Ägypten: „Die meisten Christen haben Sisi gewählt“
Erwartungsgemäss hat
Abdul Fattah al Sisi, der frühere Armeechef, die Präsidentenwahlen in Ägypten gewonnen,
und zwar mit 92 Prozent der Stimmen. Doch die westlichen Medien betonen besonders
die niedrige Wahlbeteiligung: vierzig Prozent nach Regierungsangaben, höchstens 25
Prozent nach Schätzungen westlicher Diplomaten. Pater Rafic Greiche ist der Sprecher
der griechisch-melkitischen katholischen Kirche von Kairo. Er sagte im Gespräch mit
Radio Vatikan:
„Das ist ein guter, ein großer Sieg, eines der deutlichsten
Wahlergebnisse, die es in Ägypten jemals gegeben hat! Wir hoffen, dass Sisi die Sicherheit
im Land wiederherstellen und die Wirtschaft wieder in Fahrt bringen wird. Wir wissen,
dass er ein tief religiöser Mensch ist und als nicht korrupt gilt; er hat im Sommer
letzten Jahres, als Massendemonstrationen gegen die Muslimbrüder stattfanden, besonnen
gehandelt, und er hatte auch keine andere Wahl, denn Ägypten stand damals am Rand
eines Bürgerkriegs zwischen der Muslimbruderschaft und allen anderen Ägyptern. Er
konnte nicht anders, als einzugreifen und Mursi zum Rücktritt zu bewegen.“
Sisi
hatte sich im Juli 2013 gegen seinen Mentor gestellt, den ersten demokratisch gewählten
Präsidenten Mohamed Mursi. Der Grund lag in der landesweiten Unruhe über die Muslimbruderschaft,
aus der Mursi kam. Bei der Fernsehansprache Sisis nach dem Putsch sass das Oberhaupt
der koptisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Tawadros II., gut sichtbar hinter dem Putschisten.
Bis heute hielten die Christen in der Regel zu Sisi, sagt Pater Greiche:
„Ich
kann sagen, dass die meisten Christen für ihn gestimmt haben, weil er versprochen
hat, die Sicherheit wiederherzustellen. Das ist aus christlicher Sicht ein besonders
wichtiger Punkt, denn wie Sie wissen, hat die Muslimbruderschaft im letzten August
63 christliche Kirchen niedergebrannt; fünfzehn davon waren katholische Kirchen. Außerdem
hat Sisi signalisiert, dass es künftig keine Probleme mehr mit der Baugenehmigung
für Kirchen geben wird; das war ein ewiges Problem. Mit Sisi verbindet sich auch die
Hoffnung, dass die Diskriminierung von Christen bei der Besetzung von Posten in der
Verwaltung, der Regierung und an den Universitäten einmal aufhören wird.“
„Das
Ancien Régime war nie weg“
Mit der niedrigen Wahlbeteiligung darf man
Pater Greiche nicht kommen: Es habe so viele Abstimmungsbüros gegeben wie noch nie,
darum hätten sich keine langen Schlangen gebildet wie sonst, sagt er. Auch der französische
Ägypten-Experte Jean-Noel Ferrié vom Nationalen Forschungszentrum CNRS in Paris urteilt:
„Es
ist trotz allem ein großer Sieg; natürlich kann man feststellen, dass die Wahlbeteiligung
nicht herausragend war, aber es ging ja bei dieser Wahl auch nicht um alles oder nichts.
Alle wußten, dass Marschall Sisi gewählt werden würde, so etwas ist natürlich nichts,
was die Menschen besonders mobilisiert, an die Urnen zu gehen. Bei den letzten Präsidentenwahlen
hingegen, die Mursi an die Macht brachten, war wirklich alles offen gewesen, darum
damals diese große Wahlbeteiligung. Man sollte jetzt also den relativ schwachen Prozentsatz
bei der Wahlbeteiligung auch nicht überbewerten.“
Ist die Machtübernahme
Sisis die Wiederkehr des Gestrigen, ein Zurückspulen in die Zeit des Mubarak-Regimes?
Ferrié zögert kein bisschen mit seiner Antwort:
„Aber ja! Es ist ein bisschen
naiv, zu glauben, man hätte das System Mubarak so mit einem Mal völlig über den Haufen
geworfen. Schon bei der vorigen Präsidentenwahl, die Mursi gewann, erhielt doch ein
Vertreter des Ancien Régime nur kurze Zeit nach der sogenannten Revolution nicht weniger
als 48 Prozent der Stimmen! Dass Sisi also jetzt deutlich über achtzig Prozent der
Stimmen für sich gewinnt, hat überhaupt nichts Überraschendes. Man muss verstehen,
dass die Militärs alles getan haben, um strukturell-soziologische Umwälzungen in der
ägyptischen Gesellschaft zu verhindern, und das ist ihnen auch gelungen.“