Etwa zehntausend Menschen
haben an diesem Sonntag mit dem Papst in Betlehem die Messe gefeiert. Es war der wichtigste
Termin von Franziskus mit den Christen in Palästina und Israel; in Jerusalem wird
er, anders als Benedikt XVI. 2009, keine Freiluft -Messe zelebrieren. In seiner Predigt
forderte der Papst dazu auf, die Rechte von Kindern zu achten: So wie der neugeborene
Jesus vor 2.000 Jahren in Betlehem ein „Zeichen“ für die Hirten gewesen sei, so sei
das Kind auch heute ein Zeichen Gottes für uns. Am Schluss der Messe mischte sich
der Ruf eines Muezzins von einer nahegelegenen Moschee in die Gesänge.
Brütende
Hitze auf dem „Manger Square“, dem Krippenplatz von Betlehem: Viele Menschen ziehen
sich Schals oder Tücher über den Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen. Die Menschen
kommen in ihrer großen Mehrheit aus Betlehem, Ramallah und Umgebung, aber auch einige
Dutzend meist ältere Christen aus dem Gaza-Streifen und Christen aus Galiläa in Nordisrael
sind hier, außerdem einige hundert Gastarbeiter aus Asien, für sie gibt es eigens
eine Fürbitte in der philippinischen Sprache Tagalog. Die Christen sind bei weitem
nicht nur Katholiken, viele Orthodoxe sind gekommen, alle Riten querbeet sind vertreten.
In der ersten Reihe der Messbesucher sitzt der (muslimische) Palästinenser-Präsident
Abbas; Beifall brandet auf, als er beim Friedensgruß zum Papst geht und ihn umarmt.
Die (katholische) Bürgermeisterin Vera Baboun, erste Frau an der Spitze Betlehems,
hat in der Sakristei kurz Gelegenheit, Franziskus zu begrüßen.
Auf dem
Papst-Podium auch ein Rabbiner
Das Podium des Papstes wird von einem
14x6 Meter großen Gemälde dominiert, das Maria, Josef und das Jesuskind zeigt, alle
drei in palästinensischer Tracht; links daneben die drei Päpste, die vor Franziskus
das Heilige Land besucht haben, und rechts drei Heilige, die hier besonders verehrt
werden, nämlich Franz von Assisi und die zwei Ordensfrauen Carmelina de Beken und
Alfonsina, Gründerin der einzigen palästinensischen Ordensgemeinschaft. Über dem Podium:
eine Darstellung des Sterns von Betlehem und die Fahnen Palästinas und des Vatikans.
Papst Franziskus wirkt ernst, konzentriert. Er hält den Kreuzstab aus Olivenholz,
den ihm kurz vor Ostern Insassen eines Gefängnisses im italienischen Sanremo fabriziert
haben. Mit ihm zelebrieren Bischöfe verschiedener katholischer Riten, darunter der
Lateinische Patriarch Fouad Twal; auch der argentinische Rabbiner Abraham Skorka,
Freund des Papstes, ist auf dem Podium zu sehen, er trägt das jüdische Käppchen.
„Ich
sehe einen völligen Einklang zwischen Deiner Person, Deiner Art der Amtsführung und
des Sprechens und der Botschaft von Betlehem“, sagt Patriarch Twal in einer kleinen
Ansprache. „Betlehem, das heißt Einfachheit, Transparenz, Gemeinschaft... Möge
Dein Besuch in den Herzen der Menschen die Botschaft von Weihnachten, den Frieden
und die Wärme der Grotte von Betlehem wiederbeleben!“
Twal beklagt, „dass
der Friede keinen Weg bis zu uns hin findet, dass es ihm nicht gelingt, die Mauern
der Angst und des Misstrauens zu überspringen, die diese Stadt umgeben.
„Unsere
jungen Leute erleben Emigration, Hunger, oft auch die Zerstörung ihrer Wohnung. Mit
Dir zusammen, Heiliger Vater, bitten wir heute das Jesuskind, dass es Platz mache
in seiner Grotte, um die vielen Kinder mit aufzunehmen, die Opfer der Gewalt und Ungerechtigkeit
sind. Wie kann man nicht an die vielen Gefangenen denken und für sie beten, die die
Gefängnisse füllen...“ Er meint damit palästinensische Gefangene in israelischen
Haftanstalten.
„Sind wir etwa Phrasendrescher oder Frömmler?“
„Welch
große Gnade, die Eucharistie an dem Ort zu feiern, wo Jesus geboren ist“, sagt der
Papst in seiner Predigt auf Italienisch; am Schluß wird eine arabische Übersetzung
verlesen. „Das in Bethlehem geborene Jesuskind ist das Zeichen, das Gott denen
gegeben hat, die das Heil erwarteten, und es bleibt für immer das Zeichen der Zärtlichkeit
Gottes und seiner Gegenwart in der Welt.“
Auch heutzutage seien die Kinder
ein „Zeichen“: Wie sie behandelt würden, das sage viel über die Familie und über die
Gesellschaft im allgemeinen. Kinder müssten „vom Mutterschoß an angenommen und geschützt
werden“:
„Leider gibt es in dieser Welt, welche die raffiniertesten Technologien
entwickelt hat, noch viele Kinder, die unter unmenschlichen Bedingungen an den Peripherien
der großen Städte oder in ländlichen Gebieten am Rande der Gesellschaft leben. Viele
Kinder werden noch heute ausgebeutet, misshandelt, versklavt, sind Opfer von Gewalt
und gesetzeswidrigem Handel. Zu viele Kinder sind heute aus der Heimat vertrieben
und auf der Flucht, manchmal in den Meeren untergegangen, besonders in den Fluten
des Mittelmeers. Für all das schämen wir uns heute vor Gott – vor Gott, der ein Kind
geworden ist.“
Im Duktus und Inhalt der Papstpredigt erinnerte einiges
an seine Predigt auf Lampedusa, bei seiner ersten größeren Reise als Papst im Juli
2013; auf der Insel vor Sizilien hatte Franziskus auf das Drama der Bootsflüchtlinge
aufmerksam gemacht. Damals wie heute: bohrende Fragen.
„Wir fragen uns:
Wer sind wir vor dem Kind Jesus? Wer sind wir vor den Kindern von heute? Sind wir
wie Maria und Josef, die Jesus aufnehmen und sich mit mütterlicher und väterlicher
Liebe um ihn kümmern? Oder sind wir wie Herodes, der ihn beseitigen will? Sind wir
wie die Hirten, die eilends gehen, die niederknien, um ihn anzubeten, und ihre bescheidenen
Gaben darbringen? Oder sind wir gleichgültig? Sind wir etwa Phrasendrescher oder Frömmler,
Menschen, welche die Bilder der armen Kinder zu Gewinnzwecken ausnutzen? Sind wir
fähig, bei ihnen zu sein, ‚Zeit zu verlieren’ mit ihnen? Verstehen wir es, ihnen zuzuhören,
sie zu behüten, für sie und mit ihnen zu beten? Oder vernachlässigen wir sie, um uns
mit unseren Geschäften zu befassen?“
Papst erinnert an „kleine Sklavenarbeiter“
und Kindersoldaten
Der Papst erinnerte an die Worte, die der Engel
im Lukasevangelium zu den Hirten auf den Feldern vor Betlehem sagte: „Dies soll euch
als Zeichen dienen. Ihr werdet ein Kind finden…“
„Vielleicht weint jenes
Kind; weint, weil es Hunger hat, weil es friert, weil es in den Armen liegen möchte…
Auch heute weinen die Kinder, sie weinen viel, und ihr Weinen fragt uns an. In einer
Welt, die täglich tonnenweise Nahrungsmittel und Medikamente wegwirft, gibt es Kinder,
die vor Hunger oder aufgrund von Krankheiten, die leicht zu heilen wären, vergeblich
weinen. In einer Zeit, die den Schutz der Minderjährigen proklamiert, werden Waffen
gehandelt, die in den Händen von Kinder-Soldaten landen; werden Produkte gehandelt,
die von kleinen Sklavenarbeitern verpackt sind. Ihr Weinen ist unterdrückt: Das Weinen
dieser Kinder ist unterdrückt. Sie müssen kämpfen, müssen arbeiten, sie dürfen nicht
weinen! Doch um sie weinen die Mütter, Rahel von heute: Sie beweinen ihre Kinder und
wollen sich nicht trösten lassen (vgl. Mt 2,18).“
Der Gast aus Rom forderte,
nur einen Steinwurf vom Geburtsort des Jesuskinds entfernt, eine neue Wertschätzung
für Kinder: einen „neuen Lebensstil, wo die Beziehungen nicht mehr durch Konflikt,
Unterdrückung und Konsumismus bestimmt sind, sondern Beziehungen der Brüderlichkeit,
der Vergebung und der Versöhnung, des Teilens und der Liebe sind“. Und er vertraute
Maria das Heilige Land an, seine Bewohner und die Pilger. Er hoffe, später auch einmal
Nazareth zu besuchen, äußerte er. Die vielen Christen in Nordisrael, die seine Reise
diesmal nur über den Fernseher erleben, werden sich darüber gefreut haben.