2014-05-30 11:08:09

Ägypten: „Die meisten Christen haben Sisi gewählt“


RealAudioMP3 Erwartungsgemäss hat Abdul Fattah al Sisi, der frühere Armeechef, die Präsidentenwahlen in Ägypten gewonnen, und zwar mit 92 Prozent der Stimmen. Doch die westlichen Medien betonen besonders die niedrige Wahlbeteiligung: vierzig Prozent nach Regierungsangaben, höchstens 25 Prozent nach Schätzungen westlicher Diplomaten. Pater Rafic Greiche ist der Sprecher der griechisch-melkitischen katholischen Kirche von Kairo. Er sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Das ist ein guter, ein großer Sieg, eines der deutlichsten Wahlergebnisse, die es in Ägypten jemals gegeben hat! Wir hoffen, dass Sisi die Sicherheit im Land wiederherstellen und die Wirtschaft wieder in Fahrt bringen wird. Wir wissen, dass er ein tief religiöser Mensch ist und als nicht korrupt gilt; er hat im Sommer letzten Jahres, als Massendemonstrationen gegen die Muslimbrüder stattfanden, besonnen gehandelt, und er hatte auch keine andere Wahl, denn Ägypten stand damals am Rand eines Bürgerkriegs zwischen der Muslimbruderschaft und allen anderen Ägyptern. Er konnte nicht anders, als einzugreifen und Mursi zum Rücktritt zu bewegen.“

Sisi hatte sich im Juli 2013 gegen seinen Mentor gestellt, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Mursi. Der Grund lag in der landesweiten Unruhe über die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kam. Bei der Fernsehansprache Sisis nach dem Putsch sass das Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Tawadros II., gut sichtbar hinter dem Putschisten. Bis heute hielten die Christen in der Regel zu Sisi, sagt Pater Greiche:

„Ich kann sagen, dass die meisten Christen für ihn gestimmt haben, weil er versprochen hat, die Sicherheit wiederherzustellen. Das ist aus christlicher Sicht ein besonders wichtiger Punkt, denn wie Sie wissen, hat die Muslimbruderschaft im letzten August 63 christliche Kirchen niedergebrannt; fünfzehn davon waren katholische Kirchen. Außerdem hat Sisi signalisiert, dass es künftig keine Probleme mehr mit der Baugenehmigung für Kirchen geben wird; das war ein ewiges Problem. Mit Sisi verbindet sich auch die Hoffnung, dass die Diskriminierung von Christen bei der Besetzung von Posten in der Verwaltung, der Regierung und an den Universitäten einmal aufhören wird.“

„Das Ancien Régime war nie weg“

Mit der niedrigen Wahlbeteiligung darf man Pater Greiche nicht kommen: Es habe so viele Abstimmungsbüros gegeben wie noch nie, darum hätten sich keine langen Schlangen gebildet wie sonst, sagt er. Auch der französische Ägypten-Experte Jean-Noel Ferrié vom Nationalen Forschungszentrum CNRS in Paris urteilt:

„Es ist trotz allem ein großer Sieg; natürlich kann man feststellen, dass die Wahlbeteiligung nicht herausragend war, aber es ging ja bei dieser Wahl auch nicht um alles oder nichts. Alle wußten, dass Marschall Sisi gewählt werden würde, so etwas ist natürlich nichts, was die Menschen besonders mobilisiert, an die Urnen zu gehen. Bei den letzten Präsidentenwahlen hingegen, die Mursi an die Macht brachten, war wirklich alles offen gewesen, darum damals diese große Wahlbeteiligung. Man sollte jetzt also den relativ schwachen Prozentsatz bei der Wahlbeteiligung auch nicht überbewerten.“

Ist die Machtübernahme Sisis die Wiederkehr des Gestrigen, ein Zurückspulen in die Zeit des Mubarak-Regimes? Ferrié zögert kein bisschen mit seiner Antwort:

„Aber ja! Es ist ein bisschen naiv, zu glauben, man hätte das System Mubarak so mit einem Mal völlig über den Haufen geworfen. Schon bei der vorigen Präsidentenwahl, die Mursi gewann, erhielt doch ein Vertreter des Ancien Régime nur kurze Zeit nach der sogenannten Revolution nicht weniger als 48 Prozent der Stimmen! Dass Sisi also jetzt deutlich über achtzig Prozent der Stimmen für sich gewinnt, hat überhaupt nichts Überraschendes. Man muss verstehen, dass die Militärs alles getan haben, um strukturell-soziologische Umwälzungen in der ägyptischen Gesellschaft zu verhindern, und das ist ihnen auch gelungen.“

(rv 30.05.2014 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.