Seit sechs Monaten
fehlt von ihnen jede Spur – das Schicksal der mehr als 200 nigerianischen Schulmädchen
ist auch ein halbes Jahr nach ihrer Entführung durch die Terrorsekte Boko Haram immer
noch ungewiss. Anhänger der Initiative „Bring Back Our Girls“ protestiertendeshalb an diesem Dienstag erneut in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Sie
wollen ein Treffen mit Staatspräsident Goodluck Jonathan erwirken, der in den vergangenen
Monaten immer wieder dafür kritisiert worden war, nicht genug für die Freilassung
der entführten Schülerinnen zu tun. Jonathan hatte in den vergangenen Monaten mehrfach
angekündigt, die Mädchen würden bald befreit. Dennoch befinden sich weiterhin 219
der damals entführten fast 300 Schülerinnern in der Gewalt der Terrorgruppe Boko Haram.
Deren Milizen hatten in der Nacht zum 15. April ein Internat im Dorf Chibok in Nordnigeria
gestürmt und die Mädchen verschleppt. Boko Haram - übersetzt etwa „Westliche Bildung
ist Sünde“ - verlangte in Videobotschaften, inhaftierte Kämpfer im Austausch gegen
die Mädchen freizulassen.
Boko Haram will ein länderübergreifendes Kalifat
aufbauen
Hinter den immer häufigeren Übergriffen Boko Harams steht
der Plan, ein länderübergreifendes Kalifat in der Region aufzubauen. Das berichtet
im Interview mit Radio Vatikan der Laienmissionar Fabio Mussi, der im Norden Kameruns
für die päpstlichen Missionswerek (PIME) die Caritasarbeit in der Diözese Yagoua koordiniert.
„Vor ungefähr eineinhalb Jahren hat Boko Haram begonnen, auch über die
Grenzen Nigerias bis nach Kamerun zu gehen. Sie wollen um jeden Preis ein islamisches
Kalifat aufbauen, das bis nach Äthiopien und Somalia reicht, wo die Islamisten Unterstützung
der al-Shabab-Rebellen finden. Dieses Projekt hat also zur Invasion in einigen Gebieten
geführt, vor allem im Norden Kameruns in der Nähe des Tschadsees, wo wir an der Grenze
zu Nigeria arbeiten.“
Die Terrorsekte lasse nur Menschen in Ruhe, die sich
Boko Harams fundamentalistischen Ideologie bedingungslos fügten, so Mussi. Alle anderen
würden getötet oder vertrieben. Die Gewalt der Terroristen hat zu einer Massenflucht
aus Nigeria geführt. Doch auch innerhalb von Kamerun flöhen die Menschen inzwischen
vor Boko Haram, so der Missionar:
„Der Brennpunkt ist aktuell die Gegend
der Stadt Fotocol an der Grenze zu Nigeria. Die Menschen, die in Kamerun ankommen,
haben in den letzten Wochen alle Schulen bezogen, die frei waren, weil das Schuljahr
noch nicht begonnen hatte. Teilweise kamen sie auch bei Familien oder Verwandten unter.“
Insgesamt
seien in der Region 40.000 Menschen angekommen, die auf der Flucht vor Boko Haram
seien; viele von ihnen seien traumatisiert, so der Italiener. Sie berichteten über
Massaker und öffentliche Hinrichtungen, vor allem von Christen. Die Stiftung der Päpstlichen
Missionswerke habe ein Hilfsprojekt für 12.000 der Flüchtlinge starten können, so
Mussi weiter: Die Helfer gäben wöchentliche Essenrationen und Frischwasser aus und
kümmerten sich um die Gesundheitsversorgung der Menschen.