Er war bis September
1989 Bischof von Berlin und danach Erzbischof in Köln: Kardinal Joachim Meisner hat
den Fall der Berliner Mauer nur knapp verpasst. Das Kölner Domradio sprach mit Meisner
auf unsere Bitte hin über seine Erinnerungen an die Zeit vor 25 Jahren.
„Das
habe ich nie für möglich gehalten - auch als ich im September 1989 von Berlin nach
Köln gezogen bin – dass die Mauer fallen würde. Denn dahinter stand ja die Atommacht
Sowjetunion. Und es hat sich ja in Ungarn, in der Tschechoslowakei und 1953 bei uns
gezeigt: Die lassen nicht mit sich fackeln. Deswegen habe ich es nicht für möglich
gehalten. Ich habe hier in Köln vor dem Fernseher gesessen, habe mir immer wieder
in die Hände gekniffen und die Stirn gerieben, „träumst du oder ist das Realität?“
Ich habe zum ersten Mal ein Wunder, das ich nicht für möglich gehalten habe, erlebt.
Und das ist auch eine Konsequenz: Man soll an Wunder glauben! Die geschehen vielleicht
mehr, als wir das erahnen.“
Deswegen sei der 9. November für ihn „ein ganz
wichtiger Tag“, so Meisner.
„Ich habe, solange die DDR existiert hat, dort
mein Dasein gehabt. Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie ich in der Banklehre
war, als am 7. Oktober 1949 die DDR gegründet wurde; da mussten wir das Geschäft und
die Bank schließen und mussten zur Kenntnis nehmen, dass wir jetzt ein eigener Staat
sind: die DDR. Damals habe ich zum ersten Mal die Nationalhymne gehört. Sehen Sie
mal, das hat vierzig Jahre gedauert, das ist wie die vierzigjährige Wüstenwanderung
des Volkes Gottes!“
Über die Kräfte, die dahin geführt hätten, könne man
viel sagen. Kardinal Meisner hingegen will auf etwas Besonderes hinweisen:
„Ich
habe den Fall der Berliner Mauer in einer tiefen geistlichen Dynamik erlebt, nämlich
in Rom. Einige Tage nach dem Mauerfall, am Sonntag darauf, war in Sankt Peter die
Heiligsprechung der seligen Agnes von Prag. Sie war eine Zeitgenossin des hl. Franziskus
und eine tschechische Königstochter, eine sehr bedeutende Frau. Seit Jahrhunderten
gab es die Geschichte im tschechischen Volk: Wenn die selige Agnes heiliggesprochen
wird, bekommt unser Volk die Freiheit. Und diese Heiligsprechung war gerade auf diesen
Tag angesetzt. Weil ich mit der tschechischen Kirche sehr verbunden bin. habe ich
damals gesagt, da muss ich dabei sein. Dort habe ich ja über sechzig Männer heimlich
zu Priestern geweiht.“
Ihr seid verrückt geworden
Meisner
hatte sich damals bei der Heiligsprechungsfeier unter die anderen Kardinäle gesetzt,
als Stanislaw Dziwisz, der damalige Sekretär von Johannes Pauls II., zu ihm kam und
sagte, er solle doch bitte nach vorne kommen, ans Portal, um den Papst mit hinein
zu geleiten an den Hochaltar.
„Als ich den Mittelgang nach hinten gegangen
bin, waren da sehr viele Priester schon in der Kirche, in priesterlicher Kleidung.
Und von den geheim Geweihten habe ich da vielleicht 40, 45 gesehen, die dort zum ersten
Mal in der Öffentlichkeit gestanden sind. Ich bin vor ihnen stehen geblieben und habe
gesagt, ihr seid verrückt geworden. Wenn ihr nach Hause kommt, werdet ihr wieder eingelocht!
Sie haben geantwortet: Wir gehen nicht mehr in die Katakomben, komme, was da kommen
mag. Unser Volk ist überzeugt, dass mit der Heiligsprechung der Agnes von Prag unser
Volk die Freiheit bekommt.
Ungläubig bin ich weiter gegangen. Am nächsten
Tag, am Montag, war dann die Audienz für die offizielle Delegation, und bei einer
Heiligsprechung kommt meistens ein Regierungsmitglied. Das war der Kultusminister
der kommunistischen Regierung. Und der Papst sagte in seiner Abschiedsrede: „Herr
Minister, wenn Sie nach Hause kommen, finden Sie ein anderes Land vor“. „Ja, in welcher
Weise denn?“ fragte der ganz nervös. „Heilige“, antwortete der Papst, „erneuern immer
das Land und machen es schöner, als es davor war!“
Am Donnerstag hätten
dann die Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz von Prag begonnen, und am Sonntag „war
die Freiheit da“, erinnert sich Meisner. Dies sei genau acht Tage nach der Heiligsprechung
der seligen Agnes von Prag gewesen.
Wir waren immer die letzten Mohikaner
Zur
Rolle der Kirchen in der DDR sagt Kardinal Meisner, die katholische Kirche habe sich
nie mit dem Status abgefunden, das habe er als Bischof von Berlin ganz konkret erlebt.
„Ja,
wir waren die einzigen, die die Regierung nicht anerkannt haben, unsere Diözesen waren
alles noch Provisorien. Die evangelische Kirche hatte sofort den ‚Rat der Evangelischen
Kirche in der DDR’ gegründet, als Pendant zur Bundesrepublik. Das haben wir immer
abgelehnt. Wir sind immer eigentlich die letzten Mohikaner gewesen, welche die innerdeutsche
Grenze nie anerkannt haben. Das wurde uns nicht verziehen. Wir haben so manches Privileg
nicht bekommen, das man der evangelischen Kirche gegeben hat, weil wir dem System
die grundsätzliche Akzeptanz verweigert haben.“
25 Jahre danach: Wo liegen
heute die Aufgaben? Meisners Antwort:
„Den Glauben verkünden, das ist nach
wie vor dringend, dringender noch als gestern und vorgestern. Amen. Schluss.“