekt geht - und weil es uns ein großes Anliegen ist, auch Christen im Irak zu behalten.“

„Kirche in Not“ versucht im Irak vor allem eine Perspektive für Kinder zu schaffen: Das bedeutet den Bau von Schulen, das bedeutet Nahrungsmittelpakete, Weihnachtspakete. Nicht nur für Weihnachten 2014, sondern wohl auch für das kommende Weihnachten am Jahresende.

„Das Denken hat sich seit Oktober sehr verändert. Im Oktober gab es noch die Hoffnung in die Heimat zurückzukehren. Die Menschen sehen jetzt aber, dass sie wohl länger im Raum Erbil bleiben müssen, weil nicht jeder ein Visum bekommen wird, wenn man denn auswandern will. Genau dasselbe gilt auch für Kirkuk. Deswegen muss man sehen, wie man sinnvoll eine Zukunft in Erbil aufbauen kann.“

Maximal gibt es nach kirchlichen Angaben noch 200.000 Christen im Irak. Und die Zahl schrumpft nahezu täglich:

„Weil die Familien jede Chance ergreifen, um ins Ausland zu gehen. Alleine in Australien gibt es eine Gemeinde von Irakern von 50.000 Menschen; in Detroit 250.000 Menschen. Nichtsdestotrotz, es werden nicht alle ausreisen können, wahrscheinlich wollen auch nicht alle ausreisen. Die bestausgebildeten und reichsten Iraker haben schon länger das Land verlassen. Die Ausreisebewegung ist ja bereits seit 2003 im Gange.“

(rv 09.02.2015 no)








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