2014-11-30 13:55:00

Patriarchats-Sprecher: Dogma jetzt „keine Hauptaufgabe“


Orthodoxe und katholische Kirche sollten angesichts der Christenverfolgung die Überwindung dogmatischer Auffassungsunterschiede nicht als Hauptaufgabe begreifen. Vielmehr müsse es jetzt um gelebte Solidarität und Zusammenarbeit gehen, um Christen in Syrien und im Irak zu helfen. Dies betont der Protopresbyter und Sprecher des Ökumenischen Patriarchates Dositheos Anagnostopulos im Gespräch mit Radio Vatikan in Istanbul. 

 

Die orthodoxe Kirche habe vom Bürgerkrieg und Terror selbst Wunden davongetragen, erinnerte der orthodoxe Geistliche im Gespräch mit Anne Preckel im Phanar in Istanbul. So ist das Schicksal der zwei vor Monaten in Syrien verschleppten Bischöfe, des syrisch-orthodoxen Mar Gregorius Yohanna Ibrahim und des griechisch-orthodoxen Paul Yazidschi, bis heute ungewiss. Er gehe davon aus, das Papst und Patriarch in Istanbul über die Lage im Nahen Osten sprechen würden, so der Sprecher. Vom Papstbesuch in der Türkei erhoffe man sich auch einen positiven Effekt auf die ungelöste Frage des orthodoxen Priesterseminars von Chalki. Die türkische Regierung hält die Schule seit Jahrzehnten geschlossen. 

 

Hinsichtlich des guten Verhältnisses zwischen Patriarch Bartholomaios I. und Franziskus verwies der Sprecher auf die Anwesenheit des Patriarchen bei Franziskus‘ Amtseinführung als Papst in Rom. Franziskus setze mit seinem Besuch zum orthodoxen Andreasfest diesen „guten Gedanken“ fort.

 

„In den letzten vier, fünf Jahren gibt es eine regelrechte Verfolgung der Christenheit in Syrien, teilweise im Libanon und im Irak. Nicht zu vergessen, dass das die Urheimaten des Christentums sind. Und dort verlieren wir laufend unsere Brüder und unsere Schwestern. Das heißt, es ist die Zeit gekommen, in der man sich nicht mehr mit irgendwelchen dogmatischen Linien beschäftigen soll, sondern eben die Solidarität, die Zusammenarbeit beider Kirchen zugunsten dieses verfolgten Volkes realisieren muss!“

 

Treibt das also an, auch theologisch schneller zueinander zu finden?

 

„Es wäre fatal, wenn das nicht der Fall wäre! Wissenschaft hin und her, ich habe Respekt davor, aber die Aufgabe, die wir haben, ist nicht, Wissenschaft zu betreiben, sondern Liebe und Solidarität. Und das ist die Hauptaufgabe der Kirche. Nicht unbedingt das Dogma.“

 

Und darüber sind sich Papst und Patriarch auch einig, nicht wahr?

 

„Offensichtlich ja! Die anderen drei Päpste, die uns hier besucht haben, haben immer ein kleines Steinchen dazugelegt in diesem riesigen Puzzle für die Wiedervereinigung der Kirche in der Zukunft, der einen Kirche. In einer kritischen Zeit wie der heutigen ist das besonders bedeutungsvoll, dass er hier ist.“

 

Welches Steinchen wird Franziskus denn beitragen können?

 

„Im Vergleich zu Benedikt XVI. lässt sich folgendes sagen: Papst Benedikt ist eine Persönlichkeit in der Geschichte bezüglich der theologischen Wissenschaft. Papst Franziskus ist eine Persönlichkeit in Bezug auf seine Kollegialität und seine Freundlichkeit dem Volk gegenüber. Er kommt selbst aus diesem Volk in Argentinien. Wir wissen auch, was er dort geleistet hat als Erzbischof. Also wir haben zwei unterschiedliche Persönlichkeiten. Wir haben eine stabile Persönlichkeit – das ist Patriarch Bartholomaios, weil er sowohl mit dem alten als auch mit dem neuen Papst dabei ist. Das heißt also – derjenige, der etwas Neues in dem Dialog bringen wird, ist die neue Persönlichkeit des Papstes Franziskus. Was ist das? Es ist das einfach Christliche, würde ich sagen, das Brüderliche.“ 

 

Patriarch Bartholomaios hat Franziskus mit Johannes XXIII. verglichen – wo sieht er da wohl die Parallelen?

 

„Johannes XXIII. hat, als er zur schwierigen Zeit der 50er Jahre hier war als apostolischer Nuntius in Konstantinopel, den Mut bewiesen, mit dem damaligen Patriarchen Athenagoras gute und freundliche Beziehungen zu haben, um eigentlich das Fundament zu bilden für das, was Paul VI. dann später machte. Das heißt also, der eigentliche Beginn der Versöhnung der beiden Kirchen begann mit Johannes XXIII. Aber manche – das habe ich gerade gelesen – vergleichen auch den jetzigen Papst mit dem 30-Tage-Papst Johannes Paul I. Von dem wissen wir nicht viel. Wahrscheinlich hatte er auch etwas ähnlich Positives vor, was er ja leider nicht mehr verwirklichen konnte.“

 

Man hat den Eindruck, dass der persönliche Kontakt der beiden – Bartholomaios und Franziskus – den theologischen Dialog und die Differenzen dort überflügelt…

 

„Richtig. Das Hauptproblem ist der Primat des Bischofs von Rom. Wie soll man das verstehen, fast 950 Jahre nach dem Schisma? Wenn wir diese einmal klären, wird - glaube ich - alles andere langsam automatisch gelöst.“

 

Papst Franziskus nennt sich öfter „Bischof von Rom“ – das dürfte dem Patriarchen gefallen…

 

„Das gefällt uns allen, nicht nur dem Patriarchen! Es gab da in der Vergangenheit eine Überheblichkeit, weil der Papst zugleich als eine Art Imperator der Erde auftrat, wie wir aus der Geschichte wissen. Das ist Gott sei Dank vorbei, wirklich Gott sei Dank. Wenn man darauf verzichtet, auf diesen Punkt, der unnötig ist, dann hat man auch den richtigen Weg gefunden, um die kleineren, aber schmerzlichen Probleme auch zu lösen.“  

 

In der Türkei hat die orthodoxe Kirche keinen einfachen Stand. Gibt es in dieser Hinsicht Fortschritte in der letzten Zeit?

 

„Die Hochschule, das Priesterseminar von Chalki ist das größte Problem. Man darf nicht undankbar sein – wir haben in der letzten Zeit tatsächlich ein bisschen Erleichterung erfahren. Es besteht die Möglichkeit, dass wir frei unsere Probleme äußern können. Früher konnte man nicht darüber sprechen, heute sprechen wir. Früher hat man immer das Thema angeprangert: Was heißt Ökumenisches Patriarchat? Der Titel war für die türkische Führung nicht akzeptabel. Heute diskutiert man zumindest nicht mehr darüber, und wir benutzen diesen Titel frei – das ist auch etwas Wichtiges. Aber das Problem mit Chalki muss unbedingt gelöst werden. Und in der Frage gibt die türkische Regierung leider weder ein klares Ja noch ein klares Nein. Wir sind immer in der Schwebe und wissen nicht, wo das Ganze hinläuft.“ 

 

Wird nicht einmal etwas in Aussicht gestellt?

 

„Nun, es ist wirklich traurig. Einerseits hören wir in den letzten Jahren Politiker der regierenden Partei oder der Regierungskreise, die sagen: Es ist kein Problem. Die Schule kann bald wieder geöffnet oder in Betrieb genommen werden. Dann kommt ein anderer Minister und sagt: Nein, das geht nicht so einfach, es gibt Probleme. Einmal haben sie gesagt, es sei kein Reziprozitätsproblem mit Griechenland, einmal haben sie gesagt, doch. Das heißt, Griechenland soll irgendwelche Kompromisse schließen in Bezug auf die muslimische Minderheit dort. 

 

Da gibt es ein Problem, das eigentlich niemand so ernst nimmt: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Weil die Minderheit in Konstantinopel das Pendent ist der muslimischen Minderheit auf Trazien, nicht Athen! Wenn in Athen eine Moschee gebaut wird, sind wir damit einverstanden, aber dann kann die andere Seite genauso gut sagen: bauen Sie mal eine Kathedrale in Ankara – das haben wir nie gesagt. Aber das wären Dinge, die vergleichbar wären. Wir öffnen die Schule (von Chalki) nur, wenn in Athen eine Moschee gebaut wird – das ist ein unlogischer Vergleich.“

 

Kann der Papstbesuch hier etwas bringen?

 

„Ich kann nichts prophezeien, aber eines weiß ich: Jedes Mal, wenn eine besondere Persönlichkeit in der gegenwärtigen Geschichte der Menschheit wie ein Papst zum Beispiel darauf besteht und auf die Wichtigkeit der Wiederinbetriebnahme dieser Ausbildungsstätte (Chalki) besteht, ist wahrscheinlich eine der Möglichkeiten, dass man die türkische Regierung überzeugt, dass die Sache nicht mehr lange ungelöst bleiben darf.“

 

(rv 29.11.2014 pr)








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