Synode: „Kirchlicher Aufbruch wie beim Zweiten Vatikanum“
Die derzeit im Vatikan stattfindende Sonderbischofssynode zu Ehe und Familie steht
ganz in der Tradition eines kirchlichen Aufbruchs, wie ihn auch das Zweite Vatikanische
Konzil verkörpert hat: Das hat der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper bei einem
Vortrag am Mittwochabend in Wien unterstrichen. „Der Geist des Konzils durchweht die
Synode“, so Kasper, zumal die Beratungen in einem Klima der „Zuversicht, Freude und
Freiheit“ stattfänden. Dies spreche auch aus dem zuletzt vorgelegten und heftig umstrittenen
Zwischenbericht zur Synode. Mit Franziskus sei eine vormals eher „pessimistische Grundstimmung",
in der sich „Skandale wie Mehltau auf die Kirche gelegt haben", nun einer neuen Freude
und Aufbruchsstimmung gewichen. Kardinal Kasper sprach im Rahmen des „dies facultatis"
der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sein Vortrag stand unter
dem Thema „Die ekklesiologische und ökumenische Vision von Papst Franziskus". Im Rahmen
der Veranstaltung wurden u.a. die diesjährigen theologischen Dissertationspreise vergeben.
Kasper hat seinen Aufenthalt bei der Bischofssynode eigens für seinen Vortrag in Wien
unterbrochen. Selbst unter den Synodenvätern sei inzwischen ein „Franziskus-Effekt"
zu spüren, so Kasper - selbst wenn es durchaus auch skeptische Stimmen unter den Bischöfen
gebe, die sich „in Zurückhaltung üben und das Pontifikat eher aussitzen wollen". Für
die meisten verkörpere das Pontifikat indes einen „neuen Frühling". Ein Frühling,
der sich jedoch nicht darin erschöpfe, vor allem westliche Reformerwartungen vorschnell
zu befriedigen, mahnte Kasper. So werde man dem „Phänomen Franziskus" nur gerecht,
wenn man den mit Franziskus vollzogenen „Paradigmenwechsel" vor dem Hintergrund auch
der päpstlichen Theologie beleuchte. Große Nähe zu Paul VI. Papst
Franziskus passe nicht in das „etwas abgenutzte progressiv-konservativ-Schema", zeigte
sich Kasper überzeugt. Vielmehr verbinde er in seinem Kirchenverständnis Elemente
der Tradition mit Elementen einer „ecclesia semper reformanda" - einer Kirche, die
auf Veränderung drängt. Damit stelle sich Franziskus bewusst auch in die Tradition
der Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI., die das unveränderliche Evangelium
"stets neu im Licht der Zeichen der Zeit" deuten wollten. Papst Paul VI., den Franziskus
am Sonntag zum Ende der Familiensynode selig sprechen wird, sei es auch, dem Franziskus
„bei allen persönlichen Unterschieden" am ähnlichsten sei in seinem Anliegen, Tradition
und Entwicklung zu verbinden. Letztlich lasse sich Franziskus „keiner theologischen
Schulrichtung zuordnen", er sei stets ein „Mann der Praxis und der Begegnung" für
den ein „Primat der Wirklichkeit vor der Idee" gelte. Dieses Prinzip habe letztlich
auch die lateinamerikanische Befreiungstheologie mit ihrem Dreischritt „sehen, urteilen,
handeln" aufgegriffen. Wie Kasper weiter entfaltete, dürfe man Franziskus jedoch nicht
mit „der" Befreiungstheologie in Verbindung bringen, die wegen ihrer Nähe zu neomarxistischen
Revolutionsvorstellungen u.a. von der Glaubenskongregation gemaßregelt wurde - vielmehr
baue die Befreiungstheologie Jorge Mario Bergoglios auf einer speziellen argentinischen
Variante einer „Theologie des Volkes und der Kultur" auf. Diese habe starke europäische
theologische und philosophische Wurzeln sowie ein hohes Maß an Sensibilität für regionale
Frömmigkeiten und regionale gesellschaftliche Situationen. Statt von der Idee des
Klassenkampfes sei die Befreiungstheologie des Papstes von der Idee der Versöhnung
geprägt. Barmherzigkeit und Volk-Gottes-Theologie Im Zentrum der
päpstlichen Theologie und Vision von Kirche - die Kasper in Franziskus' Schreiben
„Evangelii Gaudium" zu einem Pontifikats-Programm verdichtet sieht - stehe das Evangelium,
die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes und die vom Konzil erneut stark gemachte Vorstellung
von Kirche als Volk Gottes. Kirche müsse heute „den Geruch der Schafe annehmen", brachte
Kasper das Kirchenverständnis von Papst Franziskus auf den Punkt. Er intendiere eine
„Partizipation des Volkes Gottes, jedes Einzelnen, an der Kirche". Kirche müsse daher
heute vor allem „hörende Kirche" sein – „mit einem Ohr am Volk". Einer negativen
Zeitdiagnose setze Franziskus mit dem Evangelium eine Idee von Freude und Neuaufbruch
entgegen. Dies gelte auch für das Verhältnis von kirchlicher Lehre und Evangelium
- beides dürfe nicht gegeneinander ausgespielt werden, vielmehr bilde die „Freude
des Evangeliums" die Grundlage jedes „richtigen Verständnisses der Lehre", so Kasper:
„Mit diesem evangelischen Programm greift Franziskus auf die ursprüngliche Botschaft
der Kirche und ihre Sendung in der Gegenwart zurück." „Geschenk Gottes für
die Kirche" Das Reformprogramm, das Papst Franziskus der Kirche verordnet
habe, sei ein „Jahrhundertprogramm", so Kasper, da es alle Dimensionen von Kirche-sein
bis hinein in die Grundhaltung jedes einzelnen Christen betreffe. Somit reichen die
jetzigen Weichenstellungen laut Kasper auch weit über das Pontifikat von Franziskus
hinaus; der Erfolg des Papstes, den Kasper ohne Umschweife als „Geschenk Gottes für
die Kirche und diese Zeit" bezeichnete, hänge daher an der Frage, ob es gelingen wird,
den Aufbruchsgeist auch in künftigen Pontifikaten am Leben zu erhalten. (kap 16.10.2014
pr)