2014-05-07 09:05:37

Syrien: „Drei Jahre Passionszeit“


RealAudioMP3 Von klaren Fronten kann in Syrien schon lange keine Rede mehr sein. Im an den Irak angrenzenden Ostteil des Landes liefern sich derzeit verfeindete islamistische Rebellengruppen heftige Gefechte. Natürlich wieder zum Leidwesen der Zivilbevölkerung: tausende Menschen sind in Folge der Auseinandersetzungen auf der Flucht, die humanitäre Lage ist katastrophal. Das berichtet der Apostolische Nuntius in Damaskus, Erzbischof Mario Zenari, im Interview mit Radio Vatikan.

„Seit drei Jahren leben die Menschen in Syrien in der Passionszeit. Es gibt jeden Tag neue Vertriebene und Flüchtlinge. Der jüngste Appell der fünf Hilfswerke der Vereinten Nationen an die Konfliktparteien, die humanitären Hilfen durchzulassen, ist völlig unbeachtet geblieben. Die Hilfswerke sprechen deshalb von einer täglichen Verschlechterung der humanitären Lage.“

Doch nicht nur die Kämpfe lassen die Hilfskonvois nicht passieren; es gibt auch bürokratische Hürden: So verweigere die Regierung den Hilfsorganisationen oftmals die Visa, berichtete die UNO-Nothilfe-Koordinatorin Valerie Amos in diesen Tagen. Den von Russland blockierten Sicherheitsrat rief die Koordinatorin zum Handeln auf. Auch vor der prekären Lage der Syrienflüchtlinge in den Nachbarländern dürfe die Internationale Gemeinschaft nicht die Augen verschließen.

Raketenhagel in Aleppo

Auch im Westteil Syriens lebt die Zivilbevölkerung Angst und Schrecken. In der Stadt Aleppo ging in den letzten Tagen ein Raketenregen nieder, der mehrere Menschen tötete. Radio Vatikan erreichte vor Ort den griechisch-melkitischen Erzbischof der Stadt, Jean-Clément Jeanbart:

„Die humanitäre Lage ist sehr schwierig, denn die Leute leiden unter den Schießereien ebenso wie unter den Raketen, Christen wie Muslime. In diesen Tagen habe ich einen fünfzigjährigen Mann mit drei Kindern beerdigt. Er starb durch einen Granatenangriff an seinem Arbeitsplatz in einem Warenlager, in einem christlichen Viertel. Es gibt viele ähnliche Fälle. Und dann gibt es kein Wasser, keinen Strom, wir haben so viele Schwierigkeiten. Die Menschen können nicht mehr, viele Christen denken an Flucht. Das beunruhigt uns am meisten.”

In der einst prosperierenden Stadt wurden nahezu alle Produktionsstätten zerstört. Damit habe Syrien ein wichtiges wirtschaftliches Zentrum verloren, so Jeanbart:

„Sie haben alle Fabriken zerstört, all das, was den Menschen hätte Arbeit geben und diese große Stadt lebendig halten können. Wir haben das wirtschaftliche und industrielle Zentrum Syriens verloren. Wir leiden, denn wir sehen diese einst blühende Stadt in einem schrecklichen, verzweifelten Zustand. Doch wir geben die Hoffnung auf Besserung nicht auf.“

Für die Stadt Homs haben Aufständische und syrische Regierung derweil einen Waffenstillstand ausgehandelt. Er soll den Rebellen einen ungehinderten Abzug aus der Altstadt gewähren, die jahrelang als Hochburg der Aufständischen galt. Im Sommer 2011 hatten dort, als die Proteste in Syrien begannen, hunderttausende Menschen gegen das syrische Regime demonstriert. Als Gegenleistung für den ungestörten Abzug der Rebellen verlangt dieses nun die Freilassung von iranischen und libanesischen Geiseln, die für Baschar al-Assad kämpften. Erzbischof Jeanbart von Aleppo hofft, dass eine ähnliche Übereinkunft auch für Aleppo erwirkt werden kann.

Wahlen ohne Wähler?

Am 3. Juni sollen in Syrien Präsidentenwahlen stattfinden – unter widrigen Bedingungen: Viele Städte sind umkämpft, und ein Großteil der Bevölkerung ist seit Beginn des Bürgerkrieges ins Ausland geflohen. Außerdem soll nur in Gebieten gewählt werden, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden; ein Großteil der Bevölkerung kann so gar nicht an der Abstimmung teilnehmen. Ist das Land vor diesem Hintergrund überhaupt bereit für Wahlen? Dazu der griechisch-melkitische Erzbischof der Stadt, Jean-Clément Jeanbart:

„Man weiß es nicht. Aleppo ist nicht bereit, aber mir scheint, dass Damaskus so weit ist. Latakia, Hama, Homs vielleicht ja. Aber Aleppo? In dieser Lage ist das ein wenig gefährlich. Wir werden sehen…“

(rv/diverse 07.05.2014 pr)








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