Amazonas-Bischof Erwin
Kräutler schlägt Alarm: In seinem Bistum am Xingu-Fluss sind aus seiner Sicht ganze
Indianer-Völker vom Aussterben bedroht. Geschäftsleute rissen sich mit Unterstützung
aus der Hauptstadt Brasilia den Lebensraum der Indianer unter den Nagel, so der aus
Österreich stammende Missionsbischof. In Aparecida hielt Kräutler ein Referat zur
Lage der Indianer bei der derzeitigen Vollversammlung der brasilianischen Bischofskonferenz.
Unserem Korrespondenten dort sagte er hinterher:
„Wir können nicht untätig
zuschauen, wenn Menschen zwischen Leben und Tod sind - das ist eine Aufgabe der Kirche!
Unsere indigenen Völker hier sind tatsächlich heute in einer Situation, die wir uns
vor drei oder vier Jahren noch nicht vorgestellt haben. Wir haben 1987 sehr darum
gekämpft, dass Indianerrechte in die Verfassung kommen, und das ist uns - zusammen
mit den indigenen Völkern - gelungen. Wir haben alles getan, um die Abgeordneten an
ihre Verantwortung zu erinnern, dass die Rechte der indigenen Völker in die Verfassung
gehören.“
Jetzt aber sei das Erreichte gefährdet: Der Wind habe sich gedreht,
so Bischof Kräutler.
„Es gibt echte anti-indigene Kampagnen in Basilien,
insbesondere durch die Vertreter des Agrar-Business. Die sind sehr stark im Kongress
in Brasilia vertreten und wollen jetzt an diesen Verfassungsbestimmungen rütteln.
Da läuten bei mir die Alarmglocken! Wenn an diesen Bestimmungen gerüttelt wird, ist
das mittel- und teilweise sogar kurzfristig der Tod der indigenen Völker. Es geht
um die Abgrenzung, die Demarkierung der indigenen Gebiete. In der Verfassung von 1988
heißt es in Artikel 67 der vorläufigen Bestimmungen, dass die Regierung den Auftrag
alle indigenen Gebiete innerhalb von fünf Jahren als solche erklären und demarkieren
sollte. Nicht einmal die Hälfte davon ist tatsächlich durchgeführt worden!“
Wo
aber Indianergebiete nicht verlässlich demarkiert sind, da können Geschäftsleute ihr
Unwesen treiben. Zum Schaden der Indigenen, deren Zahl Bischof Kräutler mit „fast
fast 900.000 Menschen“ angibt.
„Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ist das
natürlich eine verschwindende Minderheit, aber wenn man sich überlegt: Diese 896.000
Indigenen machen 305 verschiedene Völker aus, die es in Brasilien gibt - mit heute
noch 274 verschiedenen Sprachen! Das ist meines Erachtens ein Reichtum für Brasilien.
Man kann nicht so tun, als ob die indigenen Völker ein Hemmschuh für den Fortschritt
oder die Entwicklung wären - im Gegenteil, sie sind ein Reichtum. Und als solcher
sollten sie auch verstanden werden.“
Von der „tausendjährigen Erfahrung
der Indigenen in ihrem Lebensraum“ könne die ganze Gesellschaft Brasiliens viel lernen,
glaubt der vielfach preisgekrönte und vielfach bedrohte Bischof vom Xingu-Fluss.
„Wir
haben 16 Prozesse am Hals, weil wir die Verfassung verteidigen“
„Aber
wenn man die Entwicklung nur als wirtschaftliches Wachstum versteht, als Rekordernte
oder als Steigen des Bruttonationalprodukts, dann sitzen wir natürlich auf der falschen
Seite. Für die indigenen Völker sind Entwicklung und Fortschritt immer noch: eine
bessere Lebensqualität. In jeder Hinsicht. Sie sprechen vom guten Leben - das bedeutet
Leben in Harmonie mit der Natur und den Mitmenschen, auch mit dem, was sie als Transzendenz
erfahren und verstehen.“
Er habe den Bischöfen gesagt, dass auch die Kirche
in dieser Hinsicht viel von den Indigenen lernen könne. Weil sich die Kirche am Amazonas
entschlossen auf die Seite der Indianer stelle, werde sie „kriminalisiert“, ja richtiggehend
„verfolgt“, so Bischof Kräutler.
„Wir haben 16 Prozesse von Großgrundbesitzern
am Hals, weil wir gesagt haben: Die Indianer haben recht. Wir verteidigen die Verfassung
gegen Leute, die von der Verfassung nichts hören wollen. Deswegen werden wir verfolgt!
Wir werden heute gerade deswegen verfolgt, weil wir die brasilianische Verfassung
verteidigen gegen alle diese Machenschafen und Agressionen von seiten der Großgrundbesitzer...
oder durch Leute, die nicht satt werden können und über Leichen gehen, damit sie von
heute auf morgen steinreich werden.“