Die zum Tod verurteilte
Christin im Sudan, Meriam Yahia Ibrahim, hat am Montag ihr Kind zur Welt gebracht:
Es ist eine Tochter. Damit steigt ihre Lebensgefahr, fürchtet die von Deutschland
aus operierende „Gesellschaft für bedrohte Völker“: Jetzt könne die Todesstrafe an
der 27-jährigen Ärztin nach Scharia-Recht jederzeit vollstreckt werden. Meriam war
am 11. Mai zu hundert Peitschenhieben und anschließender Hinrichtung durch den Strang
verurteilt worden. Die Vollstreckung der Strafe sollte nach der Geburt ihres zweiten
Kindes erfolgen, mit dem sie schwanger war. Das Gericht hatte ihr vorgeworfen, sich
vom muslimischen Glauben abgewendet und Ehebruch begangen zu haben. In Wirklichkeit
ist Meriam als Christin aufgewachsen.
„Das ist ein symptomatischer Fall“,
sagt der Vatikan-Beobachter bei der UNO in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, im Gespräch
mit Radio Vatikan:
„Wir müssen ihn im größeren Zusammenhang mit anderen
Fällen wie etwa der gleichfalls nach Scharia-Recht zum Tod verurteilten Asia Bibi
in Pakistan sehen. Das Grundproblem ist: Wie können wir die grundlegenden Menschenrechte
dieser Menschen wahren angesichts bestimmter Traditionen oder politischer Gemengelagen,
die den Respekt dieser Rechte zu einer schwierigen Angelegenheit machen?“
Zu
diesen grundlegenden Rechten – und das ist der Knackpunkt – zählt der Vatikan-Diplomat
das Prinzip der Religionsfreiheit: Dazu gehöre nicht nur, ungestört eine Religion
zu praktizieren, sondern auch, von einer Religion zur anderen zu wechseln.
„Das
ist auch von der Verfassung des Sudan aus dem Jahr 2005 anerkannt worden. Das ist
zwar nur eine vorläufige Verfassung, aber immerhin die derzeit gültige. Das zeigt
uns, dass das Justizsystem im Fall von Meriam Ibrahim etwas unter Druck lokaler Gegebenheiten
steht und nicht so sehr auf der Linie, die der Sudan eigentlich anerkannt hat: nämlich
das Recht auf Kult-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu achten.“
Dazu
müsse man noch „hinzunehmen“, wie in der sudanesischen Gesellschaft „Frauen behandelt
werden“, fügt der Vatikan-Erzbischof hinzu.
„Zum Beispiel darf eine Frau,
wenn sie Muslimin ist, eine Ehe mit einem Muslim eingehen, aber nicht mit einem Mann,
der zu einer anderen Religion gehört; während der Muslim auch eine Frau einer anderen
Religion heiraten darf, ohne dass er von der Scharia deswegen bestraft wird. Über
diese Lage müssen wir etwas mehr nachdenken; wir müssen sehen, wie wir in einem solchen
Kontext die grundlegenden Rechte voranbringen können, darunter auch die Anerkennung
der Gleichheit zwischen Frau und Mann im Heirats- und Erbrecht sowie in der Teilnahme
am öffentlichen Leben. Man muss von den jetzigen Gegebenheiten ausgehen und versuchen,
ein Klima des Dialogs und der Bildung herzustellen – vor allem um klarzumachen, dass
der Weg in die Zukunft über den Respekt vor der Würde jedes einzelnen Menschen führt.“
Menschenrechtsverbände
wie die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ fordern dringend eine Verstärkung des weltweiten
Drucks auf die sudanesische Regierung, um die Freilassung der Konvertitin zu erreichen.
Die deutsche Regierung solle dem Außenminister des Sudan „mit allem Nachdruck deutlich
machen, dass er in Deutschland nicht willkommen ist, solange der Konvertitin nach
einem absurden Strafverfahren der Tod durch Erhängen droht“. Sudans Außenminister
Ali Ahmed Karti will am 4. Juni in Berlin an einer Veranstaltung des Afrika-Vereins
mitwirken. Auch das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte mit Empörung auf
die Verurteilung reagiert. Bereits 400.000 Menschen in aller Welt haben eine Petition
zur Freilassung der Frau auf der Internetseite unterzeichnet. Noch einmal Erzbischof
Tomasi:
„Es ist sicher sehr hilfreich, auf internationaler Ebene eine öffentliche
Meinung herzustellen, die der Regierung und dem Justizsystem des Sudan das Völkerrecht
vor Augen führt. Denn die große Aufmerksamkeit für solche Fälle kann zu einem Dialog
und zum Nachdenken über den Vorrang des Völkerrechts vor lokalem Recht führen, vor
allem bei Grundrechten, die wirklich von allen respektiert werden sollten. Das ist
die Strasse in die Zukunft des menschlichen Zusammenlebens. Wir sind jetzt in einer
globalen Welt, wo die Unterschiede sich multiplizieren; wir leben in einem Pluralismus
der Religionen, Kulturen und Lebensstile. Wenn wir eine Weise des friedlichen Zusammenlebens
finden wollen, müssen wir vom Respekt vor dem Menschen und seiner Würde ausgehen.“
Am
18. April hatte es im Fall Meriam Yahia Ibrahim eine gerichtliche Anhörung gegeben;
dabei hatten drei Zeugen ausgesagt, sie sei in einer christlichen Familie aufgewachsen,
doch dies genügte den Richtern nicht. Die junge Frau ist Tochter einer orthodoxen
Christin aus Äthiopien und eines muslimischen Sudanesen. Ihr Vater verschwand, als
sie sechs Jahre alt war. So wurde sie als Christin erzogen und heiratete im Jahr 2012
den christlichen Südsudanesen Daniel Wani, der seit einigen Jahren US-Staatsbürger
ist. Doch nach islamischem Recht gehört sie als Tochter eines Muslims dem Islam an
und gilt als nicht verheiratet, da eine Ehe zwischen einer Muslimin und einem nicht-muslimischen
Ehemann offiziell nicht anerkannt wird. Da sie bereits ein Kind zur Welt gebracht
hat, wurde sie nun auch noch wegen vermeintlichen „Ehebruchs“ verurteilt.