Karfreitag: „Die größte Sünde – nicht an die Barmherzigkeit Gottes glauben“
Die Verehrung des
Kreuzes und das Denken an das Leiden Jesu Christi: Der zweite Tag des österlichen
Triduum. Im Petersdom waren tausende Menschen mit Papst Franziskus versammelt, um
dem Bericht vom Leiden und Sterben zu zuhören und in Gesten der Verehrung anzuerkennen,
was Gott für die Menschen am Kreuz auf sich genommen habe.
Während der Predigt
stand die Person im Mittelpunkt, die sonst eher an die Seite gedrängt und mit wenigen
Worten weg-charakterisiert wird: Der Apostel Judas, der Verräter. Über ihn sprach
in seiner Predigt Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, traditionell übernimmt der
Prediger des Päpstlichen Hauses die Aufgabe bei dieser besonderen Liturgie. Seine
tragische Geschichte habe uns viel zu sagen, so der Prediger.
„Judas war
von Anfang an dazu auserwählt worden, einer der Zwölf zu sein. Indem er seinen Namen
in die Liste der Apostel aufnimmt, schreibt der Evangelist Lukas: „Judas Iskariot,
der zum Verräter wurde“ (Lk 6,16). Judas war also nicht als Verräter zur Welt gekommen
und war es auch noch nicht, als Jesus ihn auserwählte; er wurde es! Wir stehen vor
einem der finstersten Dramen der menschlichen Freiheit.”
Auf der Suche
nach der Antwort auf die Frage nach dem „warum“ ging er einige Erklärungsversuche
durch, den vom Zeloten Judas und dem vom enttäuschten Revolutionär Judas, der eher
dem Caesar-Möder Brutus gleiche als einer biblischen Figur. Die Evangelien präsentierten
ein ganz anderes, „unedleres“ Motiv: Geldgier. Geld sei der sichtbare Gott, im Gegensatz
zum unsichtbare, wahren Gott.
„Geld ist der Anti-Gott, weil es ein alternatives
spirituelles Universum gründet und die theologischen Tugenden auf ein neues Objekt
umorientiert. Glaube, Hoffnung und Liebe werden nicht mehr in Gott gesetzt, sondern
ins Geld. Es entsteht eine finstere Umpolung aller Werte. „Alles kann, wer glaubt“,
sagt die Heilige Schrift (Mk 9,23); doch die Welt sagt uns: „Alles kann, wer Geld
hat.“ Und auf einer gewissen Ebene scheinen die Tatsachen das zu bestätigen.”
An
den Auswirkungen der Habgier in der Welt könne man ablesen, welchen Schaden das Geld
anrichte, „hinter jedem Übel unserer Gesellschaft steht das Geld“, so Pater Raniero.
Aber wie alle Götzen sei auch das Geld „falsch und ein Lügner“, es verspreche Sicherheit
und Freiheit, in Wirklichkeit aber zerstöre es.
„Wie oft haben wir alle
an jene Ermahnung Jesu gedacht, die man im Gleichnis vom reichen Mann findet, der
großen Reichtum angehäuft hatte und sich nun für den Rest seines Lebens in Sicherheit
wähnte: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern.
Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?“ (Lk 12,20). Menschen, die wichtige
Führungsstellen innehatten und nicht mehr wussten, auf welcher Bank und in welchem
Steuerparadies sie die Erträge ihrer Korruption verstecken sollten, haben sich von
heut auf morgen als Angeklagte im Gericht wiedergefunden, oder in der Zelle eines
Gefängnisses, gerade in dem Augenblick, als sie zu sich selbst sagen wollten: „Nun
ruh dich aus; iss und trink und freu dich des Lebens.“ Für wen haben sie das getan?
War es das wert? Haben sie ihrer Familie oder ihren Kindern wirklich etwas Gutes getan;
oder ihrer Partei, wenn es das war, was sie wollten? Oder haben sie nicht eher sich
selbst und die anderen geschädigt? Der Gott Geld sorgt von selbst dafür, seine Anbeter
zu bestrafen.”
Im Judasverrat könnten wir sehen, wie sich diese Geschichte
fortsetze, der Verratene sei immer derselbe: Jesus. „Judas verriet das Haupt, seine
Nachfolger verraten seinen Leib, denn die Armen sind Glieder des Leibes Jesu“, so
Pater Raniero weiter. Dieser Judas sei aber nicht nur in den großen Skandalen der
Welt zu finden, sondern auch im „Judas, der in mir ist“. Untreue am Partner sei der
Lohn eines solchen Betruges, der untreue Priester verrate Jesus. Judas habe mildernde
Umstände, die wir heute nicht hätten, er wusste nicht, wer Jesus war, wir dagegen
schon.
„Jedes Jahr aufs Neue höre ich, wenn Ostern naht, die Matthäuspassion
von Bach. Darin gibt es ein Detail, das mir immer wieder eine Gänsehaut hervorruft.
Bei der Ankündigung des bevorstehenden Verrats durch Judas wenden sich alle Apostel
mit der Frage an Jesus: „Herr, bin ich’s?“. Doch noch vor der Antwort Jesu hat der
Komponist einen Choral eingefügt, der so beginnt: „Ich bin’s, ich sollte büßen!“ Wie
alle Choräle jenes Werkes drückt auch in diesem Fall der Chor die Gefühle des Volkes
aus, das die Szene miterlebt; es ist eine Aufforderung an uns, ebenfalls unsere Sünden
zu bekennen.”
Das Ende des Judas werde ebenfalls von den Evangelien berichtet,
er erhängte sich. Aber Jesus habe ihn auch dann nicht verlassen, das letzte Wort Jesu
an ihn war „Freund“, das könne Jesus auch dann nicht vergessen haben, als Judas ihn
verriet. Jedem sei es möglich, sich noch an den Herrn und barmherzigen Richter zu
wenden, wie tief die Schuld auch sei.
„Das ist es, was wir aus der Geschichte
unseres Bruders Judas lernen müssen: uns vertrauensvoll dem Richter zu übergeben,
der Verzeihung gern gewährt; uns ebenfalls in die offenen Arme des Gekreuzigten zu
stürzen. Das wirklich Große an der Geschichte des Judas ist nicht sein Verrat, sondern
die Antwort, die Jesus darauf gibt. Er wusste nur zu gut, was da im Herzen seines
Jüngers heranreifte; doch stellt er ihn nicht bloß, er will ihm bis zuletzt die Möglichkeit
gewähren, umzukehren; fast nimmt er ihn in Schutz. Er weiß, warum Judas gekommen ist;
doch weist er im Getsemani seinen eisigen Kuss nicht zurück und nennt ihn sogar „Freund“
(Mt 26,50). So wie er das Gesicht Petri suchte, nachdem dieser ihn verleugnet hatte,
so wird er auch Judas in allen Ecken und Biegungen des Kreuzwegs gesucht haben, um
ihm zu vergeben! Wenn er am Kreuze sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie tun“ (Lk 23,34), dann schließt er Judas gewiss nicht aus.”
Auch
Petrus habe gesündigt, indem er Jesus drei mal verriet, aber anders als Judas habe
er immer der Barmherzigkeit vertraut, auch im Verrat. Das sei die größte Sünde, so
Pater Raniero, nicht der Verrat, sondern „sein Zweifel an der Barmherzigkeit Gottes.“
„Wenn
wir ihm also im Verrat nachgefolgt sind – die einen mehr, die anderen weniger –, dann
dürfen wir ihm nicht auch noch in diesem Mangel an Vertrauen in seine Vergebung folgen.
Es gibt ein Sakrament, durch das wir die Barmherzigkeit Christi auf sichere Weise
erfahren können: das Sakrament der Wiederversöhnung. Wie schön ist dieses Sakrament!
Es ist schön, Jesus als Meister, als Herrn kennenzulernen; aber noch schöner ist es,
ihn als Heiland kennenzulernen, als den, der dich aus dem Abgrund emporzieht, wie
Petrus aus dem Wasser; der dich berührt, wie er es mit dem Aussätzigen machte, und
dir sagt: „Ich will, dass du rein wirst!“ (vgl. Mt 8,3).”
Die Beichte
gebe dem Christen Gelegenheit, an sich selbst zu erleben, was die Kirche im österlichen
Exsultet über die Sünde Adams sage: Sie sei eine „wahrhaft heilbringende Sünde“, weil
die barmherzige Vergebung daraus eine Schuld mache, an die man nicht mehr zu denken
brauche, außer, um sich an die Barmherzigkeit und Liebe Gottes zu erinnern, die man
aus Anlass unserer Schuld erfahren durfte.