Der Kreuzweg am Kolosseum: Die Schwere und die Herrlichkeit des Kreuzes
Zehntausende Gläubige
haben an diesem Karfreitag Abend mit dem Papst den traditionellen Kreuzweg am Kolosseum
gebetet. Die Meditationen stammten in diesem Jahr von dem italienischen Erzbischof
Giancarlo Maria Bregantini von Campobasso-Boiano, der als exponierter Gegner der Mafia
bekannt ist. Ausgehend von den 14 Stationen Jesu – vom Todesurteil bis zur Grablege
– sprachen die Texte vom Kreuzweg der Arbeitslosen, der Flüchtlinge, der Todkranken,
der versklavten Frauen, der Mütter drogenkranker Kinder.
„Gott hat dem Kreuz
Jesu alle Last unserer Sünden, alle Ungerechtigkeiten aller Kaine gegen ihre Brüder,
alle Bitterkeiten unseres Judas-Verrates und unserer Petrus-Verleugnungen, alle Eitelkeiten
der Mächtigen, alle Arroganz der falschen Freunde auferlegt“, so Papst Franziskus
am Ende des Kreuzweges. „Es war ein schweres Kreuz, schwer wie die Nacht eines verlassenen
Menschen, schwer wie der Tod eines lieben Freundes, schwer weil es die ganze Hässlichkeit
des Bösen auf sich nimmt.“
Im Kreuz zeige sich die gesamte Liebe Gottes, der
viel größer sei als unsere Bosheit und unser Verrat. „Im Kreuz sehen wie wir die Scheußlichkeit
des Menschen, wenn er sich vom Bösen führen lässt, aber wir sehen auch die Unermesslichkeit
der Barmherzigkeit Gottes, der uns nicht nach unseren Sünden behandelt, sondern nach
dieser seiner Barmherzigkeit.“
Meditationen über die Welt
Im
Inneren des Kolosseum waren wie jedes Jahr die 14 Stationen aufgebaut; das Kreuz übernahmen
an jeder Station wechselnde Träger, darunter ein Paar, das aus einem Arbeiter und
einem Unternehmer bestand, sowie zwei Ausländer, zwei Obdachlose, zwei Häftlinge,
eine Familie, zwei Frauen, zwei Kinder und zwei alte Menschen.
Wenn Jesus das
Kreuz auf sich nimmt und unter ihm wankt, dann ist das auch „die Last all der Ungerechtigkeiten,
die zur Wirtschaftskrise mit ihren schwerwiegenden sozialen Folgen geführt haben“;
heißt es in der Meditation zur zweiten Station:
„Unsicherheit, Arbeitslosigkeit,
Entlassungen, Geld, das regiert, anstatt zu dienen, Finanzspekulation, Freitod von
Unternehmern, Korruption und Wucher, Auswanderung der Unternehmen. Das ist das schwere
Kreuz der Arbeitswelt, die Ungerechtigkeit, die den Arbeitern aufgeladen wird. Jesus
nimmt es auf seine Schultern und lehrt uns, nicht mehr in der Ungerechtigkeit zu leben,
sondern mit seiner Hilfe fähig zu werden, Brücken der Solidarität und der Hoffnung
zu bauen, damit wir weder umherirrende noch verlorene Schafe sind.“
In
den Tränen Marias, der Mutter Jesu, erklinge auch „die herzzerreißende Klage der Mütter
um ihre Kinder, die an Tumoren sterben, deren Ursache die Verbrennung giftiger Abfälle
ist“. Zu weinen gelte es auch über jene Männer, die Gewalt an Frauen verüben, und
über die „Frauen, die durch Angst und Ausbeutung versklavt sind“. Mitleid allein reiche
da aber nicht aus, heißt es weiter: „Jesus ist anspruchsvoller. Die Frauen müssen
beruhigt und ermutigt werden, sie müssen geliebt werden als ein unverletzliches Geschenk
für die ganze Menschheit.“ Die Tränen des Mitleids können dann fruchtbar sein, wenn
sie für „teilnahmsvollen Schmerz“ stehen, so der Meditationstext: Jesu wolle keine
„weinerliche Bemitleidung. Keine Klagen mehr, sondern Wille zur Neugeburt, zum Blick
nach vorn.“ Das Kreuz werde leichter, wenn es mit Jesus getragen und von allen gemeinsam
hochgehoben wird.
„Kämpfen wir gemeinsam, … indem wir die Achtung gegenüber
der Politik zurückgewinnen und versuchen, gemeinsam aus den Problemen herauszukommen.“
Jesus
helfe uns mit seiner inneren Kraft, die er vom Vater erhält, auch dabei, dem Fremden
unsere Tür zu öffnen. „Im Bewusstsein unserer eigenen Schwäche werden wir die Einwanderer
in ihrer Schwäche bei uns aufnehmen, damit sie Sicherheit und Hoffnung gewinnen.“
Erzbischof Bregantini erinnerte in seinen Meditationen auch an das Leid der Häftlinge,
denen wir es nicht erlauben, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern, sowie
an die Praxis der Folter in Gefängnissen.
„In jedem Gefängnis, bei jedem
Gefolterten ist er, der leidende, gefangene und gefolterte Christus immer gegenwärtig.“
Jesus
wird ans Kreuz genagelt: Auch heute seien viele Menschen gefesselt wie Jesus - an
ein Krankenbett, heißt es in der elften Station.
„Möge sich unsere Hand
niemals erheben, um zu peinigen, sondern immer, um den Kranken Nähe zu schenken, sie
zu trösten und zu begleiten und sie aus ihrem Krankenbett wieder aufzurichten. Nur
wenn wir an unserer Seite jemanden finden, der sich an unser Bett setzt, nur dann
kann die Krankheit eine große Schule der Weisheit, eine Begegnung mit dem geduldigen
Gott werden.“
Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter
gelegt: Pietà, das bedeutet, „jenen Brüdern und Schwestern nahe zu sein, die in ihrer
Trauer keinen Frieden finden.“
Die Kraft der Hoffnung und Liebe
„Vor
dem Kreuz Jesu können wir fast mit den Fingern anfassen, dass wir bin in alle Ewigkeit
geliebt sind“, schloss der Papst die Meditationen in einer kurzen Ansprache. Vor dem
Kreuz fühle man sich als Kind, nicht als Sache oder Objekt. „Denken wir also gemeinsam
an die Kranken, erinnern wir uns an die verlassenen Menschen unter der Last des Kreuzes,
auf dass wir in der Prüfung des Kreuzes die Kraft der Hoffnung finden, der Hoffnung
auf die Auferstehung und der Liebe in Gott.“
Franziskus leitete die Andacht
vom gegenüberliegenden Palatin-Hügel aus und segnete am Ende die Anwesenden. Der Kreuzweg
am Kolosseum fand in diesem Jahr zum 50. Mal in neuerer Zeit statt. Die Päpste seit
Paul VI. meditieren die Via Crucis seit 1964 immer am Karfreitag am römischen Kolosseum.
Diese Tradition setzte somit während des II. Vatikanischen Konzils neu ein. Davor
hatten die Päpste auch zwischen 1750 und 1870 den Kreuzweg am Kolosseum gebetet.