2014-12-09 13:12:00

Australien: Flüchtlinge hinter Stacheldraht


Einwandererland war gestern: Australien lässt den Schlagbaum herunter. Die Regierung in Canberra schraubt dermaßen am Flüchtlingsrecht, dass es vielen schon nicht mehr mit der UNO-Flüchtlingskonvention kompatibel erscheint. Asylbewerber werden in isolierte Internierungslager auf Inseln wie Manus gesteckt, die zu Papua-Neuguinea gehört – aus den Augen, aus dem Sinn. Aus den Lagern wird von vielen Selbstmorden berichtet, von Selbstverstümmelungen, von Verzweiflung.

Pater Maurizio Pettenà leitet das katholische Büro Australiens für Migranten und Flüchtlinge. Er sagt im Radio-Vatikan-Interview: „Australien ist die einzige Nation, deren Gesetz der Unterbringung von Asylbewerbern eindeutig den Charakter einer Strafe gibt. Wir erleben eine unmenschliche Situation: Junge Leute – darunter auch einige Mädchen –, die schon seit fünf, sechs, sieben, acht Jahren in diesen Lagern festgehalten werden! Zum Unmenschlichen dieser Lager gehört, dass sie so weit von der Gesellschaft entfernt sind: Christmas Island liegt acht Flugstunden von Perth, da sind sie praktisch vergessen. Es ist schwierig für diese jungen Leute, einen legalen Beistand zu bekommen, und sehr schwierig, humanitäre Hilfe, eine soziale Hilfe zu ergattern.“

Christmas-Island, die Weihnachtsinsel, gehört schon zu Australien, auch wenn sie noch Tausende von Kilometern vom Kontinent entfernt ist. Sie ist das Lampedusa Australiens: Von Indonesien aus versuchen die Bootsflüchtlinge mithilfe von Menschenschleppern, Christmas Island zu erreichen.

Er habe einmal die Möglichkeit gehabt, mit dem Minister für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, Chris Bowen, zu sprechen, berichtet Pater Pettenà. Da habe er ihm gesagt, dass es einfach unmenschlich sei, Kinder hinter Stacheldraht in Internierungslagern festzuhalten. Bowen und seine Labour-Partei haben letztes Jahr die Wahl verloren und sind seitdem in der Opposition; die konservative Regierung von Tony Abbott hat die ohnehin schon restriktive Flüchtlingspolitik weiter verschärft.

„Diese Kinder sind da mit Erwachsenen zusammen eingesperrt, und die Tatsache, dass diese Erwachsenen den ganzen Tag nichts zu tun haben, und das brutale Klima dazu öffnen auch die Tür für alle möglichen Arten von Missbrauch. 2010 haben wir mal, zusammen mit dem Jesuitenflüchtlingsdienst, eine Reihe früherer Klöster aufgelistet, das haben wir dem Einwanderungsministerium weitergegeben und gesagt: Wir haben die Strukturen, die Kirche könnte diese Häuser anbieten und dazu ein System humanitärer Unterstützung im Lager. Und ein paar Verbände haben diese Häuser tatsächlich renoviert, und seitdem nehmen wir dort junge Leute auf. Man konnte da sehr schön erleben, wie konkret sich solchen jungen Leuten helfen lässt: das in Gang setzen, was wir ‚social cohesion’ nennen. Aus politischen Gründen mussten wir das Wort ‚Haft’ weiterverwenden, aber in Wirklichkeit konnten sich die jungen Leute in diesen Häusern frei bewegen, konnten zur Schule gehen... Oder wir haben, zusammen mit ein paar Freiwilligen, Englischkurse angeboten. Und wir haben die Erlaubnis bekommen, diese jungen Leute zusammen mit unseren Pfarreijugendgruppen herauszubringen, zu einem Fußballspiel, zum Rugby, ins Shoppingcenter, ins Kino. Wir konnten sie auch in Kontakt bringen mit anderen Familien von ihrer jeweiligen ethnischen Gruppe, und wenn sie schließlich ein Dauervisum bekamen, dann hatten sie schon angefangen mit der Integration in die Gesellschaft.“

Kinder hinter Stacheldraht

Hatten. Waren. Konnten. Es hat seine Gründe, dass der Pater das alles in der Vergangenheitsform erzählt. Seit den Wahlen von 2013 nämlich sind die wenigen offenen Türen für Einwanderer in Australien wieder zugefallen.

„Mit dem Amtsantritt der neuen Regierung und den auf Strafe ausgerichteten Leitlinien des Ministers, den wir jetzt haben, sind alle diese Dinge sofort zum Erliegen gekommen. Alles, was wir jetzt erleben, ist die Eskalation einer rein auf Strafe und Abschreckung ausgerichteten Politik. Eines der starken Argumente des jetzigen Ministers ist, dass es, seit das scharfe Gesetz in Kraft ist, keine Anlandungen von Bootsflüchtlingen mehr gibt, und das stimmt auch. Aber aus dem Blickwinkel der katholischen Kirche sagen wir: Nicht die Anlandungen von Booten haben wir gestoppt, sondern die Menschen auf diesen Booten, die auf der Suche nach einer sicheren Zukunft waren.“

„No way“ – „Keine Chance. Du wirst Australien nicht zu deiner Heimat machen.“ Das ist in roten Großbuchstaben in einem Video der australischen Regierung zu lesen, mit dem sie Einwanderer aus dem Nahen Osten, Sri Lanka oder Myanmar abschrecken will. Das Video zeigt ein stürmisches Meer, darin ein winziges Boot, darüber den rot durchgestrichenen Umriss des australischen Kontinents.

„Einer der Punkte, den wir sehr stark fordern, ist die Einführung eines humanitären Visums. Wir haben Jahr für Jahr erlebt, wie das Kontingent für Visa aus humanitären Gründen heruntergestrichen wurde – von 30.000, die wir mit der früheren Regierung vereinbart hatten, auf 13.000, die uns die jetzige Regierung zugestanden hat. Und dann erinnert die Kirche sehr stark daran, dass zumindest für Flüchtlinge aus Syrien eine ad-hoc-Solidarität gelten sollte. Wir versuchen gerade mit der Regierung in Verhandlungen darüber zu treten, dass eine Art Solidaritäts-Visum eingeführt werden sollte.“

(rv 09.12.2014 sk)








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