Kardinal Müller: „Dem Papst dienen, sich nicht des Papstes bedienen“
Der Papst darf nicht
für eigene Ziele vereinnahmt werden, es ist unter anderem die Aufgabe der Glaubenskongregation,
genau für einen solchen Schutz zu sorgen. Das sagt im Interview mit Radio Vatikan
der Präfekt der Kongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Ganz aktuell wird das
in der gegenwärtig von Papst Franziskus angestoßenen Debatte zu Ehe und Familie, die
in zwei Bischofssynoden münden wird. Die Kongregation stehe für die Wahrheit des Glaubens
und dafür, dass es keine Engführung auf ein Thema oder eine einzige Antwort gebe,
so Müller. In den Medien werde ganz bewusst ein Gegensatz zwischen ihm und dem Papst
konstruiert, beklagte er, dabei sei es auch die Aufgabe seiner Kongregation, dafür
zu sorgen, dass der Papst nicht vereinnahmt werde, „dass wir dem Papst und der Kirche
dienen und nicht uns des Papstes bedienen.“
Eine deutliche Meinung vertritt
der kürzlich zum Kardinal erhobene Müller auch inhaltlich zur Debatte um Ehe und Familie.
Kardinal Müller unterscheidet die verschiedenen Stimmen in dieser Debatte. So sei
die Glaubenskongregation – in der er als primus inter pares, als Erster unter Gleichen
agiere – am Lehramt des Papstes beteiligt, während andere nur jeweils ihre eigene
Meinung verträten, und sei es als Kardinal. Genauso sei auch der Fragebogen für die
Debatte nützlich, aber „kein Dogma“. Man sei auch in diesem Punkt dem Wort Jesu verpflichtet.
Seit
Juli 2012 leitet der geborene Mainzer Müller die Kongregation für die Glaubenslehre,
die Öffentlichkeit kennt ihn als Mann der klaren Worte. Die Aufgabe der Kongregation
sei es, den Glauben zu schützen, hier „dürfe man nicht schweigen und sich in die Bequemlichkeit
zurück lehnen,“ begründet er seine Debattenbeiträge. Mit der öffentlichen Meinung
zu kokettieren, dieser Versuchung gelte es zu widerstehen.
Aufarbeitung
der Missbrauchsfälle Die theologischen Debatten um Ehe und Familie sind
aber nicht das einzige, mit dem sich die Kongregation derzeit beschäftigt, als Dauerthema
bleibt seiner Institution die kirchenrechtliche Aufarbeitung der Missbrauchsfälle
durch Kleriker. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit der Opfer gegenüber, „wer sich
in schwerer Weise an Leib und Leben eines Jugendlichen schuldig gemacht hat, der kann
nicht mehr im priesterlichen Dienst weiter wirken.“ Es sei auch ein Zeichen für die
Opfer, dass die Kirche sich vom schlimmen Treiben ihrer Diener „klar und unmissverständlich
und ohne jede Zweideutigkeit“ distanziert. „Das schulden wir der Gerechtigkeit dem
Opfer gegenüber“, so Müller. Ausdrücklich betont er, dass nicht gegen das Recht Barmherzigkeit
mit den Tätern geübt werde, sondern dass es um das Recht für die Opfer gehe.
Lesen
Sie hier das gesamte Interview:
Herr Kardinal, der Papst will eine
Debatte. Die will er in zwei Synoden zu Ehe und Familie anregen. Wie sehen Sie die
Rolle der Glaubenskongregation in dieser anstehenden Debatte?
Die Glaubenskongregation
vertritt in diesem Punkt, aber natürlich in allen Fragen der katholischen Lehre, eben
die Glaubenswahrheit. Es ist, glaube ich, wichtig für die öffentliche Wahrnehmung,
die Engführung auf ein einziges Thema zu überwinden, als ob das jetzt die Lösung von
allem wäre. Es geht wesentlich darum, die kirchliche Lehre von Ehe und Familie wieder
ganz zentral ins katholische Glaubensbewusstsein hineinzuführen, denn nur wenn wir
vom Gelingen der Ehe und Familie sprechen und uns dafür auch einsetzten, können wir
etwas Positives bewirken.
In der öffentlichen Meinung werden Sie häufig
als Bremser und Neinsager dargestellt, wenn es um die Initiativen des Papstes geht.
Trifft Sie das?
Natürlich ist das eine Propaganda, die ganz gezielt gemacht
wird, mit mir einen Gegensatz zu konstruieren. Was der Präfekt der Glaubenskongregation
oder der Kongregation insgesamt - er ist nur der Primus inter pares - zu tun hat,
ist klar durch die Statuten festgelegt. Allerdings gehört auch dazu, dass wir dafür
Sorge tragen, dass der Papst nicht für bestimmte Ziele vereinnahmt wird. Es ist ja
interessant, dass sich zur Zeit so viele Gruppierungen auf den Papst berufen, die
vorher das Papsttum fast abgelehnt haben. Insofern geht es darum, bei uns jedenfalls,
dass wir dem Papst und der Kirche dienen und uns nicht des Papstes bedienen.
An
der von mir eben angesprochene Debatte, die der Papst angestoßen hat, beteiligen auch
Sie sich. Seit einigen Tagen fährt etwa die italienische Zeitung „Il Foglio“ eine
Kampagne gegen Kardinal Kasper [der im Auftrag des Papstes einen Vortrag vor dem Kardinalskollegium
über das Thema Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene hielt, Anm.]. Was
fordern Sie in der anstehenden Debatte, die ja weit über die Kongregationen im Vatikan
hinausgeht?
Ich bin daran nicht beteiligt als Privattheologe, sondern eben
in meiner Funktion. Die Glaubenskongregation ist ja die einzige der römischen Kongregationen,
die eben am Lehramt des Papstes unmittelbar Anteil hat, während andere, die sich hier
melden, auch wenn sie im Kardinalsrang sind, einfach nur für sich selber persönlich
sprechen und nicht eine offizielle Aussage treffen können.
Gehen wir noch
einmal einen Schritt weiter. Es sind nicht nur Kardinäle, die sich beteiligen; es
gibt auch den Fragebogen, der eine hohe Erwartungshaltung generiert hat. Positiv gefragt:
Was kann die Umfrage unter den Laien, die internationale Einbindung und Anregungen
der Debatte, Positives beitragen?
Positiv kann das, glaube ich, sehr viel
beitragen, dass die Katholiken sich wieder mit dem eigenen Glauben beschäftigen und
nicht einfach punktuell dieses oder andere herausnehmen aus der Liturgie oder aus
der Lehre der Kirche. Wir müssen den Zusammenhang von Verkündigung und Seelsorge sehen,
von der Lehre der Kirche, aber auch Diakonia. Bin ich sozial sehr engagiert oder mache
ich in der Kirche bei den karitativen Werken mit, aber die Anbetung Gottes oder die
Feier der Sakramente, das interessiert mich nicht so? Der Fragebogen als solcher ist
aber kein Dogma. Er ist eben so viel wert und bedeutet so viel, wie eben auch die
Qualität der Fragen und der Zusammenhänge gegeben ist oder auch nicht geben ist.
Sie
sind ein Mann der klaren Worte, das haben wir eben wieder gehört. Das reicht auch
in Ihrer Geschichte weit zurück. Ist das die Rolle der Glaubenskongregation, so zu
sprechen, oder ist das eher Gerhard Ludwig Müller, der spricht?
Die Glaubenskongregation
hat einen klaren Auftrag: den katholischen Glauben zu fördern, aber auch zu schützen.
Das ist kein anderer Auftrag als der, den Papst selbst empfangen hat von Jesus Christus.
Hier dürfen wir, glaube ich, nicht schweigen, uns in der Bequemlichkeit zurücklehnen
und einfach mit der öffentlichen Meinung kokettieren. Das ist ja schön, wenn man den
Wind im Rücken hat und dann groß aufgeblasen wird. Aber ich glaube, dieser Versuchung
muss jeder Bischof und jeder Priester widerstehen, ob man sie hören will oder nicht.
Die
Glaubenskongregation ist auch für die juristische Aufarbeitung der Missbrauchsfälle
zuständig. Welche Rolle spielt das im Selbstverständnis und im Arbeitsaufwand hier
im Haus?
Wir sind nicht zuständig für die Gesamtaufarbeitung beziehungsweise
die pastorale Betreuung der Opfer. Es geht bei uns auch nicht um ein bürgerliches
Rechtsverfahren, wie das auf jeden Staatsbürger zutrifft, ob er Priester ist oder
nicht. An der Glaubenskongregation geht es um ein kanonisches Verfahren in jenen Fällen,
in denen ein Priester, Bischof oder Diakon sich eines solch schweren Verbrechens schuldig
gemacht hat. Wie weit er noch im pastoralen Dienst einsetzbar ist. Deshalb müssen
wir in schweren Fällen auch eine schwere Strafe aussprechen, um der Gerechtigkeit
willen. Wer sich in schwerster Weise am Leib und Leben eines Jugendlichen schuldig
gemacht hat, der kann nicht mehr im priesterlichen Dienst weiter wirken. Und es ist
auch unser Zeichen für die Opfer, dass die Kirche sich von dem schlimmen Treiben eines
ihrer Diener klar und unmissverständlich und ohne jede Zweideutigkeit distanziert.
Das schulden wir der Gerechtigkeit den Opfern gegenüber. Es ist nicht dafür da, die
Straftäter zu schützen und ihnen Barmherzigkeit zuzusprechen wider alles Recht, sondern
hier geht es zuerst um die Gerechtigkeit für die Opfer.