Straßburg ist Europastadt:
Wo sich einst Deutsche und Franzosen um das Elsass stritten, wurde die europäische
Idee nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt; in Straßburg steht heute einer der beiden
Sitze des Europäischen Parlaments (der andere Sitz ist Brüssel). Jean-Pierre Grallet
ist der Erzbischof von Straßburg und vertritt auch die französischen Bischöfe im Rat
der EU-Bischofskonferenzen.
„Wir sollten dankbar sein für Europa, weil
es uns nach der deutsch-französischen Versöhnung siebzig Jahre Frieden eingebracht
hat! Ich merke schon, dass es ein Kommunikationsdefizit gibt: Europa wird schlecht
erklärt, und das bedaure ich sehr. Es wäre auch die Aufgabe der nationalen Regierungen
und nicht nur der Europa-Abgeordneten, dafür zu sorgen, dass die Menschen Europa besser
verstehen. Wir brauchen eine Europa-Erziehung, damit die Leute merken, dass Europa
nicht nur aus bürokratischen Massnahmen besteht. Die Distanz zwischen den Entscheidern
und den Europäern muss verringert werden.“
Das sagt der Erzbischof mit
Blick auf die Europawahl Ende Mai: eine Wahl, in der vermutlich mehr Populisten als
bisher den Einzug ins Straßburger Parlament schaffen. Populisten auch aus Frankreich:
Der rechtsextreme „Front National“ hat sich dort bei den Kommunalwahlen Ende März
zur entscheidenden politischen Kraft gemausert, in Straßburg selbst hing es beim zweiten
Wahlgang vom „Front National“-Kandidaten ab, wer Bürgermeister wurde. Der Erzbischof:
„Wir sollten uns auf die großen gemeinsamen Werte konzentrieren, über die
sich wirklich alle einig sein können. Erinnern wir uns an das christliche Ideal der
großen Gründerväter der EU: Solidarität, Vergebung, Abkommen über gegenseitigen Beistand.
Das sind christliche Werte, die bleiben sollten. Europa kann man nur mit einer Logik
der Solidarität bauen, auf allen Niveaus: Nationen, Regionen, soziale Gruppen. Konkret
heißt das, unser Konsumverhalten kritisch zu überprüfen. Es kann nicht sein, dass
die einen alle Ressourcen konsumieren und die Mehrheit vom Konsum ausgeschlossen bleibt.
Mäßigung ist eine Tugend, von der in den letzten Jahren zu wenig gesprochen worden
ist!“
Der Hausherr des berühmten gotischen Münsters – man kann es ihm nicht
verdenken – stellt sich die ideale EU ein bisschen wie die Kirche vor.
„Natürlich
kann die Einheit der katholischen Kirche auf der einen Seite und ihr universeller
Charakter auf der anderen Seite ein interessantes Modell des Funktionierens darstellen.
Das Prinzip der Subsidiarität zum Beispiel kommt ursprünglich aus unserem Kirchenrecht!
Ein Bischof hat Macht im Bistum, darf aber nicht an die Rechte eines Pfarrers in seiner
Pfarrei rühren. Und auf diesem Prinzip baut auch die EU auf: Die Einheit darf nie
auf Kosten der legitimen Verantwortung der Mitgliedsstaaten hergestellt werden. Auf
diesem Weg müssen wir vorankommen; es gibt einen Zentralismus, der die Demokratie
tötet.“