Das Fährunglück vom 16. April 2014: Eine nationale Katastrophe
Kaum ein Ereignis
wühlt die Gesellschaft und Politik Koreas derzeit so auf wie die Tragödie des Fährschiffs
Sewol vom 16. April dieses Jahres. 292, nach anderen Zählungen 302 Menschen kamen
ums Leben oder werden vermisst, die meisten von ihnen Kinder auf einem Ausflug. Papst
Franziskus hat an diesem Freitag vor der Messe eine Gruppe von Vertretern der Familien
der Opfer empfangen und das Holzkreuz gesegnet, mit denen sie im Land auf Mahn-Pilgerschaft
sind. Nach der Messe griff er das Desaster im Angelus-Gebet auf und sprach den Angehörigen
seinen Beistand aus.
Es ist schwer von außen zu ermessen, wie tief der Schock
über die Tragödie und die anschließende Aufdeckung von Korruption und Versagen in
der Gesellschaft sitzt, berichtet unser Korrespondent Pater Bernd Hagenkord aus Korea.
Die
Geschichte ist gruselig: Vor der Küste Südkoreas, im Südwesten, war das Schiff Mitte
April erst in Schieflache geraten und dann gekentert. Andere Schiffe waren wegen des
schlechten Wetters gar nicht erst ausgelaufen. Der Kapitän Lee Joon-seok und seine
Besatzung hatten das Schiff verlassen, noch bevor alle Menschen gerettet waren. Den
Kindern an Bord war gesagt worden, in den Kabinen zu bleiben, aus denen sie dann nachdem
das Schiff kenterte nicht mehr entkommen konnten. Nach dem Unglück waren Marine und
andere Rettungskräfte schnell am Ort, aber ohne den Befehl etwas zu tun. Und so taten
sie zu wenig, um mehr Menschen zu retten. Nach dem Unglück kamen Bestechungen an den
Tag, Politiker und Beamte hatten sich bezahlen lassen, um die notwendigen und teuren
Sicherheitschecks zu umgehen.
Auch nicht direkt beteiligten Menschen ist der
Zorn über die gesamte Tragödie anzumerken. Niemanden lässt es kalt. „Das ist nicht
einfach ein Unfall, das ist ein gesellschaftlicher, ein System- Unfall.“ Pater Thomas
Lee Kyou-song ist Dekan der Graduate School of Theology an der katholischen Sogang
Universität in Seoul.
„Das war nicht einfach ein Unfall, er ist wegen der Korruption
im politischem System, um wirtschaftlichen System und innerhalb der Beamtenschaft
geschehen.“
Das Parlament versprach schnell einen Untersuchungsausschuss per
Spezialgesetz einzusetzen, 3,5 Millionen Unterschriften aus dem Volk forderten auch
genau dies. Aber bis heute ist nichts geschehen, die Parteien blockieren sich über
technische Details, vor allem die Regierungspartei stemme sich gegen das Gesetz und
den Ausschuss. Dagegen protestieren die Familien der Opfer in einem Hungerstreik,
auch auf dem Platz, auf dem der Papst am Samstag die Messe feiern wird. Erst am Montag
hatte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Peter Kang U-il - in dessen Bistumsgebiet
im Südwesten das Unglück auch geschehen ist - betont, dass die Kirche selbstverständlich
nicht die Räumung der Zelte und der Hungerstreikenden für die Papstmesse wolle, die
Menschen seien eingeladen, mit dem Papst die Messe zu feiern. Der Schock sei auch
deswegen so groß, weil man jetzt sehe, welchen Preis der wirtschaftliche Aufschwung
Koreas in den letzten Jahren und Jahrzehnten fordere, so Pater Lee.
„Wenn die
Gesetze kompliziert sind, wollen die Firmen nicht investieren. Deswegen sollen die
Gesetze einfach gemacht werden oder die Bestimmungen vereinfacht werden, damit die
Firmen besser und mehr investieren können. Das ist das Ziel.“
Deswegen brauche
es zwei Dinge, die sich gegenseitig bedingen, so Pater Lee: Trost für die Eltern und
Angehörigen und Gesetze, die aufklären und die Korruption bekämpfen. Die hungerstreikenden
Eltern wollten keine Entschädigung, sie wollten genau das: Das Sondergesetzt um dafür
zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschehe. Sie wollten ein Bewusstsein für die
Gefahren von Korruption und ihre Folgen schaffen. Aber die Politik sperre sich, so
Pater Lee Kyou-song. „Wir wollen wach werden, aber die Politiker wollen unsere Augen
irgendwohin ablenken. Das glaube ich.“
Weitere Hintergründe: Nach
dem Unglück versprach die Präsidentin Park Geun-hye eine harte Bestrafung, als ob
das eine politische und keine juristische Angelegenheit sei. Der Premierminister reichte
seinen Rücktritt ein, der auch angenommen wurde, aber weil es keinen Nachfolger gibt
amtiert er bis heute. In diesen Tagen findet ein Gedenkmarsch quer durch das Land
statt. Yu Gyeong-geun, ein Sprecher der Familien, betont in Zeitungen in diesen Tagen
immer wieder, wie sehr sie sich von der Politik verraten fühlen, keines der vollmundigen
Versprechen sei gehalten worden.
Die Besitzerfamilie der Firma des Schiffs
ist ebenfalls ins Zwielicht geraten, der Patron Yoo Byung-un - gleichzeitig Chef einer
sich als christlich bezeichnenden Sekte - wurde steckbrieflich gesucht, bis man seine
Leiche Monate nach seinem Tod fand. Erst vorgestern wurde auch sein Sohn verhaftet.