Die Papst-Predigt bei der Friedens- und Versöhnungsmesse
Die Predigt des Papstes in der Messe für Frieden und Versöhnung in der Kathedrale
von Myeong-dong in Seoul, gehalten am 18. August 2014. Es handelt sich um eine offizielle
Übersetzung.
Liebe Brüder und Schwestern,
da
mein Aufenthalt in Korea seinem Ende zugeht, danke ich Gott für den reichen Segen,
den er diesem geschätzten Land – und in besonderer Weise der Kirche in Korea – geschenkt
hat. Unter diesen Segnungen behalte ich speziell das Erlebnis in Erinnerung, das für
uns alle in diesen letzten Tagen die Anwesenheit so vieler junger Pilger aus ganz
Asien bedeutete. Ihre Liebe zu Jesus und ihre Begeisterung für die Verbreitung seines
Reiches waren für uns alle inspirierend.
Nun gipfelt mein Besuch in dieser
Messfeier, in der wir von Gott die Gnade des Friedens und der Versöhnung erflehen.
Dieses Gebet erfährt eine besondere Resonanz auf der koreanischen Halbinsel. Die heutige
Messe ist in erster Linie ein Gebet um Versöhnung innerhalb der koreanischen Familie.
Im Evangelium sagt Jesus uns, wie mächtig unser Gebet ist, wenn zwei oder drei von
uns gemeinsam etwas erbitten (Mt 18,19-20). Wie viel mehr, wenn ein ganzes Volk seine
innige Bitte zum Himmel erhebt!
Die erste Lesung stellt uns die Verheißung
Gottes vor, ein durch Unheil und Spaltung zerstreutes Volk wieder zu Einheit und Wohlstand
zu führen. Für uns wie für das Volk Israel ist dies eine Verheißung voller Hoffnung:
Sie weist auf eine Zukunft hin, die Gott schon jetzt für uns vorbereitet. Doch diese
Verheißung ist untrennbar verknüpft mit einem Gebot: dem Gebot, zu Gott zurückzukehren
und aus ganzem Herzen sein Gesetz zu befolgen (vgl. Dtn 30,2-3). Gottes Gaben der
Versöhnung, der Einheit und des Friedens sind unlösbar verbunden mit der Gnade der
Umkehr, mit einem Wandel des Herzens, der den Lauf unseres Lebens und unserer Geschichte
als Einzelne und als Volk verändern kann.
In dieser Messe hören wir diese
Verheißung natürlich im Kontext der geschichtlichen Erfahrung des koreanischen Volkes,
einer Erfahrung der Teilung und des Konflikts, die schon über sechzig Jahre andauert.
Doch Gottes dringender Aufruf zur Umkehr fordert Christi Anhänger in Korea auch auf,
die Qualität ihres eigenen Beitrags zum Aufbau einer wirklich gerechten und menschlichen
Gesellschaft zu überprüfen. Er fordert jeden von euch auf, über das Maß nachzudenken,
in dem ihr – als Einzelne und als Gemeinschaften – ein am Evangelium ausgerichtetes
Interesse zeigt für die Benachteiligten, die an den Rand Gedrängten, die Arbeitslosen
und die, welche keinen Anteil an dem Wohlstand der vielen haben. Und er fordert euch
als Christen und Koreaner auf, entschieden eine Mentalität zu verwerfen, die durch
Argwohn, Konfrontation und Konkurrenzdenken geformt ist, und statt dessen eine Kultur
zu entwickeln, die von der Lehre des Evangeliums und den edelsten traditionellen Werten
des koreanischen Volkes geprägt ist.
Im heutigen Evangelium fragt Petrus
den Herrn: „Wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt?
Siebenmal?“, worauf der Herr antwortet: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“
(Mt 18,21-22). Diese Worte treffen den eigentlichen Kern der Botschaft Jesu von Versöhnung
und Frieden. Seinem Gebot gehorsam, bitten wir unseren himmlischen Vater täglich,
uns unsere Sünden zu vergeben, „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Wenn wir
nicht bereit sind, das zu tun, wie können wir dann ehrlich für Frieden und Versöhnung
beten?
Jesus verlangt von uns zu glauben, dass Vergebung die Tür ist, die
zu Versöhnung führt. Indem er uns befiehlt, unseren Mitmenschen uneingeschränkt zu
vergeben, fordert er uns auf, etwas absolut Radikales zu tun, doch er schenkt uns
auch die Gnade, es zu vollbringen. Was aus menschlicher Sicht unmöglich, undurchführbar
und manchmal sogar abstoßend erscheint, macht er möglich und fruchtbar durch die unendliche
Kraft seines Kreuzes. Das Kreuz Christi offenbart Gottes Macht, jede Teilung zu überbrücken,
jede Wunde zu heilen und die ursprünglichen Bande brüderlicher Liebe wieder herzustellen.
Das
ist also die Botschaft, die ich euch zum Abschluss meines Besuches in Korea hinterlasse.
Vertraut auf die Kraft des Kreuzes Christi! Empfangt seine versöhnende Gnade in euren
eigenen Herzen und teilt diese Gnade mit anderen! Ich bitte euch, zu Hause, in euren
Gemeinden und auf allen Ebenen nationalen Lebens ein überzeugendes Zeugnis für Christi
Botschaft von der Vergebung abzulegen. Ich bin zuversichtlich, dass ihr im Geist der
Freundschaft und der Zusammenarbeit mit anderen Christen, mit den Anhängern anderer
Religionen und mit allen Menschen guten Willens, denen die Zukunft der koreanischen
Gesellschaft am Herzen liegt, ein Sauerteig des Gottesreiches in diesem Land sein
werdet. Auf diese Weise werden unsere Gebete um Frieden und Versöhnung aus immer mehr
reinen Herzen zu Gott aufsteigen und durch sein gnädiges Geschenk jenes kostbare Gut
erlangen, das wir alle ersehnen.
Lasst uns also beten und um neue Gelegenheiten
zum Dialog, zur Begegnung und zur Lösung von Gegensätzen bitten, um anhaltende Großherzigkeit
in der Bereitstellung humanitärer Hilfe für die Notleidenden und um ein immer tieferes
Erkennen, dass alle Koreaner Brüder und Schwestern sind, Glieder einer Familie, eines
Volkes, die eine Sprache sprechensie sprechen.
Bevor ich Korea verlasse,
möchte ich den zivilen und kirchlichen Behörden und allen, die in irgendeiner Weise
zur Durchführung dieses Besuches beigetragen haben, meinen Dank ausdrücken. Ganz besonders
möchte ich ein Wort persönlicher Wertschätzung an die Priester von Korea richten,
die täglich im Dienst für das Evangelium und für den Aufbau des Gottesvolkes in Glaube,
Hoffnung und Liebe arbeiten. Ich bitte euch, als Gesandte Christi und Diener seiner
versöhnenden Liebe (vgl. 2 Kor 5,18-20) weiterhin Brücken der Achtung, des Vertrauens
und der harmonischen Zusammenarbeit in euren Pfarreien, untereinander und mit euren
Bischöfen zu bauen. Euer Vorbild uneingeschränkter Liebe zum Herrn, eure Treue und
Hingabe an euren Dienst und eure liebevolle Sorge für die Notleidenden sind ein bedeutender
Beitrag zum Werk der Versöhnung und des Friedens in diesem Land.
Liebe
Brüder und Schwestern, Gott ruft uns, zu ihm zurückzukehren und auf seine Stimme zu
hören, und er gibt uns die Verheißung, uns im Land in noch größerem Frieden und Wohlstand
einzurichten, als unsere Vorfahren es erlebten. Mögen alle, die in Korea Christus
nachfolgen, den Anbruch jenes neuen Tages vorbereiten, an dem dieses „Land der Morgenstille“
seine Freude haben wird an Gottes überreichem Segen der Harmonie und des Friedens!
Amen.