2014-12-01 13:45:00

Fliegende Pressekonferenz: „Ich würde gerne in den Irak reisen“


„Ja, ich würde gerne in den Irak reisen“: Das hat Papst Franziskus bei einer improvisierten Pressekonferenz am Sonntagabend erklärt. Leider sei eine solche Visite im Moment aus Sicherheitsgründen nicht möglich, bedauerte der Papst vor Journalisten auf dem Rückflug von der Türkei nach Rom. Franziskus hat von Freitag bis Sonntag die Türkei besucht – seine sechste Auslandsreise bisher –, und im Flugzeug stellte er sich, wie üblich, den Fragen der mitreisenden Medienleute. Dabei ging es um Ökumene, Islamophobie oder die Beziehungen zum Moskauer Patriarchat: Eine dreiviertel Stunde lang beantwortete der Papst Fragen.

„Angesichts des Terrorismus im Nahen Osten und auch in Afrika sagen viele: ‚Aber das kann doch nicht wahr sein, dass der Islam so etwas tut, wie furchtbar!’ Und viele Muslime ihrerseits sind beleidigt und sagen: ‚Aber nein, das sind wir nicht. Der Islam ist ein prophetisches Buch des Friedens – der Terrorismus ist nicht der Islam!’ Ich verstehe das und glaube aufrichtig, dass man nicht behaupten kann, alle Muslime seien Terroristen, das kann man nicht behaupten! Wie man ja auch nicht sagen kann, alle Christen seien Fundamentalisten, dabei gibt es davon auch welche bei uns, nicht wahr? In allen Religionen gibt es solche Grüppchen, oder nicht? Ich habe zum (türkischen) Präsidenten (Erdogan) gesagt: ‚Es wäre schön, wenn alle islamischen Führer – die poitischen, die religiösen und die akademischen – Klartext reden und den Terror verurteilen würden! Das würde der Mehrheit der Muslime helfen, wenn sie alle deutlich Nein sagen würden.’ Denn wir brauchen alle so eine Verurteilung auf Weltniveau, auch von muslimischer Seite. Dass sie klar sagen: Das sind wir nicht. Das ist nicht der Koran.“

„Habe in der Moschee für den Frieden gebetet“

Dann schlug der Papst aber auch einen gedanklichen Bogen von der ‚Islamophobie’, nach der man ihn gefragt hatte, zur ‚Christophobie’: „Wir Christen“ würden aus dem Nahen Osten vertrieben, das dürfe man auch nicht übersehen oder sprachlich verschleiern. Und drittens kam Franziskus dann auf den interreligiösen Dialog zu sprechen: Seine wahrscheinlich beste Unterhaltung in der Türkei habe er mit dem Präsidenten des Religionsamtes Diyanet gehabt, so der Papst. Dieser habe ihm gesagt, dass der Dialog in gewisser Weise an ein Ende gekommen sei und nunmehr einen qualitativen Sprung brauche. Dieser Sprung könne dadurch geschehen, dass sich Menschen über ihre religiösen Erfahrungen austauschten, nicht über Theologie. Das wäre der Schritt vorwärts.

Auf eine weitere Frage hin ging Franziskus auf seinen Moment des Gebets in der Blauen Moschee von Istanbul ein. Wie schon sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte Franziskus in dem weltberühmten islamischen Gebetshaus einen Augenblick im Gebet verharrt. Er sei als Pilger in die Türkei gekommen, nicht als Tourist, erläuterte Franziskus nun: Das habe er auch nicht ablegen können, als er in der Moschee gewesen sei, er habe einfach das Bedürfnis gespürt, zu beten. „Beten wir?“ habe er den Mufti gefragt, und dann habe er für die Türkei gebetet und für den Frieden – ganz besonders für den Frieden.

Papst erinnert an ‚Lübecker Märtyrer’

Eine weitere Frage bezog sich auf mögliche Perspektiven für einen Kontakt mit dem orthodoxen Patriarchen von Moskau, nachdem die Begegnungen mit dem Patriarchen von Konstantinopel ja so gut verlaufen seien. Der Papst sprach in seiner Antwort lange über die „Ökumene des Blutes“, über die Märtyrer. Und er erzählte von einer Erfahrung in Hamburg vor mehreren Jahrzehnten: 

„Als ich in Deutschland war, sollte ich nach Hamburg zu einer Taufe fahren. Und der Pfarrer erzählte mir von dem Heiligsprechungsprozess für einen Geistlichen, der von den Nazis umgebracht wurde, weil er den Katechismus unterrichtete. Er habe herausgefunden, dass da auch ein lutherischer Pfarrer war, der aus den gleichen Gründen hingerichtet wurde. Das Blut der beiden hatte sich vermischt. Dieser Priester ist dann zu seinem Bischof gegangen und hat gesagt: ‚Ich betreibe den Heiligsprechungsprozess nicht mehr nur für den katholischen Priester - entweder für beide oder für keinen! Das ist die Ökumene des Blutes.“

Der Papst bezog sich damit offenbar auf die drei Kapläne Eduard Müller, Johannes Prassek und Hermann Lange sowie den evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink. Weil sie gegen das nationalsozialistische Regime Stellung bezogen hatten, wurden sie am 10. November 1943 im Hamburger Gefängnis am Holstenglacis durch das Fallbeil hingerichtet. Die katholischen Geistlichen wurden am 25. Juni 2011 seliggesprochen; hierbei wurde auch des evangelischen Pastors Stellbrink gedacht. Die vier Kirchenmänner werden nach ihrem Wirkungsort als ‚Lübecker Märtyrer’ bezeichnet.

Mit Patriarch Kyrill sei er sich einig, dass sie sich treffen wollten, so Franziskus weiter. Er habe ihm gesagt, er solle sagen wo, dann würde er – Papst Franziskus – dorthin kommen. Angesichts des Krieges in der Ostukraine habe Kyrill aber viele Probleme, so dass eine Begegnung mit dem Papst nicht das Vordringlichste sei. 

Die vierte Frage bezog sich auf eine Formulierung des Papstes während der Göttlichen Liturgie an diesem Sonntagmorgen: Keine Bedingungen würde die katholische Kirche für die volle Einheit stellen. Was genau bedeute dieser Satz?

„Katholische Kirche muss aus den ersten Jahrhunderten lernen“

Der Moment der Teilung sei Thema gewesen, berichtete der Papst aus seinen Gesprächen, der Ort, an dem ein Kardinal die Exkommunikation nach Konstantinopel gebracht habe, sei dort gewesen, wo man gegessen habe. Hier habe sich die Kirche mit sich selber beschäftigt, und genau dadurch entstünden Teilungen. Einheit – darüber habe er in seiner Predigt in der Messe am Samstag gesprochen – komme durch den Heiligen Geist, denn nur der bringe die nötige Kreativität.

„Patriarch Bartholomaios hat heute ein sehr schönes Wort gesagt: dass nämlich die orthodoxen Kirchen den Primat (des Bischofs von Rom) akzeptieren. In den Litaneien haben sie heute für den Hirten und Primas gebetet. Sie anerkennen das, sie haben es heute in meiner Anwesenheit gesagt! Aber die Form (der Ausübung) des Primats, da müssen wir vielleicht ein bisschen zurückgehen in die ersten Jahrhunderte, um uns davon inspirieren zu lassen. Ich sage nicht, dass die (katholische) Kirche den falschen Weg eingeschlagen hätte: Nein! Sie ist ihren historischen Weg gegangen. Aber jetzt ist der historische Weg der Kirche jener, den der heilige Johannes Paul II. angemahnt hat: ‚Helft mir, im Licht des ersten Jahrtausends einen Punkt der Einigkeit zu finden!’ Das ist der entscheidende Punkt, nicht wahr? Wenn die Kirche (danach nicht sucht, sondern) sich nur selbst bespiegelt, dann hört sie auf, Kirche zu sein, und wird zu einer theologischen Nichtregierungsorganisation.“

Papst Franziskus würdigte den Mut des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, in der Ökumene neue Wege zu gehen. Beim Versuch, ein gemeinsames Osterdatum für alle christlichen Kirchen zu finden, setze Bartholomaios mutige Zeichen, treffe aber innerhalb der Orthodoxie auf Widerstände. Man dürfe allerdings „nie müde werden, mit diesen konservativen Gruppen zu sprechen, ihnen die Dinge zu erklären, ohne sie zu beleidigen oder schlecht über sie zu reden“. 

„Die Synode in ihrer Ganzheit sehen“

Das hatte vielleicht die Tür für eine Frage zur zurückliegenden Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie geöffnet. Der Papst bekräftigte, dass die Synode aus seiner Sicht „ein Weg, ein Prozess“ sei. Auch die Schlusserklärung der Synode vom vergangenen Oktober sei „ein provisorischer Text“:

„Denn das ist in (ein Grundlagenpapier namens) Lineamenta eingegangen, für die nächste Synode (vom Oktober 2015), und wurde den Bischofskonferenzen zugeschickt. Sie sollen darüber diskutieren, ihre Änderungsvorschläge schicken, daraus wird dann ein weiterer Text, und dann wird die kommende Synode ihre (Texte) machen. Das ist ein Prozess! Darum kann man nicht nur eine Meinung, eine Person oder einen Entwurf betrachten – die Synode müssen wir in ihrer Ganzheit sehen. Auch ich bin (mit einigem) nicht einverstanden, aber das ist meine Meinung, nicht wahr? Die will ich nicht allen anderen überstülpen. Ich bin nicht einverstanden, wenn man sagt: ‚Heute hat dieser Synodenvater dies gesagt und jener Synodenvater hingegen jenes’ – nein! Man soll berichten, was gesagt wurde, aber nicht: von wem. Warum? Weil die Synode kein Parlament ist. Sie ist ein geschützter kirchlicher Raum, und dieser Schutz ist dazu da, dass der Heilige Geist sein Werk tun kann!“

Auf weitere Fragen hin erklärte Papst Franziskus, dass er während seines Aufenthalts in der Türkei gerne auch ein Flüchtlingslager besucht hätte, doch hätte die Reise dazu einen Tag länger dauern müssen. Er danke der türkischen Regierung für ihre „Großzügigkeit“, mit der sie etwa eine Million Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak beherberge. Ob er mit Präsident Erdoğan auch über den Beitritt zur Europäischen Union gesprochen habe, wollte ein deutscher Journalist wissen. Nein, das hätten sie nicht, erwiderte der Papst. Es sei schon merkwürdig, über vieles habe man gesprochen, aber gerade darüber nicht. Die nächste Frage ging auf den Papstbesuch in Redipuglia und das Weltkriegsgedenken ein, Papst Franziskus hatte dort von einem „dritten Weltkrieg“ gesprochen, der längst im Gange sei. Ob er auch etwas zum Zweiten Weltkrieg und den Desastern von Hiroshima und Nagasaki sagen könne, die sich im kommenden Jahr zum 70. Mal jährten?

Für eine Öffnung der türkisch-armenischen Grenze

„Ich bin überzeugt, dass wir im Dritten Weltkrieg leben – stückweise, aber überall. Feindschaften, politische und wirtschaftliche Probleme laufen da zusammen: Es geht darum, dieses System zu retten, in dem das Geld im Zentrum von allem steht, nicht der Mensch. Der Waffenhandel verschlimmert die laufenden Konflikte noch um einiges, und es gibt noch so viele Geheimnisse rund um das Waffengeschäft. Zum Beispiel, was die syrischen Chemiewaffen betrifft. Ich glaube eigentlich nicht, dass Syrien selbst chemische Waffen herstellen konnte – also, wer hat sie ihm verkauft? Vielleicht sogar die, die das Land dann beschuldigt haben, welche zu haben? Ich weiß nicht – um diese Waffengeschäfte liegt so vieles im Dunkeln.“

Was die Atombombenangriffe auf Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs angehe: Die Menschheit habe nicht gelernt, sie sei unfähig, die einfachsten Lektionen zu lernen. Atomkraft könne zu Gutem dienen, man müsse sie deswegen zum Dienst an der Schöpfung einsetzen, nicht zur Zerstörung.

Die abschließende Frage an den Papst galt den Armeniern. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte es einen Genozid in der Türkei gegeben, den die Regierung und die Gesellschaft des Landes bis heute nicht anerkennen. Was denkt der Papst dazu? Franziskus berichtete, dass er zum Ende seiner Reise in Istanbul den armenischen Patriarchen besucht habe, der schon seit langer Zeit im Krankenhaus liege. Die Regierung der Türkei in Person des damaligen Premiers Erdoğan habe unlängst eine erste Geste in Richtung der Armenier gemacht. Erdogan hatte April einen Brief veröffentlicht, in dem er den Armeniern zum Gedenktag an die Gräuel vor hundert Jahren sein Beileid erklärte. Erdogan hatte damit als erster Regierungschef in der türkischen Geschichte offiziell der Massenmorde an den armenischen und syrisch-orthodoxen Christen gedacht. Einige hielten das für zu schwach, aber es sei immerhin ein Schritt, urteilte der Papst.

„Etwas, was mir sehr am Herzen liegt, ist die türkisch-armenische Grenze: Wenn man diese Grenze öffnen könnte, dann wäre das eine schöne Sache! Ich weiß um die geopolitischen Probleme in dieser Region, die eine Grenzöffnung nicht erleichtern; aber wir müssen für die Versöhnung der Völker beten. Ich weiß auch, dass es auf beiden Seiten guten Willen gibt, und wir müssen mithelfen, damit es dazu kommt. Im kommenden Jahr gibt es viele Momente, während derer des 100. Jahrestages gedacht wird; hoffen wir auf einen Weg der kleinen Gesten, der kleinen Schritte der Annäherung!“

Die Türkei hatte die Grenze 1993 als Reaktion auf den Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschan über die Region Bergkarabach geschlossen. Franziskus beendete am Sonntag seine dreitätige Türkei-Reise.

Nach der Landung in Rom und vor der Rückkehr in den Vatikan fuhr der Papst wie bereits zur Tradition geworden in die Kirche Santa Maria Maggiore, um vor dem Bild der Mutter Gottes zu beten und Gott für den guten Abschluss seiner sechsten internationalen Reise zu danken.

(rv 30.11.2014 ord)








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