2015-02-07 11:01:00

Unser Buchtipp: Nichts als der Mensch


„Nichts als der Mensch“: Der Titel dieser Anthologie klingt zunächst wie ein Verschnitt aus der juristischen Formel „Nichts als die Wahrheit“ und der Frage von Psalm 8 „Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst?“ Dieser Psalm, der so direkt die Frage nach dem Menschen stellt, wird übrigens, das zeigt ein erstes Blättern, in dieser Anthologie nicht aufgeführt, und auch nicht das berühmte „Ecco homo!“, „Das ist der Mensch!“ des auf den gefolterten Christus deutenden Pilatus. Wie überhaupt christliche Texte zum Menschen erst ab dem hl. Augustinus erfasst werden… Doch dieser Titel „Nichts als der Mensch“ ist gar kein Verschnitt aus Biblischem, sondern Anklang an eine Ode des Sophokles von 441 vor Christus, mit der dieses Werk anhebt: „Vielgestaltig ist das Ungeheure, und nichts / ist ungeheurer als der Mensch…“

Ein großartiges Buch. Und, zunächst einmal, ein großes: ein Folio-Band, drei Kilo schwer. Der Schweizer Philosoph Georg Brunold hat Texte aus zweieinhalb Jahrtausenden der Geschichte ausgewählt, die ein besonderes Bild auf den Menschen werfen; und er hat dies von Nairobi, von Kenia, aus getan. „Von der Peripherie aus“, würde Papst Franziskus das nennen. Auch wenn Brunold vor allem europäische Autoren in Betracht zieht, merkt man ihm diesen interessierten Blick von der Seite her an. Seine Ausgangsthese lautet: Wir haben im Lauf der abendländischen Geistesgeschichte zuviel darüber nachgedacht, wie der Mensch sein sollte, dabei aber nicht die laut Kant höchste Frage der Philosophie, die grundlegende Frage, beantwortet, nämlich was der Mensch überhaupt ist. Brunold versucht nun, Antworten darauf im Originalton zu finden: von Casanova, Shakespeare, Frank Schirrmacher, Thomas Jefferson, Hölderlin… Es ist ein Parforce-Ritt durch das Denken und Reden vom Menschen, etwa dreihundert sehr unterschiedliche Autoren sind hier versammelt, viele Texte wurden eigens für diesen Band übersetzt (aus dem Griechischen, aus dem Lateinischen, aus dem Arabischen…), manche erscheinen hier sogar erstmals in Buchform.

Nun lebt eine Anthologie natürlich von der Auswahl – und da ist Brunold geradezu genial vorgegangen. Vor allem unterläuft er planmäßig alle Erwartungen: keine biblischen Texte (wie eingangs gesagt), dafür auch keine indianischen Schöpfungsmythen, wie sie durch andere Anthologien geistern. Ein Erasmus-Text über den „freien Willen“, der sofort durch eine Luther-Philippika „Vom unfreien Willen“ gekontert wird. Keine Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution, stattdessen ein knallharter Auszug aus einer Robespierre-Rede und ein zeitgenössischer Bericht über die Hinrichtung von Marie-Antoinette. Kein Auszug aus der UNO-Menschenrechtserklärung, stattdessen Churchills Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede. Keine Wir-sind-alle-Brüder-Proklamation von Nelson Mandela, stattdessen sein Aufruf zum Kampf, mit dem er in den sechziger Jahren in den Untergrund gegangen war. Ein Text des hl. Augustinus nicht über seine Jugendirrungen und –wirrungen, sondern über die Hölle. Von Mozart kein Libretto-Auszug, sondern einen Brief, in dem er von seiner Arbeitssuche erzählt. Keine Nobelpreisreden findet man hier, keine Kranzniederlegungen aus Yad Vashem – stattdessen triumphiert das Überraschende. Auch von bekannten Denkern finden sich hier gerade die weniger bekannten Texte: Flaubert mit Notizen von einer Ägypten-Reise, Galilei mit einer Abhandlung „Gegen das Tragen des Talars“. Aber an manchen monumentalen Texten kommt natürlich auch diese Anthologie nicht vorbei, etwa Büchners „Krieg den Palästen“ oder Voltaires „Erdbeben von Lissabon“. Die Mischung macht`s. Sie ist, das muss man wirklich sagen, überzeugend.

In kurzen, den Originaltexten vorangestellten Notizen leistet „der Herausgeber“, wie er sich etwas gravitätisch selbst betitelt, ausgesprochen originelle – und immer erhellende – Einordnungen in größere Kontexte. Das gibt selbst Texten, die man schon zu kennen glaubte, eine erfrischend andere Anmutung. Beispiel: eine Abhandlung des hl. Thomas von Aquin über die Erbsünde. Da vermerkt Brunold in wenigen Zeilen Kommentar so unterschiedliche Dinge, wie dass Thomas es „in der Klausur auf 150 Kilogramm Körpergewicht“ brachte, und dass die Einteilung in konservativ vs. progressiv letztlich auf ihn zurückgeht. Außerdem zitiert er ein kalabrisches Sprichwort, dass der Fisch vom Kopf her stinke – und das alles lenkt ausgesprochen elegant hinüber in den Text des Aquiners, der ohne diese Erläuterungen vor allem eines wäre: sturztrocken.

Brunold zieht mit dieser außerordentlichen Sammlung den Hut vor den „wirklich wachen, eigengesetzlichen Köpfen“, zu denen man auch ihn zählen kann. Er gibt, wie der Verlag zu Recht betont, allen eine Stimme: „Sklaven und Sklavenfängern, … Pestkranken, Kastraten, denkenden Dichtern, Glaubensfanatikern, Opiumsüchtigen…“ Ein Panoptikum des Menschlichen, ein großes Buch!

„Nichts als der Mensch – Beobachtungen und Spekulationen aus 2500 Jahren“, Hrsg. Georg Brunold, Galiani Verlag Berlin








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