„Werden in Algerien
Synagogen und Kirchen wiedereröffnet?“ Diese Meldung einer Nachrichtenagentur ließ
an diesem Dienstag aufhorchen. In Algerien ist der Islam Staatsreligion, und in den
neunziger Jahren mussten nicht-islamische Kultorte wegen eines blutigen Bürgerkriegs
dichtmachen – aus Sicherheitsgründen. Könnten sie bald wieder ihre Tore öffnen? Diese
Frage stellten wir dem Bischof von Constantine, dem französischen Jesuiten Paul Desfarges.
Er erklärte uns, dass es tatsächlich gar nicht um Kirchen geht. Vielmehr habe der
algerische Religionsminister, Mohamed Aïssa, unlängst folgendes gesagt:
„Wenn
der Augenblick reif sei, dann könnte man eventuell eine Synagoge wieder eröffnen,
aber der Moment sei noch nicht gekommen, die Sicherheit sei noch nicht genug gewährleistet.“
Aïssa
verstehe sich selbst als für alle Kulte im Land zuständig, nicht nur für den Islam.
Darum habe der Staat die Restaurierung von Kirchen in Algier und Annaba finanziell
unterstützt, und darum halte er – der Minister – Kontakt zur kleinen jüdischen Gemeinde
von Algier. Bischof Desfarges kommentiert:
„Meine Reaktion ist sehr
positiv, und viele algerische Freunde haben mich angerufen, weil sie sehr froh sind
über diesen neuen Ton. Das liegt zwar auf einer Linie mit dem früheren Minister, aber
es ist jünger und dynamischer geworden, das tut gut! Dem Minister geht es vor allem
darum, den algerischen Islam vor, wie er das nennt, sektiererischen Verirrungen zu
bewahren. Das zielt auf Fatwas, also islamische Rechtsgutachten, die aus dem Ausland
kommen und von theologischen oder gar ideologischen Strömungen geprägt sind, die den
Islam verzerren: Wahhabismus, Salafismus, speziell Theologien aus Saudi-Arabien. Der
Minister sagt: Wir haben einen spezifischen, algerischen Islam, wir sind keine Tunesier
oder Iraner, sondern eben Algerier! Und wir müssen unseren Islam leben und beschützen.
Dazu gehört etwa, dass Fasten etwas strikt Privates ist.“
„Radikale
sind in der Minderheit“
Damit will Aïssa Fundamentalisten den Wind
aus den Segeln nehmen, die jetzt im Ramadan in vielen islamischen Ländern starken
sozialen Druck ausüben, dass das Fastengebot wirklich eingehalten wird. Der Minister
hingegen betont die Gewissensfreiheit des Einzelnen, beim Fasten wie in anderen Fragen.
„Das
sind einige Punkte, die die Zuhörer wirklich beeindruckt haben durch den klaren, offenen
Ton. Ich bin froh darüber! Auch viele Muslime sind ausgesprochen zufrieden, vor allem
über die Betonung der Freiheiten, denn viele Muslime leiden unter dieser Invasion
- das ist vielleicht zu stark formuliert - unter diesen radikaleren Strömungen, die
sektiererische Fatwas verbreiten und die junge Leute in Gruppierungen locken, die
hier keine Daseinsberechtigung haben.“
Dass der Minister sich so freundlich
über Juden und Christen äußert und sie als „in Algerien willkommen“ bezeichnet, hat
allerdings am letzten Freitag Demonstranten in der Hauptstadt Algier auf den Plan
gerufen. Bischof Desfarges rät dazu, solchen Szenen keine übertriebene Bedeutung beizumessen:
„Ich
glaube, dass die radikale Strömung in Algerien in der Minderheit ist. Die machen allerdings
Lärm und veranstalten Demonstrationen; die Vorstellung, dass eines Tages eine Synagoge
in Algerien wiedereröffnet werden könnte, hat einige Leute aufgeregt. Es war sehr
mutig vom Minister, die Dinge trotzdem so auszusprechen, wie sie sind - und zwar als
Minister aller Kulte, der er ja sein will.“
Desfarges ist seit Ende 2008
Bischof von Constantine. Der gebürtige Franzose arbeitet seit 1976 in Algerien, unter
anderem war er Psychologie-Dozent an der Universität von Constantine und Provinzial
der algerischen Jesuiten in Algier. Das Bistum Constantine liegt im nordöstlichen
Teil Algeriens; auf seinem Territorium liegt das antike Hippo, heute Annaba, die Bischofsstadt
des heiligen Kirchenlehrers Augustinus.