Heiligsprechung als „Würdigung von Barmherzigkeit“
Sehr bewusst würdigt Papst Franziskus mit der Heiligsprechung von Johannes XXIII.
und Johannes Paul II. am Sonntag zwei Vorgänger, die den Leitbegriff seines Pontifikats
- die Barmherzigkeit Gottes - in ihrem theologischen Programm hatten und ihr Impulse
gaben. Das hat der an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien lehrende
Dogmatiker Jan-Heiner Tück in einem Gastbeitrag für die „Neue Züricher Zeitung“ dargelegt.
Heiligsprechungen seien schließlich über die Anerkennung persönlicher Vollkommenheit
hinaus stets auch „Instrument kirchlicher Gedächtnispolitik“.
Heilmittel
Barmherzigkeit Johannes XXIII. war jener Papst, der erstmals zum Gebrauch
des „Heilmittels der Barmherzigkeit“ aufrief, und zwar in seiner Ansprache zur Eröffnung
des II. Vatikanischen Konzils, in der er zugleich den „Waffen der Strenge“ und „Unglückspropheten“
eine Absage erteilte, erinnerte Tück. Mit Erfolg: Die Konzilsbischöfe verzichteten
daraufhin auf dogmatische Definitionen ebenso wie auf lehramtliche Verurteilungen
zugunsten eines pastoralen Lehrstils, der potenziell alle Menschen als Adressaten
des Evangeliums sah und die Botschaft vom Heil in einer werbenden Sprache darzulegen
versuchte.
„Reich“ und noch kaum rezipiert sei die Theologie Johannes Pauls
von Jesus Christus als „Inkarnation des göttlichen Erbarmens“, hob Tück weiter hervor.
Etwa in der Enzyklika „Dives in misericordia“ von 1980 machte der Papst die Einladung
zur Umkehr und Erneuerung mit den offenen Armen eines barmherzigen Vaters deutlich,
angelehnt an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auch die Einführung des „Barmherzigkeitssonntags“
sieben Tage nach Ostern im Jahr 2000 - der Papst berief sich dabei auf die von ihm
heiliggesprochene Ordensschwester Faustyna Kowalska (1905-1938) - deute in dieselbe
Richtung.
Volksnähe Merkmal beider Päpste Auch in zahlreichen
anderen Aspekten könne und müsse Franziskus, der „die Kirche in einen Zustand der
permanenten Mission versetzen“ wolle, das Engagement seines Vorvorgängers schätzen
und an dieses anknüpfen. Der Wiener Dogmatiker erwähnte hier etwa die Verbundenheit
mit den Ortskirchen, die der Wojtyla-Papst durch über 100 Pastoralreisen und 1.338
Selig- und 482 Heiligsprechungen zeigte, dessen Einsatz für Menschenrechte und Religionsfreiheit,
sowie die Verdienste um Dialog mit Judentum und Islam. Die besondere Volksnähe sei
ein Merkmal beider ab jetzt heiligen Päpste gewesen.
Freilich hinterlasse
Johannes Paul II. auch manche Hypotheken, laut Tück „sein eher gebrochenes Verhältnis
zur Moderne, die Stärkung des römischen Zentralismus mit umstrittenen Bischofsernennungen,
die Bevorzugung neuer geistlicher Bewegungen auf Kosten der Ortskirchen, aber auch
Spannungen zwischen römischem Lehramt und akademischer Theologie“. Franziskus habe
erste Weichen einer heilsamen Dezentralisierung bereits gestellt, zudem habe sich
das Verhältnis zur Befreiungstheologie „spürbar entkrampft“.