2015-01-09 12:50:00

Sierra Leone: „Ebola wird nicht am Schreibtisch geheilt“


Seit einem Jahr kämpft Westafrika gegen Ebola. In den Hochphasen haben die internationalen Medien täglich über die sich immer weiter ausbreitende Pandemie berichtet. Inzwischen ist es jedoch ruhiger geworden um das Thema. Lothar Wagner ist Salesianer in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, dem neuen Epizentrum der Pandemie. Das Ebola immer mehr aus den Medien verschwunden ist, kann Bruder Lothar nicht verstehen.

„Dass die Medien nicht mehr über Ebola berichten, ist für mich schleierhaft und nicht nachvollziehbar. Vor allem weil die die Situation heute, im Januar 2015, weitaus schwieriger ist als im vergangenen August, als die Medien noch darüber berichtet haben!“

Grundsätzlich hat sich laut Lageberichten der Weltgesundheitsorganisation WHO die Situation etwas entspannt. Ebola sei auf die Kerngebiete zurückgedrängt worden, und apokalyptische Szenarien seien eben nicht eingetroffen. Aber diese grundsätzliche Entspannung darf man nicht falsch interpretieren, weiß Bruder Lothar:

„Auch wenn die apokalyptischen Vorhersagen nicht eingetroffen sind, ist die Situation nach wie vor dramatisch. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir jeden Tag bis zu vierzig neue Infektionen haben, vor allem hier in Freetown, der Hauptstadt. In den Armutsvierteln hier ist die Situation nach wie vor außer Kontrolle. Die Menschen meiden Kontakt; das ist nach wie vor hier eine Ausnahmesituation.“

Neben der immer noch wütenden Pandemie beklagt Bruder Lothar auch die inzwischen eintretenden Nachwirkungen. Die Lage von jungen Menschen, um die er sich in Freetown besonders kümmert, habe sich wegen Ebola sehr verschlechtert. Schulen sind weiterhin geschlossen und Kinder landen reihenweise auf der Straße. Auch die Zahlen von sexuellem Missbrauch seien angestiegen. Das Mädchenhaus der Salesianer Don Boscos sei an den Grenzen seiner Kapazitäten.

In vielen Bereichen Westafrikas brennt sich die Pandemie langsam aus, so Bruder Lothar. Präventionsmaßnahmen werden inzwischen eingehalten und das lokale Pflegepersonal habe Enormes geleistet, so dass insgesamt die Zahlen der Neuinfizierten rückläufig sind.

„Auf der anderen Seite müssen wir natürlich nach wie vor beklagen, dass die internationalen Hilfen hier viel zu spät eingegangen sind. Das war und ist nach wie vor beschämend! Die UN ist momentan nur darauf aus, ihr Image aufzupolieren.“

Seit Beginn der Ebola-Pandemie fordere man mehr Personal an, das direkt vor Ort die lokalen Kräfte mit Know How und Material unterstützen sollte. Nur so könnte für Bruder Lothar effiziente und für die Infizierten auch heilende Unterstützung aussehen. Die vermisst er jedoch von der internationalen Gemeinschaft.

„Das ist eben eine Sache, wo ich zutiefst enttäuscht bin von der internationalen Gemeinschaft, die bis heute einfach gedacht und geglaubt hat, das sich das vom Schreibtisch aus regeln lässt - und das ist definitiv nicht der Fall.“

Durchaus pragmatischer ist die Zusammenarbeit des Ordens mit der Regierung von Sierra Leone. Die Salesianer wirken in mehreren Arbeitsgruppen mit, so dass Hilfsaktionen anlaufen und effektiv sein können. Doch auch die Arbeit mit der Politik vor Ort hat ihre Tücken, sagt Bruder Lothar:

„Da gibt es viel Kompetenzgerangel, es gibt sehr viel Geld zu verteilen und von daher auch viele Gelder, die im Sumpf der Korruption verschwinden. Wir dürfen nicht vergessen, dass Sierra Leone auch vor der Ebola-Epidemie eines der korruptesten Länder der Welt war und nach wie vor ist.“

Obwohl sich Bruder Lothar von der internationalen Gemeinschaft vergessen fühlt, war die Gemeinschaft Don Bosco einigermaßen gut vernetzt und konnte auf viel Solidarität und Unterstützung von Privatpersonen bauen. Die Salesianer vermuten aber, dass die Ebolakrise das Land noch bis zum Ende des Jahres im Griff haben wird.

„Wir stehen kurz vor einer Hungersnot in Sierra Leone. Die Preise sind enorm; Menschen haben ihre Arbeit verloren. Es ist jetzt an der Zeit, rechtzeitig Aktivitäten einzuleiten, damit wir jetzt nach der Ebolakrise nicht in eine Hungerkrise schlittern, und damit es nicht zu Unruhen kommt. Ich warne ausdrücklich davor, den Blick dieser ganze Krise nur auf die Ebolapandemie zu lenken. Es gibt schwerwiegende Nebenwirkungen, die wir jetzt unter Kontrolle kriegen müssen.“

Erst dann kann ein Wiederaufbau des Landes in Angriff genommen werden. Dafür werden weitere Investitionen benötigt, so dass Menschen wieder Arbeit finden und wieder für sich selber sorgen können, so Bruder Lothar.

(rv 09.01.2015 pdy)








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