EU-Parlamentspräsident: Papst gibt Orientierung

In seiner Begrüßung an den Papst erinnerte Europaparlamentspräsident Martin Schulz an den Besuch von Johannes Paul II. von 1988. Gleichzeitig bedankte sich der SPD-Politiker bei Papst Franziskus, dass er die Einladung nach Straßburg angenommen habe. Schulz wertet die Rede von Papst Franziskus an die EU-Abgeordnete als „eine Ermutigung für die EU sowie für eine gute Zukunft Europas“. Er glaube fest daran, dass „wir viele gemeinsame Aufgaben haben, bei denen uns die Worte von Papst Franziskus helfen“, so Schulz am Dienstag nach der Rede des Papstes im Parlament. „Sie sind eine Persönlichkeit, die Orientierung gibt in Zeiten der Orientierungslosigkeit. Dafür sind wir Ihnen dankbar“, so der EU-Parlamentspräsident wörtlich.

(rv/kna 25.11.2014 mg)

Hier die Begrüßungsworte von Martin Schulz an den Papst

Ihre Heiligkeit,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Vor 26 Jahren sprach Papst Johannes Paul II. vor dem Europäischen Parlament.

Seine Rede war ein Meilenstein auf dem Weg zum Fall des Eisernen Vorhangs und des Beginns der Wiedervereinigung Europas.

Heute sprechen Sie zu einem Europäischen Parlament, dessen Mitglieder mehr als 500 Millionen Menschen aus 28 Mitgliedstaaten repräsentieren. Wir bilden die Vielfalt Europas ab.

In den vergangenen sechs Jahren hat Europa eine dramatische und beispiellose Krise durchlebt.

Diese Krise hat schwere Folgen. Besonders dramatisch ist der Vertrauensverlust von Menschen ihren Institutionen gegenüber. Ob auf nationaler oder europäische Ebene: Der Vertrauensverlust ist enorm. Ohne Vertrauen aber kann keine Idee und schon gar keine Institution dauerhaft bestehen. Deshalb ist die Kooperation aller Kräfte nötig, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

In dieser Hinsicht gehen die Anliegen der Europäischen Union und der katholischen Kirche zu einem großen Teil Hand in Hand.

Die Werte der Toleranz, des Respekts, der Gleichheit, der Solidarität und des Friedens sind Teile unseres gemeinsamen Auftrages. Die Europäische Union steht für Miteinander statt Gegeneinander, für Einbeziehung statt Ausgrenzung.

Junge Menschen haben Schwierigkeiten, Arbeit und ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden; Migranten suchen für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft; Menschen fliehen vor Kriegen und Katastrophen und suchen bei uns Asyl.

Ob es um Fragen der der sozialen Gerechtigkeit oder der ungleichen Verteilung von Reichtum und Lebenschancen geht; ob es um die Situation alter Menschen in unserer Gesellschaft oder um Kriege und Konflikte in unserer Nachbarschaft und darüber hinaus geht. Wir stehen vor gemeinsamen Herausforderungen.

Ihre Worte haben enorme Bedeutung, nicht nur weil Sie das religiöse Oberhaupt von über 1 Milliarde Katholiken sind. Ihre Worte haben enorme Bedeutung, weil sie an uns alle gerichtet sind und Gültigkeit für uns alle haben; weil die Themen, die Sie ansprechen, uns alle betreffen und uns alle angehen: Sie sind universell. Ihre Worte bieten Orientierung in Zeiten der Orientierungslosigkeit.

Ihre Botschaft des Friedens und des Dialogs, der Aufrichtigkeit und der Verantwortung füreinander, der Solidarität und des Miteinanders führt uns deutlich vor Augen, dass wir gemeinsame Aufgaben gemeinsam lösen müssen, da wir vereint stärker sind als allein. Das ist eine sehr europäische Botschaft. Genau darauf fußt die Idee der europäischen Einigung.

Ihre Geschichte ist eine europäische Geschichte. Die Geschichte einer Familie, die Europa verlassen und eine neue Heimat in Südamerika gefunden hat. Es ist die Geschichte eines Papstes, der vom "anderen Ende der Welt" zurückkehrt, um seine Kirche zu reformieren und die Gläubigen zu führen. Es ist eine Geschichte, die uns als Vorbild dienen und Europa helfen kann, sich zu erneuern und zu reformieren.

Ich danke Ihnen, dass Sie heute hier bei uns sind und dass Sie der Einladung des Europäischen Parlaments gefolgt sind. Es ist eine Ehre und ein Privileg Ihnen heute zuhören zu dürfen.

Sie haben das Wort.