Glaube braucht Vernunft und umgekehrt: Dieser Thematik hat sich Holger Zaborowski
besonders angenommen: er ist Professor für Philosophie, philosophische Ethik und Philosophiegeschichte
an der Philsophisch-theologischen Hochschule in Vallendar bei Koblenz. Der Glaube
braucht die Vernunft, um sich auszudrücken und sich verständlich zu machen und die
Vernunft braucht den Glauben, um nicht in der Ideologie zu verkümmern oder in der
Utopie zu landen. Keinen von beiden ist sonst gedient und den Menschen ebenso wenig.
Eine Tatsache, die Augustinus, Bischof und Theologe im Übergang vom 4. zum 5. Jahrhundert
auf den Punkt gebracht hat: Der Glaube sucht den Verstand.
Herr Professor Dr. Zaborowski, fangen wir so an: was ist eine gute Frage in der Philosophie?
Oder gibt es auf diesem Gebiet nur gute Fragen?
„Die Frage, die Sie mir als Erste stellen, ist eine sehr interessante Frage. Es gibt
sicherlich in der Philosophie nicht nur gute Fragen. Es gibt auch Fragen, die in die
Irre führen, auch Fragen, die falsch gestellt werden. Vielleicht gibt es zwei Merkmale
einer guten philosophischen Frage: zum einen gibt es Fragen, die zu einem vertieften
Verständnis von Wirklichkeit führen – die uns also helfen, das was ist, besser, tiefer
zu verstehen, über den bloßen Augenschein hinaus zu gehen. Und dann sind gute Fragen
in der Philosophie jene Fragen, die zu mehr anderen Fragen führen.
Die Philosophie ist seit Urzeiten die Suche nach der Wahrheit. Hat sie dieses Ziel
erreicht? Wenn nicht, wann wird es soweit sein?
„Meines Erachtens wird die Philosophie die Wahrheit nie erreichen. Die Philosophie
ist ja von ihrer Wurzel her, die Suche nach der Weisheit. Also sie strebt, sie sucht,
sie begehrt jenes Wissen, um das es ihr geht. Daher kann man in der Philosophie eigentlich
nicht von einem Fortschritt sprechen. Für uns sind die Texte, die Aristoteles, die
Platon geschrieben haben, immer noch wichtig, weil sie uns in erstaunlicher Weise
immer noch zu denken geben, Die Philosophie ist immer noch auf der Suche und sie hält
immer einen Horizont offen, der vielleicht jener Horizont ist, den wir die Wahrheit
nennen. Jedenfalls orientiert sie sich am Horizont der Wahrheit .
Am Anfang des Glaubens steht die Frage nach Gott, welche Frage steht am Anfang der
Philosophie?
„Meines Erachtens drei Fragen: die Frage nach Gott, die Frage nach dem Menschen und
die Frage nach der Welt. Diese Fragen können nicht unabhängig voneinader beantwortet
werden, sondern sie spiegeln sich wechselseitig. Frage ich nach Gott, so frage ich
immer auch nach dem Menschen und immer auch nach der Welt, frage ich nach dem Menschen,
so frage ich immer auch nach Gott und der Welt und frage ich nach der Welt, so frage
ich immer auch nach Gott und dem Menschen.”
Wer bin ich? Auf diese klassische Frage der Philosophie geben große Denker die unterschiedlichsten
Antworten. Wohl jeder Mensch fragt sich irgendwann in seinem Leben, was er eigentlich
ist? Ein Wesen mit unsterblicher Seele? Ein vergängliches Geschöpf?
„Auf diese Frage ließen sich sehr viele Antworten geben. Der Mensch ist ein Wesen
mit unsterblicher Seele, er ist gleichzeitig auch ein endliches, vergängliches Geschöpf.
Es gibt viele andere Antworten, die die Philosophie der Geschichte gegeben hat. Der
Mensch ist ein Wesen, das Sprache hat, der Mensch ist jenes Wesen, das über Vernunft
verfügt, das mit anderen Menschen zusammenlebt, das ein soziales Leben führt, das
ein politisches Leben führt. Mir scheint in der heutigen Situation sehr wichtig zu
sein, darauf hinzuweisen, dass der Mensch Person ist. Und mit Person ist gemeint:
er ist nicht einfach nur der Einzelfall, das Exemplar einer Gattung, er ist nicht
einfach nur ein Beispiel für das was es bedeutet Mensch zu sein, sondern er ist ein
einzigartiges Wesen. Jeder Mensch ist einzigartig. Der Mensch ist nicht nur etwas,
sondern immer auch jemand. Das Jemand ist immer ein Ich. also ein einzigartiges Wesen.”
Die Naturphilosophie versucht, die natürliche Welt als Ganzes zu ergründen. Was ist
Realität? Was sind Raum und Zeit? Wer liefert hier die richtigen Antworten? Die Vernunft
oder der Glaube?
„Beides – Vernunft und Glauben ergänzen sich. Sie sind aufeinander angewiesen. Und
wenn man darüber nachdenkt, was Vernunft und Glauben bedeuten, dann stellt man fest,
dass sie nicht einfach entgegen gesetzt
sind. Dass sie ineinander verschränkt sind. Unsere Vernunft, unser Vernehmen, unser
Nachdenken geschieht nicht ganz ohne Moment des Glaubens und der Glaube geschieht
auch nicht ohne Moment der Vernunft. Vernunft und Glaube helfen uns tiefer die Wirklichkeit
zu verstehen.”
Willensfreiheit ist die Fähigkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten
eine Wahl zu treffen. Doch wie frei sind unsere Entscheidungen wirklich? Ist Willensfreiheit
vielleicht nur eine Illusion?
„Diese These wird von einigen Autoren vertreten. Hier stellt sich mir eine grundlegende
Frage. Diese Autoren versuchen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien eine
grundlegende Aussage über den Menschen zu treffen und sie sagen: Willensfreiheit gibt
es nicht. Gleichzeitig spielt die Freiheit, wie wir uns selbst verstehen, eine ganz
zentrale Rolle. Es spielt eine Rolle im Recht, es spielt eine Rolle in der Moral.
So stellt sich die Frage: wenn denn die Willensfreiheit eine Illusion wäre, damit
nicht auch grundlegende Intuitionen, Selbstverständnisse, radikale Fragen gestellt
werden? Das ist der Fall. Allerdings muss das nicht so sein. Denn wir könnten ebenfalls
fragen, ob die Lebenswelt nicht eine Sicherheit für sich beansprucht, sodass der Versuch
auf einer wissenschaftlichen Grundlage die Willensfreiheit in Frage zu stellen, sich
als problematisch erweist, als etwas, das vor der Lebenserfahrung keinen Bestand hat.”
Kognition, Gefühl und Vernunft. Wozu dienen diese Gefühle? Ist es nicht manchmal so,
dass uns Emotionen, Gefühle sogar besser als die kühle Vernunft offenbaren, was gut
und richtig ist?
„Das stimmt, das ist ja oft der Fall. Es gibt ja das berühmte Bauchgefühl und die
Philosophie kann dann dabei helfen, im Nachhinein darüber nachzudenken, warum dieses
Bauchgefühl richtig war. Wir können uns durchaus auch auf das Gefühl verlassen, auf
unsere Emotionen, müssen aber auch dann in der Philosophie prüfende Fragen stellen.”
Vernunft und Glaube – ein uraltes Thema, das heute mit ungeahnter Aktualität auf der
Tagesordnung auch des allgemeinen gesellschaftlichen Diskurses steht. Nicht zuletzt
Papst Benedikt XVI. emeritus hat über Jahrzehnte hin die Spannung dieser beiden Begriffe
immer wieder ins Bewußtsein gerufen und thematisiert. Und auch er kommt zu dem Schluss:
Glaube braucht Vernunft und umgekehrt. Herr Zaborowsky, was haben Denken und Glauben
miteinander zu tun?
„Sie haben sehr viel miteinander zu tun. Sie sind aufeinander angewiesen, sie ergänzen
einander. Sie helfen einander in der Weise, dass, wenn das Denken ganz alleine steht
oder der Glaube ganz alleine steht, beides – Denken und Glauben – in Extreme sich
wandeln können und auch radikal werden können, nicht mäßig werden. Und gegen diese
Tendenz, ins Extreme umzuschlagen, hilft die Beziehung auf das jeweils andere. Dem
Denken hilft dabei der Glaube, dem Glauben hilft das Denken.”
Auch der bekannte Philosoph Robert Spaemann sieht einen logischen Zusammenhang zwischen
der Vernunft und dem Glauben. Kann es einen Glauben ohne Vernunft und umgekehrt eine
Vernunft ohne Glauben überhaupt geben? Kann es einen Gottesglauben ohne Vernunft geben,
kann eine Religion, die sich der Vernunft versperrt, wahr sein?
„Ich denke, dass es durchaus einen Gottesglauben ohne Vernunft geben könnte. Aber
wenn sich die Frage nach der Wahrheit stellt, spielt die Vernunft wieder eine Rolle.
Und wenn man sich das Selbstverständnis des Christentums ansieht, dann liegt eine
der ganz wesentlichen Überzeugungen ja darin, dass Glaube und Vernunft nicht einfach
entgegengesetzt sind und zwei völlig unterschiedliche Welten beschreiben, sondern
dass es Vorzüge des Menschen sind, die aufeinander angewiesen sind und vielfach miteinander
verbunden sind, sodass man hier nicht von einem radikalen Gegensatz zwischen Glaube
und Vernunft sprechen kann, sondern von einem harmonischen Miteinander, in dem es
durchaus mal Spannungen und auch offene Fragen geben kann.”
Für manche Menschen ist an Gott, den Schöpfer von Mensch und Universum zu glauben,
oft wie ein Sprung vom Siebenmeter-Brett mit verbundenen Augen in ein Schwimmbecken,
von dem sie nicht wissen, ob es gefüllt ist oder nicht. Was sagt der Philosoph zu
diesen Menschen?
„Vor allem wird er sagen, dass sie teilweise einen Moment des Glaubens erfassen. Der
Glaube ist tatsächlich radikal. Daher hat er sicherlich auch den Sprungcharakter.
Daher hat er auch den Charakter eines Sprungs ins Ungewisse. Doch zugleich wird man
hinweisen müssen, dass dieser Sprung nicht so gefährlich ist, wie dieses Bild eines
Sprunges vom Siebenmeter-Brett nahelegt. Denn im menschlichen Leben gibt es viele
vergleichbare Phänomene. Wenn man einem anderen Menschen vertraut, einem Freund zum
Beispiel, kann man auch nie mit letzter Sicherheit sagen, ob sich dieses Vertrauen
bewähren wird. Man kann es hoffen und in dieser Hoffnung und in diesem Vertrauen kann
man sich auch Gott nähern und auf seine Existenz bauen.”
„Die Frage nach einem Leben nach dem Tod ist ein religiöses und philosophisches Thema
zugleich, das die Menschheit seit eh und je beschäftigt. Wie anders würde die Welt
aussehen, wenn der Mensch mit Sicherheit wüsste, dass nach seinem Tod das ewige Leben
beginnt?
„Man könnte vermuten, dass die Welt dann besser aussähe, weil der Mensch sich dann
anders verhalten würde. Aber man könnte sich auch fragen, ob sich damit nicht die
Freiheit und das Leben des Menschen auch noch mal ändern würden. Denn die Würde des
Menschen, das Wunderbare, das Hohe aber oft auch das Tragische der menschlichen Existenz
hängt ja auch damit zusammen, dass sie letztlich nichts sicher wissen, sondern immer
nur auf Grund des Glaubens von einem ewigen Leben sprechen.”
Junge Menschen zeigen oft ein starkes Interesse für Fragen des Lebens. Was tut die
Philosophie heute, um diesem Verlangen nach Wahrheit nachzukommen? Und wie sieht es
bei der heranwachsenden Jugend mit dem Interesse für Glaubensfragen aus?
„Hier tut die Philosophie einiges, aber sie kann sicherlich mehr tun. Was heute sehr
wichtig wäre heute in vielen Ländern – liegt zum Beispiel auch auf dem Gebiet der
schulischen Ausbildung. Denn es gibt heute viele, viele junge Menschen, die mit einem
ganz neuen Eifer und einer ganz neuen Intensität grundlegende Fragen nach der menschlichen
Existenz stellen und sich daher für Philosophie und ihrer Geschichte aber auch für
den Glauben und seinen Grundaussagen ganz neu interessieren.”
Letzte Frage, etwa: kann man sagen, die Philosophie ist der Kitt zwischen Glauben
und Vernunft?
„Meines Erachtens ist es nicht die Philosophie, sondern der Lebensvollzug des Philosophen
der glaubt, kann dieser Kitt sein. Denn im lebendigen Denken und Glauben findet sich
eine Einheit, in der Zusammengehörigkeit zeigt sich auch das harmonische Ineinander
und Miteinander von Glaube und Vernunft.”
(rv 04.01.2015 ap)
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