Getrennt hinein, gemeinsam
hinaus: Die ökumenische Feier von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios strotzt
nur so vor Symbolik. Jeder betritt den Platz vor der Grabes- und Auferstehungskirche
durch einen anderen Zugang; dann treffen sie sich in der Mitte des Platzes, umarmen
sich, die Glocken läuten. Petrus umarmt seinen Bruder Andreas.
Zum ersten Mal
wird der Status Quo, der das komplizierte Miteinander der Christen am Ort von Tod
und Auferstehung ihres Herrn regelt, durchbrochen: Zum ersten Mal beten die Christen
hier nicht nur neben- oder gar gegeneinander, sondern zusammen. Dass das auch organisatorisch
schon eine Herausforderung ist, darauf deutet vielleicht die etwa einstündige Verspätung,
mit der die Feier beginnt, bei Anbruch der Dunkelheit. Außer katholischen Bischöfen
sind auch der koptische, der syrisch-orthodoxe und der äthiopische Erzbischof anwesend,
dazu der anglikanische sowie der lutherische Bischof von Jerusalem. Im Innern des
Komplexes beobachten die Generalkonsuln der fünf Mächte das Geschehen, die den Status
Quo garantieren: Frankreich, Belgien, Spanien, Italien, Griechenland. Sowie einige
weitere Konsuln des sogenannten „Corpus separatum“ von Jerusalem: aus Schweden, den
USA, der Türkei und Großbritannien. Wie gesagt, die Lage hier ist kompliziert.
Die
drei Verantwortlichen der Kirche begrüßen den Papst und den Patriarchen; es sind ein
orthodoxer Grieche, ein Armenier und ein Franziskaner. Gemeinsam verehren die zwei
Kirchenführer aus Rom und Istanbul dann den Salbungsstein am Eingang der Grabeskirche,
wo nach der Tradition der Leichnam Jesu nach der Abnahme vom Kreuz für die Grablegung
vorbereitet wurde, er stellt auch die 13. Kreuzwegstation dar. Beide nehmen dazu ihre
Kopfbedeckung ab. Ein griechischer Chor singt, als Franziskus und Bartholomaios schließlich
den sogenannten Chor der Franziskaner erreichen, der dem Heiligen Grab gleich gegenüberliegt.
Das Evangelium von der Auferstehung wird vorgetragen, auf Griechisch und Lateinisch:
„Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er es gesagt hatte“, heißt es im 28.
Kapitel bei Matthäus.
„Umarmung der Liebe“
Das Grab Christi
lädt uns ein, alle Ängste fahren zu lassen und mit Gottes Überraschungen zu rechnen
– das sagt Patriarch Bartholomaios in seiner Predigt. Auch Papst Paul VI. und der
Ökumenische Patriarch Athenagoras I. hätten vor fünfzig Jahren bei ihrer historischen
Begegnung in Jerusalem alle Angst beiseitegeschoben, „die ein Jahrtausend lang beide
alte Kirchen, die des Westens und die des Ostens, auf Distanz zueinander gehalten
hatte“. Sie, die Nachfolger dieser beiden „großen Kirchenführer“, seien heute hier,
um die historische „Umarmung der Liebe“ von damals zu wiederholen und beide Kirchen
„auf dem Weg der Liebe, der Versöhnung, des echten Friedens und der Treue zur Wahrheit“
voranzubringen.
„Das ist der Weg, den alle Christen gehen sollten, ganz gleich
zu welcher Kirche oder Konfession sie gehören! Dadurch geben sie der ganzen Welt ein
Beispiel. Die Straße kann lang und schwierig sein, ja sogar manchmal wie eine Sackgasse
erscheinen. Aber sie ist der einzige Weg, um den Willen des Herrn zu erfüllen, dass
alle eins seien.“
Papst Franziskus, der an diesem Sonntag schon ein Non-stop-Programm
hinter sich hat, antwortet dem Patriarchen mit einer langen Predigt, die fast genauso
anfängt wie am Morgen die Predigt bei der Messe in Betlehem: was für eine „außerordentliche
Gnade“ es doch sei, heute hier zu sein. Er zitiert das Apostolische Glaubensbekenntnis
mit seinen Sätzen zur Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, nennt alle Christen „geistig
auferstanden aus diesem Grab“ und meint dann:
„Nehmen wir die besondere Gnade
dieses Augenblicks an. Verweilen wir in ehrfürchtiger Sammlung am leeren Grab, um
die Größe unserer christlichen Berufung wiederzuentdecken: Wir sind Männer und Frauen
der Auferstehung, nicht des Todes. Lernen wir von diesem Ort, unser Leben, die Sorgen
unserer Kirchen und der ganzen Welt im Licht des Ostermorgens zu leben... Lassen wir
uns die Grundlage unserer Hoffnung nicht nehmen! Enthalten wir der Welt die frohe
Botschaft der Auferstehung nicht vor! Und seien wir nicht taub gegenüber dem mächtigen
Aufruf zur Einheit, der gerade von diesem Ort aus ertönt...“
Einladung
zum Dialog über Petrusamt
Natürlich, die Spaltungen unter den Christen
seien nicht zu leugnen, aber auch nicht die „Schritte auf die Einheit hin“, die in
den letzten fünfzig Jahren gelungen seien. Sicher, der Weg zur vollen eucharistischen
Tischgemeinschaft sei noch lang, „doch die Unstimmigkeiten dürfen uns nicht erschrecken
und unser Vorangehen nicht lähmen“, so der Papst.
„Wir müssen glauben, dass
ebenso, wie der Stein vom Grab weggewälzt worden ist, auch alle Hindernisse ausgeräumt
werden können, die der vollen Gemeinschaft zwischen uns noch im Weg stehen. Es wird
eine Auferstehungsgnade sein, die wir schon heute vorauskosten können. Jedes Mal,
wenn wir einander um Vergebung bitten für die gegen andere Christen begangenen Sünden,
und jedes Mal, wenn wir den Mut haben, diese Vergebung zu gewähren und zu empfangen,
machen wir eine Erfahrung der Auferstehung! Jedes Mal, wenn wir nach der Überwindung
alter Vorurteile den Mut haben, neue brüderliche Beziehungen zu fördern, bekennen
wir, dass Christus wahrhaft auferstanden ist.“
Und Franziskus lädt, wie schon
sein Vorgänger St. Johannes Paul II. in den neunziger Jahren, die christlichen Brüder
zu einem „Dialog“ ein, wie der „Dienst des Bischofs von Rom“ so ausgeübt werden könnte,
dass er nicht länger einen ökumenischen Stolperstein darstellt.
Gemeinsam
beten Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios einen Moment im Heiligen Grab und
auf dem Golgotha-Felsen, da wo einst das Kreuz Jesu stand. Sie segnen die Teilnehmer
an dieser historischen Stunde, dann fahren sie – im selben Auto – zum Lateinischen
Patriarchat. Dort endet dieser denkwürdige Abend mit einem gemeinsamen Abendessen.