2014-11-26 13:21:00

„Große Zuneigung, großer Anspruch“


Kardinal Reinhard Marx ist hochzufrieden mit den Einlassungen von Papst Franziskus im EU-Parlament von Straßburg. Der „EU-Kardinal“ – Marx ist Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen in der Europäischen Union – reiste im Gefolge von Franziskus nach Straßburg. Gudrun Sailer sprach mit Kardinal Marx und wollte zunächst von ihm wissen, worauf Papst Franziskus die EU heute eigentlich eingeschworen hat.

 

„Eingeschworen ist vielleicht ein etwas zu starkes Wort, weil er sich als Ermutiger und Wegbegleiter gezeigt hat, der zwar die kritischen Punkte auch nennt – ich denke an die Punkte wo Europa sich auf den Weg machen muss, im Blick auf die Armen, Arbeitslosen, Emigranten, Flüchtlinge Schutz des Lebens, aber das Ganze war doch eingerahmt in einer große Ermutigung. Europa denk an Deine Geschichte. Europa sei ein Beitrag für eine bessere Welt. Deine Geschichte ist ein kostbarer Bezugspunkt, so hat er es gesagt, für die ganze Menschheit. Also der Papst hat Europa schon bei seiner Ehre gepackt. Er hat Europa eingeschworen auf seine große Geschichte, seine spirituellen Kräfte, auf seine geistigen Fähigkeiten. Auf seine große Geschichte, die eben nicht Museum ist, sondern Gegenwart. Er hat ein wenig ironisch gesagt, Europa soll ja keine Großmutter sein, die zurückblickt, sondern mit jugendlicher Kraft und neuer Phantasie für die ganze Welt ein Beispiel geben und Ermutigung sein. Ich fand das schön. Kritik, natürlich, das muss ein Papst und ein Bischof geben. Aber er hat es nicht eingepackt in eine negative Sicht, eine kulturpessimistische Sicht, sondern bei aller Kritik, die er geübt hat, in einen Appell, an die Zukunft zu glauben und sich auf den Weg zu machen.“

 

Meinen Sie, dass Europa diese Art und Weise Kritik zu üben und gleichzeitig christlichen Rat zu geben, leichter von jemandem akzeptieren kann, der von weit weg kommt?

 

„Das sollte eigentlich überhaupt die Art sein, wie wir als Kirche Kritik üben: Immer beides. Nie Kritik an Personen, ohne zugleich Ermutigung zu äußern. Aber vielleicht ist es so. Manche haben ja gemeint vor eineinhalb Jahren, dieser Papst wird Europa schlecht verstehen, er löst die Kirche aus dem Eurozentrismus und schaut ganz anders auf die Welt – das tut er, aber wir haben doch einen Papst kennengelernt, der mit großer Zuneigung und zugleich großem Anspruch auf Europa schaut. Der Europa nicht gleichgültig betrachtet und meint, es ist ein Kontinent unter anderen, sondern der die spezielle Aufgabe Europas, die eben nicht nur eine ökonomische ist, sondern eine geistige Aufgabe, sehr in den Mittelpunkt gerückt hat. Das hat er in großartiger Weise getan.“

 

Bei der Rückflug-Pressekonferenz hat sich Papst Franziskus ein wenig darüber wundern müssen, dass manche Leute ihn offenbar für einen Sozialdemokraten halten. Sie sind ein Fachmann in sozialethischen Fragen und können besser einschätzen, auf welche Horizonte Franziskus mit bestimmten Aussagen  zielt. Was liegt dem Papst so am Herzen am Sozialen in Europa?

 

„Der Papst ist ja kein Parteipolitiker. Das habe ich selbst erlebt als Sozialethiker, wenn man manche Enzykliken zitiert hat, dann haben manche Zuhörer früher schon gemeint, das sei ja Kommunismus. Diese Missverständnisse gibt es. Doch der Papst und auch die kirchliche Soziallehre haben nichts mit Parteipolitik zu tun. Sie hat klare Prinzipien, die manchmal mehr der Richtung und manchmal einer anderen Richtung gefallen. Sie haben ja erlebt im Parlament, da hat mal die eine Seite intensiv geklatscht und mal die andere. Die Kirche ist unabhängig, aber in ihrer Unabhängigkeit ist sie nicht gleichgültig gegenüber den Positionen. Aber sie sind eben nicht so schön in Kästchen zu packen, dass jeder parteipolitisch seinen Nutzen zieht. Er oder sie muss die anderen Positionen auch anhören. Und da mag dem einen nicht gefallen, was der Papst zur Humanökologie gesagt hat, und den anderen gefällt nicht der Lebensschutz, weil sie das nicht so gerne hören, und manche mögen vielleicht nicht die Kritik an einer bestimmten Wirtschaftspolitik. Der Papst hat frei gesprochen, souverän die kirchliche Soziallehre gesagt. Da habe ich erlebt, und das ist auch bei ihm deutlich geworden, die kirchliche soziallehre steht zunächst für sich. Die  Nähe zur Kirche bestimmen die Parteien, und nicht die Kirche. Sondern wir sagen, was wir als soziale Gerechtigkeit empfinden, auch für Europa. Und die Parteien müssen das entscheiden, ob sie das gut oder weniger gut finden und ihre Nähe dazu bestimmen.“

 

(rv 26.11.2014 gs)








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