2014-04-12 11:08:32

Unser Buchtipp: Marias Testament


RealAudioMP3 Ein Roman von Colm Tóibín. Eine Besprechung von Stefan von Kempis.

„Marias Testament“: Ein Roman, den ich überhaupt nicht empfehlen kann - und andererseits doch sehr empfehle. Das muss ich wohl erklären. Tóibín, preisgekrönter Ire, zeichnet in dem schmalen Bändchen eine verhärmte, desillusionierte Maria am Ende ihres Lebens. In Ephesus erzählt sie Petrus und Johannes, die sie besuchen, nur ungern, wie sie das damals erlebt hat mit ihrem Sohn Jesus; den Namen spricht sie ihnen gegenüber nicht aus. Sie hat vom Kreuzestod ihres Sohnes ein tiefes Trauma zurückbehalten, schämt sich dafür, dass sie sich damals auf Golgotha aus dem Staub gemacht hat, um nicht verhaftet zu werden; geht kaum aus dem Haus, und wenn doch, dann zu einem kleinen Artemis-Tempel, wo sie einen merkwürdigen inneren Frieden fühlt. „Wenn ihr sagt, dass er die Welt erlöst hat, dann sage ich, dass es das nicht wert war“, denkt diese – ja doch, seltsame Muttergottes. Also: nicht zu empfehlen.

Oder eben doch zu empfehlen. Denn diese aus christlicher Sicht verzeichnete Madonna ist eine in sich schlüssige Figur – und gerade in der Verzeichnung wird der ganze Ernst von Golgotha, der Schock und Skandal des Kreuzes, spürbar wie kaum je. Sieht man genauer hin, dann leuchtet hinter Marias Harm eben doch das ganze Geheimnis Jesu auf: wie er von seinem himmlischen Vater spricht, wie er Brote vermehrt und Tote erweckt. Vor allem die Auferweckung des Lazarus wird von Tóibín als Gegenstück oder Vorbote der Kreuzigung Jesu entwickelt. Der Autor nähert sich dieser Heils- und Unheilsgeschichte mit tiefem Ernst, von einer ungewöhnlichen Seite. Damit hat er ihr etwas Neues abgewonnen, über das sich – erst recht in den Kartagen – nachdenken, meditieren, beten lässt.

Der Roman ist im Hanser Verlag erschienen.

(rv 12.04.2014 sk)








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