2014-11-13 13:15:16

Debatte über Suizid: Chancen der Palliativmedizin verkannt


RealAudioMP3 Wie viel Hilfe darf beim Sterben erlaubt sein? Über diese Frage debattiert an diesem Donnerstag der Deutsche Bundestag mit Blick auf eine Reform der Sterbehilfe im kommenden Jahr. Es herrscht immer noch viel Unwissen über die Chancen und Möglichkeiten der Palliativmedizin: Viele schwer kranke Menschen sehen nur in der Selbsttötung einen Ausweg aus ihrem Leiden. Auf dieses Dilemma weist im Interview mit Radio Vatikan Andreas Müller- Cyran hin. Er ist Leiter der katholischen Notfallseelsorge im Erzbistum München. Er mache immer öfter die Erfahrung, dass Menschen sich das Leben nähmen, die eine terminale oder schwere Krebserkrankung haben, so Müller- Cyran:

„Wir haben den Eindruck in diesen Situationen, dass die Menschen sich das Leben nehmen, weil sie ein Stück ihrer Selbstständigkeit verlieren oder stärker von der Pflege abhängig werden, und dann innere Bilder davon haben, die für sie offensichtlich so unerträglich sind, dass sie keinen anderen Weg finden als die Selbsttötung. Wir empfinden es als sehr schmerzhaft, dass Menschen zum Teil nicht informiert sind. Die Palliativmedizin bietet, wenn sie auch nicht das ganze Leid beseitigen kann, doch sehr gute Möglichkeiten, Menschen auch in schweren Krankheitsverläufen beizustehen und dafür zu sorgen, dass sie ihre Würde als sterbende Menschen behalten.“

Müller- Cyran würde sich eine bessere Aufklärung über Palliativmedizin wünschen. Menschen sollten genau über ihren Krankheitsverlauf informiert werden und wissen, dass sie mit ihrer Krankheit und auf dem Weg des Sterbens nicht alleine gelassen werden. In den letzten Jahren nähmen sich in Deutschland zunehmend ältere Männer das Leben, die keinen anderen Ausweg sähen, referiert der Notfallseelsorger. Insgesamt töteten sich in Deutschland pro Jahr im Durchschnitt 14 von hunderttausend Menschen selbst. Sein Eindruck sei, dass es immer mehr Selbsttötungen aus Verzweiflung gebe, so Müller- Cyran. Mit dem Suizid reiße aber die Verzweiflung nicht ab, erinnert er mit Blick auf die Angehörigen:

„Viele Hinterbliebene formulieren das nach Selbsttötungen (ihrer Angehörigen) selber so: ,Er hat nicht nur sich das Leben genommen, er hat auch uns ein Stück weit das Leben genommen.‘ Und darauf versuchen wir in der Seelsorge einen klaren Akzent zu setzen. Wir als Angehörige in solchen Situationen haben kaum Möglichkeiten das zu verhindern...


Fatal: Wenn Abhängigkeit nur als Last gesehen wird

Der liberale Denkansatz „Ich möchte mein Leben in größter Fülle erleben und ihm ein Ende bereiten, wenn es nicht mehr diese Fülle hat“ macht Müller-Cyran große Sorgen. Diese Sichtweise könne Druck auf Menschen in schwierigen Lebenslagen ausüben, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, warnt der Seelsorger. Die Abhängigkeit von anderen werde hier zur unerwünschten Last:

„Dahinter steht auch immer die Kehrseite der Medaille: Menschen, die in einer schwierigen Situation sind, in der sie abhängig, auf andere angewiesen sind, müssen dann argumentieren, warum sie sich denn nicht das Leben nehmen.“

Müller-Cyran sieht aufgrund seiner langjährigen Erfahrung, dass Menschen prinzipiell besser damit umgehen können, wenn der Abschied natürlich verläuft. Erst unlängst wollte eine Familie den schwer erkrankten Familienvater mit Sterbehilfe in der Schweiz verabschieden. Schließlich sei sie jedoch in Deutschland geblieben, erzählt Müller-Cyran:

„Der Mann ist vor einigen Wochen auf der Palliativstation hier in München gestorben, und das war sowohl für ihn im Sterben als auch für seine Frau und die beiden jugendlichen Kinder eine wichtige Erfahrung. Für sie war das ein Durchgang der Verzweiflung, daran zu denken, das Leben durch einen Sterbehilfeverein in der Schweiz zu beenden. Durch eine Auseinandersetzung und Gespräche mit den Ärzten haben sie sich (letztlich) für den Weg entschieden, der einen intensiven und menschenwürdigen Abschied ermöglichte.“

(rv 13.11.2014 no)








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