2014-11-08 15:42:29

Meisner zum Mauerfall: Das war ein Wunder!


RealAudioMP3 Er war bis September 1989 Bischof von Berlin und danach Erzbischof in Köln: Kardinal Joachim Meisner hat den Fall der Berliner Mauer nur knapp verpasst. Das Kölner Domradio sprach mit Meisner auf unsere Bitte hin über seine Erinnerungen an die Zeit vor 25 Jahren.

„Das habe ich nie für möglich gehalten - auch als ich im September 1989 von Berlin nach Köln gezogen bin – dass die Mauer fallen würde. Denn dahinter stand ja die Atommacht Sowjetunion. Und es hat sich ja in Ungarn, in der Tschechoslowakei und 1953 bei uns gezeigt: Die lassen nicht mit sich fackeln. Deswegen habe ich es nicht für möglich gehalten. Ich habe hier in Köln vor dem Fernseher gesessen, habe mir immer wieder in die Hände gekniffen und die Stirn gerieben, „träumst du oder ist das Realität?“ Ich habe zum ersten Mal ein Wunder, das ich nicht für möglich gehalten habe, erlebt. Und das ist auch eine Konsequenz: Man soll an Wunder glauben! Die geschehen vielleicht mehr, als wir das erahnen.“

Deswegen sei der 9. November für ihn „ein ganz wichtiger Tag“, so Meisner.

„Ich habe, solange die DDR existiert hat, dort mein Dasein gehabt. Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie ich in der Banklehre war, als am 7. Oktober 1949 die DDR gegründet wurde; da mussten wir das Geschäft und die Bank schließen und mussten zur Kenntnis nehmen, dass wir jetzt ein eigener Staat sind: die DDR. Damals habe ich zum ersten Mal die Nationalhymne gehört. Sehen Sie mal, das hat vierzig Jahre gedauert, das ist wie die vierzigjährige Wüstenwanderung des Volkes Gottes!“

Über die Kräfte, die dahin geführt hätten, könne man viel sagen. Kardinal Meisner hingegen will auf etwas Besonderes hinweisen:

„Ich habe den Fall der Berliner Mauer in einer tiefen geistlichen Dynamik erlebt, nämlich in Rom. Einige Tage nach dem Mauerfall, am Sonntag darauf, war in Sankt Peter die Heiligsprechung der seligen Agnes von Prag. Sie war eine Zeitgenossin des hl. Franziskus und eine tschechische Königstochter, eine sehr bedeutende Frau. Seit Jahrhunderten gab es die Geschichte im tschechischen Volk: Wenn die selige Agnes heiliggesprochen wird, bekommt unser Volk die Freiheit. Und diese Heiligsprechung war gerade auf diesen Tag angesetzt. Weil ich mit der tschechischen Kirche sehr verbunden bin. habe ich damals gesagt, da muss ich dabei sein. Dort habe ich ja über sechzig Männer heimlich zu Priestern geweiht.“

Ihr seid verrückt geworden

Meisner hatte sich damals bei der Heiligsprechungsfeier unter die anderen Kardinäle gesetzt, als Stanislaw Dziwisz, der damalige Sekretär von Johannes Pauls II., zu ihm kam und sagte, er solle doch bitte nach vorne kommen, ans Portal, um den Papst mit hinein zu geleiten an den Hochaltar.

„Als ich den Mittelgang nach hinten gegangen bin, waren da sehr viele Priester schon in der Kirche, in priesterlicher Kleidung. Und von den geheim Geweihten habe ich da vielleicht 40, 45 gesehen, die dort zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gestanden sind. Ich bin vor ihnen stehen geblieben und habe gesagt, ihr seid verrückt geworden. Wenn ihr nach Hause kommt, werdet ihr wieder eingelocht! Sie haben geantwortet: Wir gehen nicht mehr in die Katakomben, komme, was da kommen mag. Unser Volk ist überzeugt, dass mit der Heiligsprechung der Agnes von Prag unser Volk die Freiheit bekommt.

Ungläubig bin ich weiter gegangen. Am nächsten Tag, am Montag, war dann die Audienz für die offizielle Delegation, und bei einer Heiligsprechung kommt meistens ein Regierungsmitglied. Das war der Kultusminister der kommunistischen Regierung. Und der Papst sagte in seiner Abschiedsrede: „Herr Minister, wenn Sie nach Hause kommen, finden Sie ein anderes Land vor“. „Ja, in welcher Weise denn?“ fragte der ganz nervös. „Heilige“, antwortete der Papst, „erneuern immer das Land und machen es schöner, als es davor war!“

Am Donnerstag hätten dann die Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz von Prag begonnen, und am Sonntag „war die Freiheit da“, erinnert sich Meisner. Dies sei genau acht Tage nach der Heiligsprechung der seligen Agnes von Prag gewesen.

Wir waren immer die letzten Mohikaner

Zur Rolle der Kirchen in der DDR sagt Kardinal Meisner, die katholische Kirche habe sich nie mit dem Status abgefunden, das habe er als Bischof von Berlin ganz konkret erlebt.

„Ja, wir waren die einzigen, die die Regierung nicht anerkannt haben, unsere Diözesen waren alles noch Provisorien. Die evangelische Kirche hatte sofort den ‚Rat der Evangelischen Kirche in der DDR’ gegründet, als Pendant zur Bundesrepublik. Das haben wir immer abgelehnt. Wir sind immer eigentlich die letzten Mohikaner gewesen, welche die innerdeutsche Grenze nie anerkannt haben. Das wurde uns nicht verziehen. Wir haben so manches Privileg nicht bekommen, das man der evangelischen Kirche gegeben hat, weil wir dem System die grundsätzliche Akzeptanz verweigert haben.“

25 Jahre danach: Wo liegen heute die Aufgaben? Meisners Antwort:

„Den Glauben verkünden, das ist nach wie vor dringend, dringender noch als gestern und vorgestern. Amen. Schluss.“

(rv/domradio 08.11.2014 mg)







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