In Europa wird gewählt:
In einem Monat entscheiden die Bürger der EU über ein neues Parlament. Das ist aber
nicht der einzige Ort, an dem sich die Zukunft des Projektes Europa entscheidet. Sie
entscheidet sich auch an konkreten Orten wie zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina,
wie die Bischöfe Bosniens im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Kathpress betonen.
Die politische Entwicklung dort ist aus ihrer Sicht sogar der „Lackmustest für die
Zukunft Europas“.
In Bosnien-Herzegowina lebten Bosniaken, Serben und Kroaten
sowie einige Minderheiten verschiedener Völker auf engem Raum zusammen. Das Zusammenleben
gelinge mehr schlecht als recht. Eine politische Regelung, die allen Bevölkerungsgruppen
im Land gleiche Rechte bringt, sei deshalb dringend angesagt. Und: Es sei wesentlich
mehr Engagement von Seiten der EU gefragt. - Davon zeigten sich Kardinal Vinko Puljic,
Erzbischof von Sarajevo, sowie Bischof Franjo Komarica, Bischof von Banja Luka und
Vorsitzender der Bosnisch-Herzegowinischen Bischofskonferenz, überzeugt.
Es
sei zunehmend schwer für die katholischen Kroaten im Land, betont Bischof Komarica:
„Das Land ist de facto unter zwei Völkern aufgeteilt, zwischen Serben und Bosniaken.
Die Kroaten sind eine Minderheit.“
Bosnien brauche mehr Einheit und Zusammenhalt,
ergänzte Kardinal Puljic. Das Dayton-Abkommen von 1995 habe zwar den Krieg im Land
beendet, zugleich aber einen „abnormalen Staat" geschaffen, beklagte der Kardinal.
In der Republika Srpska würden Kroaten und Muslime diskriminiert, im muslimisch dominierten
Zentralbosnien hätten Serben und Kroaten wenig Chancen, und in der kroatischen Herzegowina
beklagten wiederum Serben und Muslime fehlende Rechte, ist allgemein zu hören. Es
brauche deshalb einen neuen Vertrag, der mit der bisherigen politischen Zersplitterung
des Landes Schluss mache, so Kardinal Puljic. Auf lokaler Ebene ließen sich viele
Probleme einfach nicht lösen.
Beide Bischöfe betonen aber den Willen zur Zusammenarbeit.
Komarica bezeichnete Bosnien als ein „Absurdistan“, in dem das Recht des Stärkeren
gelte. Sein Bistum, Banja Luka, befindet sich in der Hauptstadt der Republika Srpska.
„Die
Politiker sind reine Egoisten!“
„Wir wollen hier als Europäer mit den
anderen zusammen leben. Wir versuchen alles in eurem Namen, im Namen der europäischen
zivilisierten Errungenschaften, um dazu beizutragen, dass unsere Nachbarn – die Serben
und die Bosniaken - unsere Freunde sind. Das Volk zeigt, dass man konkret zusammen
leben kann. Aber die Politiker wollen das nicht: Das sind reine Egoisten! Die appellieren
immer noch an die sturen Nationalismen.“
Erst kürzlich haben die Bischöfe eine
Erklärung veröffentlicht, wonach der Mensch das Maß sein müsse, und Grundlage des
Zusammenlebens müsse das Gemeinwohl sein, nicht eine Ideologie. Gleiche Rechte lassen
sich aber nicht ohne politischen Willen garantieren. Alle rechtlichen Anstrengungen
zum Beispiel katholischer Flüchtlinge, ihren Besitz restituiert zu bekommen, seien
durchweg im Sand verlaufen, so Bischof Komarica: „Hier ist die Lüge das Gesetz.“ Bald
nach dem Krieg hätten 12.500 Familien zurückkommen wollen - fast ohne Chance. Derzeit
bemühten sich noch rund 4.000 Familien um eine Rückkehr.
Hart geht der Bischof
auch mit dem Westen ins Gericht. Dieser lasse die Katholiken im Stich. Wer anderes
behaupte, sei ein Lügner, so Bischof Komarica: „Die EU hat uns ihre unfähigsten Politiker
geschickt." Wenn es der EU nicht gelinge, in Bosnien einen Rechtsstaat zu etablieren
nach dem Prinzip der Einheit in Vielfalt, dann sei letztlich auch die europäische
Integration zum Scheitern verurteilt, betont der Bischof.