2014-11-08 10:59:05

Morgenröte der Freiheit: Die Päpste und der Mauerfall


RealAudioMP3 9. November 1989: Mit zahlreichen Gottesdiensten, Veranstaltungen und Veröffentlichungen begehen katholische und evangelische Kirche den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Mit Friedensgebeten hatten vor allem evangelische Christen in Städten wie Leipzig, Dresden oder Rostock wesentlich zur Friedlichen Revolution in der DDR beigetragen. Der Fall der Berliner Mauer war auch aus Sicht des Vatikans in vielerlei Hinsicht ein historischer Moment. Der polnische Papst Johannes Paul II. hat viel zu der Entwicklung beigetragen, die in den Mauerfall mündete. 25 Jahre später hielt Papst Franziskus in einer Botschaft an den 99. Deutschen Katholikentag in Regensburg, am 23. Mai 2014, fest:

„Die Geschichte lehrt uns, dass der Dialog kein leichtes Unterfangen ist. … Wie schwer wird dann die Versöhnung. Ihr habt damit in Eurem Land eine bittere Erfahrung gemacht – mit der Berliner Mauer. Wie viel Leid, wie viel Trennung hat diese Mauer hervorgebracht! Aber dann sind Menschen in Kirchen zusammengekommen, um für den Frieden zu beten. Und sie sind aus der Kraft des Gebets hinausgegangen in ihre Stadt, Woche für Woche. Mit ihnen haben sich immer mehr Menschen vereint. Und schließlich ist die Berliner Mauer gefallen – in diesem Jahr feiern wir das 25-jährige Jubiläum dieses Ereignisses. Da zeigt sich die Sendung der Christen: Beten und dann hinausgehen und anderen die Gute Nachricht bringen, nach der sich die Menschen zutiefst sehnen.“

In die Weltgesellschaft hineingewachsen

Der erste deutsche Papst auf dem Stuhl Petri nach mehreren Jahrhunderten war Benedikt XVI. Er deutete in einem Interview mit Radio Vatikan am 5. August 2006 den Mauerfall nicht nur aus vatikanischer, sondern auch aus deutscher Sicht:

„Nun, ich würde sagen: An sich ist natürlich schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine innere Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, auch der deutschen Mentalität da, die durch die Wiedervereinigung noch verstärkt worden ist. Wir sind einfach viel stärker in die Weltgesellschaft hineingewachsen und natürlich auch von ihrer Mentalität mit berührt. Und es kommen eben auch Seiten des deutschen Charakters zum Vorschein, die man ihm früher nicht zugetraut hat. Und vielleicht sind wir auch ein bisschen zu sehr als immer ganz diszipliniert und zurückhaltend hingestellt worden. Das war schon in uns da – . Ich finde es sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein kommt, wenn alle sehen: Die Deutschen sind nicht bloß reserviert und pünktlich und diszipliniert, sie sind auch spontan, fröhlich, gastfreundlich. Das ist etwas sehr Schönes. Und was soll ich wünschen: Dass diese Tugenden weiter entwickelt werden, und dass sie vom christlichen Glauben her noch weiter Schwung und Tragfähigkeit bekommen.“

Unerwartete Morgenröte der Freiheit

Das zwanzigjährige Jubiläum des Mauerfalls feierte man 2009, während des deutschen Pontifikats, eigens mit einem Konzert in der Sixtinischen Kapelle. Organisiert wurde das von der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl, die gleichzeitig an den 60. Jahrestag des Grundgesetzes erinnerte. Für Benedikt XVI. war das eine weitere Gelegenheit, sich zum Fall der Mauer zu äußern:

„…, jener Todesgrenze, die viele Jahre unser deutsches Vaterland geteilt und Menschen, Familien, Nachbarn und Freunde auseinandergerissen hatte. Die Ereignisse des 9. November 1989 empfanden zahlreiche Zeitgenossen als die unerwartete Morgenröte der Freiheit nach einer langen durchlittenen Nacht der Gewalt und Unterdrückung durch ein totalitäres System, das letztlich auf einen Nihilismus, auf eine Entleerung der Seelen, hinauslief. In der kommunistischen Diktatur gab es keine Handlung, die als in sich schlecht und immer unmoralisch angesehen worden wäre. Was den Zielen der Partei diente, war gut – wie unmenschlich es auch sein mochte. Heute fragen sich manche, ob denn die westliche Gesellschaftsordnung so viel besser und menschenfreundlicher sei. In der Tat ist die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Beweis dafür. Und dies haben wir zum guten Teil unserm Grundgesetz zu verdanken.“

Diese Verfassung hat aus der Sicht des emeritierten Papstes wesentlich zur friedlichen Entwicklung Deutschlands in den letzten sechs Jahrzehnten beigetragen.

„Denn sie mahnt die Menschen, in Verantwortung vor Gott, dem Schöpfer, der Menschenwürde den Vorrang in jeder staatlichen Rechtsetzung zu geben, die Ehe und die Familie als Grundlage jeder Gemeinschaft zu achten sowie Rücksicht und Ehrfurcht vor dem zu üben, was dem anderen heilig ist. Mögen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in Verpflichtung vor dem Auftrag der geistig-politischen Erneuerung nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, die im Grundgesetz ihren Ausdruck gefunden hat, am Aufbau einer freien und sozialen Gesellschaft weiter mitarbeiten.“

Johannes Paul sah den Mauerfall voraus“

Johannes Paul II. war es gewesen, der aus tiefer innerer Überzeugung auf eine Überwindung des Ost-West-Blockdenkens hingearbeitet hatte. Sein damaliger Sprecher Navarro-Valls gibt heute an, Johannes Paul habe vor 1989 fest an einen Fall der Berliner Mauer geglaubt. Nach der Wiedervereinigung unterstrich der polnische Papst, dass die Wiedervereinigung Deutschlands für das gesamte Europa eine besondere Bedeutung habe. Deutschland sei „ungeachtet der großen, in den neuen Bundesländern zu erbringenden Aufbauleistungen sowohl seiner europäischen Berufung als auch seinem allgemein anerkannten Engagement zugunsten der Solidarität mit den ärmeren Völkern dieser Welt treu geblieben“, so Johannes Paul II. in einer Rede vom 13. September 2002. Einige Jahre zuvor hatte er in einer Predigt in Paderborn, am 22. Juni 1996, gesagt:

„Solidarität und Gerechtigkeit gelten auch für die Entwicklung in Eurem eigenen Land, das nach der Wiedervereinigung seinen Weg in eine gemeinsame Zukunft sucht. In diesem Prozeß gibt es heute noch Probleme, die viele Menschen bedrücken. Es darf sich nicht ein radikaler Individualismus durchsetzen, der am Ende die Gesellschaft zerstört. Ein harmonisches Zusammenleben kann aber nur gelingen, wenn Ihr gemeinsame Werte und Orientierungen behaltet, wenn Gerechtigkeit und Solidarität, Menschenwürde und Barmherzigkeit nicht nur das Ideal einer kleinen Gruppe sind, sondern Ziele für die ganze Gesellschaft bleiben.“

Ebenso sei es mit der Einheit Europas. Sie dürfe nicht nur „in einer Gemeinsamkeit der materiellen Interessen bestehen“, fügte er an.

Johannes Paul am Brandenburger Tor: Ideologen machten ein Tor zur Mauer“

1996 unternahm Johannes Paul II. eine große Deutschlandreise; dabei war der Besuch in Berlin sowohl der Schluss- als auch der Höhepunkt. Begleitet vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl ging Johannes Paul am 23. Juni 1996 durch das Brandenburger Tor. In seiner Rede sprach er Klartext:

„Nirgendwo sonst haben sich während der gewaltsamen Teilung Ihres Landes die Sehnsüchte nach Einheit so sehr mit einem Bauwerk verbunden wie hier. Das Brandenburger Tor wurde von zwei deutschen Diktaturen besetzt. Den nationalsozialistischen Gewaltherrschern diente es als imposante Kulisse für Paraden und Fackelzüge, und von den kommunistischen Tyrannen wurde dieses Tor mitten in dieser Stadt zugemauert. Weil sie Angst vor der Freiheit hatten, pervertierten die Ideologen ein Tor zur Mauer. Gerade an dieser Stelle Berlins, die zugleich zur Nahtstelle Europas wurde, zur unnatürlichen Schnittstelle zwischen Ost und West, gerade an dieser Stelle offenbarte sich für alle Welt sichtbar die grausame Fratze des Kommunismus, dem die menschlichen Sehnsüchte nach Freiheit und Frieden suspekt sind. Vor allem aber fürchtet er die Freiheit des Geistes. Auch sie wollten die braunen und roten Diktatoren zumauern.“

Millionen Menschen seien durch die Berliner Mauer, aber vor allem durch die tödliche Grenze voneinander getrennt gewesen.

„Und in dieser Situation wurde das Brandenburger Tor im November 1989 Zeuge davon, daß Menschen das Joch der Unterdrückung abschüttelten und zerbrachen. Das geschlossene Brandenburger Tor stand da wie ein Symbol der Trennung; als es endlich geöffnet wurde, wurde es zum Symbol der Einheit und zum Zeichen dafür, daß die Forderung des Grundgesetzes nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung erfüllt ist. So kann man zu Recht sagen: Das Brandenburger Tor ist zum Tor der Freiheit geworden.“

(rv 07.11.2014 mg)

Unser Foto zeigt ein Fragment der Berliner Mauer, das heute in den Vatikanischen Gärten steht - ein Geschenk an den heiligen Papst Johannes Paul II.







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