Nigeria/Somalia: Terrorismus ändert seine Strategie
In Somalia ist ein
Schlag gegen den Islamistenterror gelungen – in Nigeria steht er noch aus. Der Anführer
der Al Shabaab-Miliz in Somalia wurde am Montag durch einen US-Angriff getötet; Ahmed
Abdi Godane war einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Derweil brodelt es
in Afrikas bevölkerungsreichstem Land Nigeria weiter. Tausende Menschen verlassen
in diesen Tagen Maiduguri, die Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Nordosten Nigerias,
auf der Flucht vor Boko Haram. Der Anführer der Terrorgruppe, Abubakar Shekau, hatte
das Gebiet im August zum „muslimischen Territorium“ erklärt. Fachleute erkennen klare
Parallelen zwischen den beiden afrikanischen Terrormilizen in Nigeria und Somalia.
Enrico Casale, Afrikanist bei der Missionszeitschrift „Popoli“ der Jesuiten:
„Al
Shabaab und Boko Haram haben dieselbe Ausrichtung, dieselbe Wurzel: eine radikale
Lesart des Islam. In Somalia haben die Al Shabaab weite Gebiete erobert. Der Tod ihres
Anführers Godane durch US-amerikanische Drohnen könnte sie aber in ihrem Feldzug zurückwerfen.
Godane hat keine „Nachfolger“ ernannt. So wäre es möglich, dass die Bewegung sich
in innere Konflikte verliert. Dann wären aber auch noch kompliziertere Situationen
vorstellbar, als wir sie heute in Somalia sehen.“
Somalia hat seit zwei
Jahrzehnten praktisch kaum noch staatliche Strukturen. In Nigeria ist die Lage diesbezüglich
besser, auch wenn die Regierung nach Ansicht vieler Bürger dem Terror von Boko Haram
viel zu wenig entgegensetzt. Casale beobachtet neue Vorgehensweisen bei der nigerianischen
Terrormiliz. Waren es in den vergangenen Jahren eher Angriffe auf Schulen und Verwaltungsbüros,
mit denen Boko Haram Angst und Tod verbreitete, so haben sich die Terroristen nun
auf Entführungen und Eroberungen ganzer Landstriche verlegt.
„Das ist ein
Strategiewechsel des ganzen islamischen Fundamentalismus. Al Kaida etwa setzte nicht
so sehr auf die Kontrolle von Gebieten, sondern auf Terrorakte, vom 11. September
2001 angefangen, London, Madrid und andere. Diese Bewegungen gehen nun anders vor.
Sie erobern Gebiete und rufen dort ihre integralistische Lesart des Islam aus, die
beispielsweise Frauen von der Öffentlichkeit, ja sogar der Bildung ausschließt und
körperliche Strafen für Vergehen gegen das islamische Gesetz vorsieht. Die Terroristen
von Boko Haram streben ganz offensichtlich eine Nachahmung des „Islamischen Staates“
für Afrika an. Und sie haben beste Kontakte zu ähnlichen Gruppen, nicht nur Al Shabaab,
sondern auch Aqmi, also Al Kaida im Maghreb.“
Nun stehen Boko-Haram-Kämpfer
vor Maiduguri. Casale fürchtet, dass der Bundesstaat Borno mit seiner Hauptstadt Maiduguri
sich gewissermaßen von Nigeria abspalten könnte – mit dramatischen Folgen für das
Gleichgewicht der gesamten Region.
„Borno könnte ein autonomes Territorium
werden, ähnlich jenem, das IS im Irak ausgerufen hat. Denken wir daran, dass Boko
Haram auch Nord-Kamerun bedroht hat. Gefahr bestünde dann auch für den Tschad und
andere Nachbarländer. Die Sorge ist wirklich die, dass sich Boko Haram ausbreitet
und festigt, vielleicht auch mit Milizen verschmilzt, die im Sahel operieren.“