„Islamischer Staat“
oder lebenslange Zwangsarbeit für Missionare, Boko Haram oder Blasphemiegesetze: Religiöse
Verfolgung hat in den vergangenen zwei Jahren nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich
drastisch zugenommen. Darauf weist das Hilfswerk „Kirche in Not" hin, das am Dienstag
in Rom einen Bericht zum Stand der Religionsfreiheit vorstellte. Der von Journalisten
und Forschern erstellte Report deckt den Zeitraum Oktober 2012 bis Juni 2014 ab. Peter
Sefton-Williams, der Vorsitzende des Redaktionskomitees für den Bericht, fasst zusammen:
„In 55 von 196 Ländern auf der Welt hat sich die Lage der Religionsfreiheit
in den letzten zwei Jahren verschlechtert, und in nur sechs verbessert; und diese
sechs Länder – die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran, Kuba, Katar, Simbawe und
Taiwan - sind fast durchwegs solche, die ohnehin einen sehr niedrigen Standard in
Sachen Religionsfreiheit hatten. Das zweite, was wir sehen, ist: In mehr als der Hälfte
aller Länder auf der Welt, 60 Prozent, ist Religionsfreiheit heute auf irgendeine
Art bedroht. Das ist ein enormer Prozentsatz. Wenn wir auf die UNO-Erklärung der Religionsfreiheit
und den Fall der Berliner Mauer 1989 zurückblicken, müssen wir sagen: Wir hätten nicht
erwartet, heute in dieser Situation zu sein, aber leider wird die Situation schlechter.“
In 20 Ländern sind religiöse Intoleranz und Verfolgung derzeit besonders
hoch, heißt es in dem Bericht. In 14 dieser 20 Länder ist islamischer Extremismus
die Ursache für religiöse Verfolgung, in den übrigens sechs sind es autoritäre Regimes.
Angesichts des „besorgniserregenden Trends" mahnt das internationale katholische Hilfswerk
die Staats- und Religionsführer, sich stärker als bisher gegen religiös motivierte
Gewalt und für religiöse Toleranz und Religionsfreiheit auszusprechen.
„Klarerweise
müssen wir Druck auf Politiker ausüben; wir müssen persönlich lernen, toleranter zu
werden, besonders im Westen. Religiöse Toleranz ist nicht nur für andere Leute, sie
ist auch für uns. Das ist ganz schön schwer durchzusetzen! Und das Wichtigste ist:
Religionsführer müssen sich für die Religionsfreiheit öffentlich einsetzen. Jüngst
hat der frühere Chefrabbiner von Großbritannien, Lord Sax, eine sehr berührende Aussage
gemacht über Gott, der weint wegen der Grausamkeiten, die in seinem Namen verübt werden.
Papst Franziskus hat es bereits klar benannt: Religionsfreiheit ist eine Forderung
an alle. Und erst vor ein paar Tagen haben 120 Imame einen Brief an den Führer des
„Islamischen Staates“ geschrieben und ein Ende der von ihm verübten Verbrechen gefordert
- im Namen der Religion und Islam. Und dass diese Aktivitäten keinen Platz haben im
Islam. Mir scheint, dies ist der Weg, dem wir folgen müssen!"
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religiöse Intoleranz auch in Westeuropa
Nach Kontinenten geordnet,
ist Religionsfreiheit am ehesten in Nord- und Lateinamerika, Europa, Australien und
überwiegend auch Afrika gegeben. Der schwierigste Kontinent für die Religionsfreiheit
ist Asien inklusive - und besonders - Nahost und Arabien. Weltweit gesehen, lässt
sich eine große Bandbreite von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Religionsfreiheit
beobachten: von drohenden Massakern an religiösen Minderheiten im Nahen Osten bis
zu Diskriminierungen am Arbeitsplatz in westlichen Ländern. In Westeuropa beobachtet
„Kirche in Not“ einen Anstieg religiöser Intoleranz und des „aggressiven Atheismus".
Martin Kugler, Leiter der „Dokumentationsstelle für Intoleranz und Diskriminierung
gegenüber Christen in Europa“ mit Sitz in Wien, stellt fest,
„dass eine
neue Generation heranwächst und auch schon an den Hebeln der Macht ist, die wenig
mit Religion anfangen kann und deshalb auch nicht sensibel ist für Gewissens- oder
Erziehungsfreiheit, die mehr gläubige Menschen als nichtpraktizierende betreffen.“
Diese
mangelnde Sensibilität für religiöse Belange zeige sich beim Blick auf die Verfolgung
religiöser Minderheiten in anderen Teilen der Welt, erläutert Kugler.
„Nämlich
das Schweigen oder die große Zurückhaltung der Politik und der Medien, diese Wunde
der Verfolgung weltweit zu thematisieren. Es gibt eine Voreingenommenheit gegenüber
diesem Problem. Man sagt in Europa, die Christen waren historisch gesehen ohnehin
immer in der Mehrheit, sie sind ohnehin die Mächtigen, sie sollen jetzt nicht so kleinlich
sein. Dabei übersieht man, dass erstens die Christen in diesen Ländern (in denen Christenverfolgung
stattfindet, Anm.) fast nie an der Macht oder in der Mehrheit waren, und wenn, wäre
das zweitens auch ein schlechtes Argument: Man kann ja nicht die Situation heute verharmlosen,
indem man sagt, die Christen haben früher ja auch Unrecht begangen. Das ist eine gegen
die Vernunft gerichtete Denkweise.“