Naher Osten: Vom arabischen Frühling zur Krise der arabischen Welt
Es ist noch gar nicht
lange her, dass wir von dem „Arabischen Frühling“ gesprochen haben, Aufbrüche in
Ägypten und ganz Nordafrika haben hoffen lassen, dass eine demokratische Zukunft anbrechen
könnte. Davon ist heute wenig übrig geblieben, heute sprechen wir viel mehr von einer
Krise der arabischen Welt. Matthias Vogt ist Länderreferent bei Missio, Radio Vatikan
hat ihn gefragt, wie es dazu kommen konnte.
„Der arabische Frühling hat
ja tatsächlich sehr hoffnungsvoll mit echten Bürgerbewegungen in Ägypten und auch
in Tunesien angefangen, auch in Syrien war es am Anfang eine richtige Bürgerbewegung,
die gegen die Diktatur aufgetreten ist und die als Forderungen Freiheit und Gerechtigkeit
und Menschenwürde immer wieder aufgestellt hat. Das ist gekippt und es ist in unterschiedlicher
Weise gekippt.
In Ägypten hat das Volk im Laufe des Prozesses an entscheidenden
Stellen immer wieder die Stimme ergriffen und ist auf die Straße gegangen. Insofern
läuft es in Ägypten zwar mit ‚Aufs und Abs‘, aber doch kontinuierlich in eine Richtung
zu mehr Gerechtigkeit und Menschenwürde.
In Syrien ist es in die andere
Richtung gekippt, da ist es in die Gewaltspirale geraten, weil das Assad-Regime mit
großer Gewalt auf die friedlichen Proteste reagiert hat. In Syrien ist die Tragik,
dass aus diese Bürgerbewegung immer mehr gekapert wurde Islamisten, denen es eigentlich
nicht um Syrien geht, sondern um die Errichtung eines islamischen Staates und damit
stehen sie eigentlich gegen die Ideale und die Ziele der ursprünglichen Revolution,
in der es auch darum ging, ethnische und konfessionelle Diskriminierung in den jeweiligen
Ländern aufzuheben.
Ähnlich ist die Entwicklung im Irak mit der Errichtung
des islamischen Staates im Norden rund um Mossul und der Vertreibung der Christen,
Schiiten und anderer Minderheiten. Es gibt aus meiner Sicht eigentlich für
diese Länder keine staatliche Perspektive mehr, und auch keine demokratischen Handlungsträger
mehr, die eine gewisse Erfahrung hätten und eine Verankerung in der Bevölkerung. Das
ist die große Schwierigkeit gerade im Irak und in Syrien.“
Warum ist
das so, dass die Islamisten oder Terroristen so viel stärker sind als dieses demokratische
Anfangsmoment der Bürgerbewegungen, die Sie zitiert haben?
„Der Islam
und vor allem die Muslimbrüderschaft – in Ägypten und Syrien – sind die einzigen Gruppen,
die zur Zeit von Mubarak in Ägypten und zu Assad in Syrien sich irgendwie organisieren
konnten. Andere zivilgesellschaftliche Gruppen, die oppositionell ausgerichtet waren,
hatten gerade in Syrien überhaupt keine Chance, auch zur Zeit von Saddam Hussein im
Irak nicht. Das heißt, dass die Muslimbrüder und Islamisten einen Vorsprung hatten,
den sie vor allem in Syrien genutzt haben und in Gewalt umgesetzt haben. Die demokratischen
Gruppen sind bis heute nicht nachgekommen und die einmal entfachte Gewalt ist nur
schlecht wieder einzudämmen.
Das Ganze ist dann noch einmal übernommen
worden von extremistischen Gruppen, die auch von der überwiegenden Mehrheit der Muslime
abgelehnt werden.“
Würden Sie dann auch über die „Arabische
Krise nach dem Arabischen Frühling“ sprechen oder wie würden Sie das Phänomen bezeichnen?
„Ich
würde nicht in allen Ländern von „arabischer Krise“ sprechen. Ich würde von einer
„Krise der Institutionen“ in vielen arabischen Ländern sprechen. Da kann man dann
auch wieder differenzieren: In Ägypten gibt es eine Institution, die weiterhin funktioniert,
das ist das Militär. Sie hatte immer schon eine starke Rolle. Sie hat zwar den Herrscher
gestellt, war aber nicht so stark an Mubarak gebunden, wie die Armeen von Saddam Hussein
oder der Sicherheitsapparat von Baschar al Assad mit dem Herrscher verbunden sind,
so dass die Armee in Ägypten als Institution den Prozess weiter führen konnte und
zu einer Stabilisierung des Landes beitragen kann.
Ähnliche Institutionen
haben wir im Irak und in Syrien nicht. Der Sicherheitsapparat und damit der Staatsapparat
sind in weiten Teilen zusammen gebrochen und haben damit diese Krise eröffnet. Und
diejenigen, die am meisten unter dieser Instabilität und diesem Chaos zu leiden haben
sind eben die Minderheiten. Das betrifft Christen, das betrifft Alawiten in Syrien,
das betrifft Jesiden im Irak in ganz besonders schlimmer Weise.“
Ihre
Aussicht: Was glauben Sie wird in den kommenden Monaten dort passieren?
„Das
ist sehr schwer voraus zu sehen. Ich befürchte was Syrien angeht einen sehr lang weiter
gehenden Bürgerkrieg. Assad sind gewisse militärische Erfolge in den letzten Monaten
gelungen, aber es wird schwer sein, das ganze Land wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Also: Langer Bürgerkrieg in Syrien.
Irak ist noch schwerer vorherzusehen,
weil unklar ist, wie sich die Zentralregierung in Bagdad organisieren kann, ob sie
es schafft, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und auch die Sunniten
in den nationalen Dialog einzubeziehen. Denn nur auf Grund der Unterstützung der sunnitischen
Stämme im Norden ist es ISIS möglich gewesen, ihre Kontrolle über diese Gebiete so
schnell zu erringen und auch bislang zu festigen.
Die Herrschaft könnte
zusammen brechen, wenn die sunnitischen Stammesführer von ISIS abrücken. Ob der schiitischen
Zentralregierung das gelingen wird, die Sunniten einzubinden, ist schwer vorher zu
sagen. Das wäre aber eine Bedingung für die Befriedung des Nordiraks.“