Ägypten: Rekordverurteilungen werden noch mehr Gewalt schüren
Bei einem Massenprozess
in Kairo sind am Montag 529 Islamisten zum Tode verurteilt worden. Ihnen wird die
Teilnahme an gewalttätigen Protesten im Sommer 2013 sowie Mord vorgeworfen. Sie hatten
damals gegen die Entmachtung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi demonstriert.
Das
noch nicht rechtskräftige Urteil gegen die Anhänger der Muslimbruderschaft beschreibt
Max Klingenberg, Ägyptenreferent der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte",
in einem Interview mit dem Kölner Domradio als ein außerordentlich hartes und rasches
Urteil.
„Der Prozess ist erst am Samstag eröffnet worden - und schon am
Montag 529 Todesurteile! Die Reaktionen gehen von ungläubigem Staunen bis zu Zorn
und Wut. Zuerst glaube ich: Das bedeutet ein Desaster für die ägyptische Justiz, von
der man, zumindest in Teilen, gehofft hatte, sie wäre weitgehend intakt, noch. Weniger
korrumpiert als übrige Institutionen des Staates, die unter Mubarak vereinnahmt worden
sind, aber dieses Urteil ist eine Katastrophe für die Justiz und für ganz Ägypten.“
Weiters
gibt der Experte bekannt, dass den über 1.000 Angeklagten unter anderen ein einziger
Mord vorgeworfen werde, aber nicht die gleichzeitigen Angriffe auf über sechzig Kirchen.
Seiner Meinung nach werden diese Todesurteile erneut für Gewaltausbrüche und Proteste
sorgen.
„In unseren Augen hat die Muslimbruderschaft spätestens in der zweiten
Hälfte des vergangenen Jahres wirklich bewiesen, dass sie eine terroristische Vereinigung
ist. Sie hat wahllos Kritiker, aber auch einfach Unbeteiligte umgebracht - mit Bombenanschlägen,
mit Morden auf offener Straße, um ihren Zorn auszudrücken gegen den Machtverlust des
damaligen Präsidenten Mursi und um das Land nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Das hatte
die Führung der Muslimbruderschaft damals angekündigt, und das Fußvolk der Muslimbrüder
hatte das dann tatsächlich durchgezogen.“
Das Urteil ist vom Gericht schon
weitergeleitet worden an den Großmufti, der alle Todesurteile abzeichnen muss. Dieser
– Ali Guma – sei im Augenblick ein sehr liberaler Mann. Das Todesurteil werde sicher
angefochten werden und dann auch gleich fallen, glaubt der Experte.
„Das
wird erneute Proteste und erneute Gewalt nach sich ziehen; dabei muss man im Auge
behalten, dass Ägypten nicht zur Ruhe gekommen ist. Nach der Entmachtung Mursis ist
es zu spektakulärer Gewalt gekommen - Brände, Kirchen, niedergebrannte Häuser. Seither
ist es so, dass es fast täglich zu gewaltsamen Demonstrationen von Anhänger der Muslimbruder
kommt. Ruhe ist also noch nicht eingekehrt. Was jetzt folgen wird, lässt sich noch
nicht sagen, aber mit Sicherheit wird es mehr Gewalt sein.“