Ahmad Mansour war
früher Islamist. Er weiß, warum sich Jugendliche radikalen, gewaltbereiten, religiösen
Gruppen anschließen und was sie dort suchen. Heute arbeitet unter anderem als Psychologe
in der Bratungsstelle Hayat der Gesellschaft für Demokratische Kultur in Berlin. Er
hilft dort Eltern, deren Kinder gerade dabei sind, sich zu radikalisieren oder dies
bereits getan haben. In einem Interview mit dem Domradio erzählt er über seine Arbeit.
Alles
fängt mit der Suche nach dem Sinn des Lebens an – so könnte man den Anfang einer Radikalisierung
bei jungen Menschen beschreiben. Über 400 junge Muslime aus Deutschland seien inzwischen
als sogenannte Gotteskrieger nach Syrien und in den Irak gereist, um dort in Terrorgruppen
für den Islam zu kämpfen - wie etwa auch die Mörder des US-amerikanischen Journalisten
James Foley. Für viele ist dies unvorstellbar, warum sich ein Mensch plötzlich derart
radikalisieren kann, was diese jungen Menschen antreibt. Der Diplom-Psychologe Ahmad
Mansour war als Jugendlicher selbst Islamist und sagt, dass eine solche Radikalisierung
nie von heute auf morgen passiere.
„Das ist ein Prozess, der manchmal auch
Jahre dauert, bis die Jugendlichen irgendwann diesen Entschluss treffen und nach Syrien
oder in den Irak ziehen. Diese Jugendlichen, besonders die, die den Islam annehmen,
dies tun, weil sie vorher unglücklich waren, weil sie auf der Suche sind. Und auf
einmal finden sie eine Gruppe, die sie akzeptiert, wie sie sind“.
Was diese
Jugendlichen in ihrem Leben bräuchten sei Orientierung, halt und Struktur, sagt Mansour.
Auffällig sei die Rolle des Vaters.
„Wenn man psychologisch analysiert,
dann merkt man, dass bei den meisten dieser Kinder der Vater keine Rolle gespielt
hat. Und das ist auch ein Grund, weshalb diese Gruppierungen so attraktiv für die
Jugendlichen sind, in diesen Gruppen finden wir eine patriarchalische Vaterfigur,
das kann der Imam sein, das kann Gott sein, Gott, der bestraft, Gott, der eigentlich
ganz deutlich ist in seinen Erwartungen an diese Kinder. Und das ist genau dieser
Ersatz für die Vaterfigur, die in der Familie fehlte“.
Das Transportieren
eines Gemeinschaftsgefühls, in einer Gruppe unter Gleichen zu sein, Freunde zu finden
und das vermeidliche Gefühl nach Gerechtigkeit, das sei der Motor, der viele antreibe,
sich diesen Gruppen anzuschließen. Ahmad Mansour habe beobachtet, dass viele Jugendliche
einen großen Sinn für Gerechtigkeit hätten und in diesem Zusammenhang auch Religion
eine wichtige Rolle spiele. Gruppierungen wie die IS würden in ihren Augen Werte und
Eindeutigkeit in Bezug auf richtig und falsch vermitteln und eine Art angeblicher
Opferidentität darstellen. Aber vor allem würden sie auch Solidarität mit Unterdrückten
und Leidenden in dieser Welt bieten.
„Der IS bietet sozusagen Wahrheit
an, eine Exklusivität, den Wahrheitsanspruch, die einzig richtige Islaminterpretation
zu haben, ein Paradies, ein einziger Lebensweg. Das ist nur der Schein, natürlich
müssen sie auch bestimmte Regeln befolgen, sie müssen beten, sie müssen sich der Gruppe
anschließen, sie müssen sich vom Aussehen her anpassen“.
Wenn die eigenen
Kinder in den Gotteskrieg ziehen: Die meisten Eltern, die in ihrer Ohnmacht Hilfe
bei Ahmad Mansour suchen, würde vor allem eines einen: Hilflosigkeit, Panik, Trauer.
Ahmad Mansour berät viele Familien, deren Kinder schon nicht mehr in Deutschland sind.
Oft merke er, dass diese Eltern schon monatelang auf der Suche waren.
„Wenn
wir zum Beispiel muslimische Eltern beraten, dann merken wir immer wieder, dass sie
meist zu spät anrufen, wenn die Islamisierungstendenzen schon sehr, sehr weit fortgeschritten
sind. Bei deutschen Eltern merken wir, dass sie mit dem Thema eigentlich sehr überfordert
sind, dass manchmal auch allein die Tatsache, dass die Kinder Muslime geworden sind,
die Eltern überfordert“.
Bei jenen, bei denen es noch nicht zu spät ist,
bei jenen, die noch keine Aussteiger sind, die gerade erst dabei sind, sich zu radikalisieren
und zum Islamisten zu werden, sei das wichtigste, die Kommunikation in der Familie
wieder herzustellen, zu normalisieren. Denn in den meisten Familien sei diese Kommunikation
schon so kaputt, dass es fast keinen Kontakt mehr zwischen Kindern und Eltern gebe.
„Durch die Eltern versuchen wir, Kontakt zu den Kindern zu bekommen, sie
immer wieder zum Nachdenken zu bringen und kritisches Denken bei ihnen zu fördern.
Das ist eine Arbeit, die die Eltern auch emotional belasten wird, aber wenn sie das
mitmachen, dann versichern wir ihnen, dass wir alles tun werden, um die Kinder zu
erreichen“.
Wenn vor allem die Kommunikation in der Familie wieder stimme,
sagt Mansour, wenn die Kinder das Gefühl haben, dass die Eltern Bezugspersonen sind,
dass sie mit ihnen darüber sprechen wollen, könne ihm zufolge viel erreicht werden.
Was die Eltern aber verstehen müssten, sei, dass dieser Prozess lange, sehr lange,
dauern könne.