Wie viele Gräueltaten der Kämpfer des „Islamischen Staates“ in Irak und Syrien müssen
noch geschehen, wie viele Verfolgte müssen noch flüchten oder sterben, damit die internationale
Gemeinschaft aufwacht? Diese unbequeme Frage stellt im Interview mit Radio Vatikan
der libanesische Patriarchalvikar für die Maronitische Kirche, Erzbischof Paul Nabil
El-Sayah. Die NATO-Gruppe der zehn Staaten, die nun eine gemeinsame Front gegen IS
bilden will, genügt aus seiner Sicht bei weitem nicht, um der Gefahr Herr zu werden.
Für El-Sayah fehlen nach wie vor klare und laute Verurteilungen des IS-Terrors durch
internationale Organisationen. Der UN-Menschenrechtsrat hat eine Resolution verabschiedet,
die El-Sayah würdigt. Doch einige in der UNO vertretene Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit
tun sich schwer damit, die Vorgänge im Irak beim Namen zu nennen. Erzbischof El-Sayah:
„Jede internationale Organisation, die mit Menschenrechten in Verbindung
steht, soll einen klaren Standpunkt vertreten und diese Menschenrechtsverletzungen
verurteilen. Als positives Beispiel nenne ich die kürzlich erfolgte Entschließung
der UNO in Genf, die eine entschlossene Strafverfolgung von Kriegsverbrechen des Terrornetzwerks
"Islamischer Staat“ fordert. Denn das tun diese Terroristen: Menschenrechte verletzten.
Zweitens muss die UN sichere Zonen für die Flüchtlinge aufbauen. Viele sind derzeit
in Schulen untergebracht, dort müssen wie nun weg, weil die Schule wieder anfängt.“
Wenn
nicht „jeder“ in den westlichen Gesellschaft aufwache, dann werden die Terroristen
ohne Einschränkung weiter ziehen, mahnt der libanesische Erzbischof.
„So
wie derzeit die Dinge in diesem Teil der Welt ablaufen, heißt das für extremistische
Muslime, dass sie ihren Weg gehen können und moderate Stimmen nicht akzeptiert werden.
Wir wollen, dass die internationale Gemeinschaft aufhört, diese Menschen auszurüsten,
sie zu trainieren und ihr Öl zu kaufen! Wir wollen, dass es vor allem in Europa verboten
wird, Kämpfer zu rekrutieren. Es ist doch unglaublich, dass diese Leute Briten, Deutsche,
Franzosen und Amerikaner in ihren Reihen stehen haben.“
Aktuelle Erhebungen
ergeben, dass mehr als 2000 IS- Kämpfer aus Europa stammen. Fanatisierte Europäer,
die die Terrormiliz Islamischer Staat unterstützen bereiten ganz Europa Sorge, vor
allem jene, die zurückkehren und weitere Kämpfer anwerben wollen. In Deutschland fordern
Unionspolitiker ein schärferes Vorgehen und neue Strafen gegen Dschihad-Kämpfer, in
England wollen britische Islamisten wieder zurück, da sie sich in Kämpfen von rivalisierenden
Islamisten wiederfanden, anstatt für IS zu kämpfen.
Sollte die Vertreibung
der Christen aus dem gesamten Nahen Osten gelingen, wäre das ein enormer Verlust für
die Region, betont der libanesische Erzbischof. Ganz abgesehen vom Recht jedes Menschen
auf seine Heimat: Mängel in der gesellschaftlichen Entwicklung der Nahost-Länder hin
zur Demokratie seien ohne Christen noch viel schwieriger aufzuholen.
„Die
christliche Präsenz ist lebendig, nicht nur für die Christen, sondern für die ganze
Region: kulturell, gesellschaftlich….und wenn die internationale Gemeinde die Demokratie
dort fördern will, dann ist die christliche Präsenz dort essentiell. Denn diese Art
von Islam, die wir vor Ort sehen, ist nicht diejenige, die die Demokratie fördert.“ (rv
06.09.2014 no)