2014-03-22 14:10:41

Afghanistan: Ein wunderschönes Land, aber...


RealAudioMP3 Die Angreifer kamen zu viert. Sie überwanden am Donnerstag alle Sperren und Sicherheitskontrollen vor dem luxuriösen „Serena Hotel“ in Kabul, dann zogen sie Feuerwaffen aus ihren Strümpfen und schossen um sich. Die Bilanz: mindestens acht Tote, unter ihnen auch Kinder. Afghanistan kennen wir vor allem von solchen Nachrichten her. Patrick Kuebart geht das anders: Der 38-Jährige hat jetzt zweieinhalb Jahre lang das Büro von Caritas International in Kabul geleitet. Und er sagt:

„Ich habe auch die Seiten der Gastfreundschaft kennengelernt, warmherzige Menschen, die sich um einen kümmern, die einem beistehen, wenn man selber mal Probleme hat. Ich hab gesehen, wie hart die Menschen vor Ort arbeiten, um ihr tägliches Brot auf den Tag zu bekommen. Also ganz andere Eindrücke, als sie hier in Deutschland vorherrschen...“

Afghanistan – das Land, das Jahrzehnte Krieg hinter sich hat und in dem Anfang April Präsidentenwahlen stattfinden – verfügt durchaus über einige Stärken, so Kuebart.

„Ich denke, eine der Stärken ist der Wille, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Es gibt wirklich viele Menschen, die besessen sind auf Bildung. In unseren Projekten zum Beispiel gehen die Kinder drei Stunden hin zur Schule, drei Stunden wieder zurück. Also allein der Weg dauert sechs Stunden, um Bildung zu erfahren. Das sind Stärken in Afghanistan.“

Die internationale Gemeinschaft hat in vielen Punkten versucht, den Afghanen zu helfen. Und trotzdem ist der Eindruck im Westen: Es hapert noch an allen Ecken und Enden. Was Sicherheit betrifft, Menschenrechte, wirtschaftliche Entwicklung. Kuebart:

„Zunächst einmal muss ich sagen, dass man sich vorstellen muss, wo Afghanistan angefangen hat. Afghanistan war 2001 komplett zerstört, es gab keine gesellschaftliche Infrastruktur, es gab keine große Infrastruktur in den Städten mehr. Das heißt, sie haben im Prinzip bei null angefangen. Und wenn man sich das ansieht, dann sind sie schon sehr weit gekommen. Wir haben Schulen, wir haben Bildung, wir haben Straßen. Da ist viel passiert, aber natürlich gibt es noch eine Menge zu tun. Korruption ist natürlich ein großes Beispiel, aber auch solche Probleme wie Drogenabhängigkeit. Es wird immer vom Opiumanbau gesprochen, aber sehr stark vernachlässigt, dass auch in Afghanistan mittlerweile ein Großteil der Bevölkerung von Heroin abhängig ist, weil es billig vor Ort zu haben ist.“

Was man gar nicht denken würde: Caritas International ist schon seit dreißig Jahren in Afghanistan aktiv, u.a. in der Drogenhilfe.

„Wir arbeiten mit einem lokalen Partner zusammen, der schon seit über zwanzig Jahren mit Drogenabhängigen arbeitet. Worauf wir uns vor allem konzentrieren, ist zum einen, Frauen, die selber abhängig sind oder verheiratet sind mit abhängigen Männern, aufzufangen, ihnen beizustehen, Beratung angedeihen zu lassen, sie medizinisch zu untersuchen. Und desgleichen haben wir dann für Männer ein Entzugsprojekt, die werden also durch den Entzug begleitet.“

Darüber hinaus engagiert sich Caritas International auch im afghanischen Hochland, kümmert sich dort um die Infrastruktur, um Ernährungsprojekte. Frage an Patrick Kuebart: Wie kommt die Hilfe da voran? Kann man in dem Zusammenhang schon von ersten Erfolgen sprechen?

„Absolut. Also was wir vor allem mit unseren Infrastruktur-Projekten erreicht haben, ist, dass die Region zugänglich ist, dass wir also selber in das Projekt-Gebiet kommen, wir haben zum Beispiel kleinere Straßen gebaut, wir haben Schulen und Krankenhäuser gebaut, also eine Basis-Struktur errichtet. Und jetzt richten wir uns vor allem auf längerfristige Entwicklung aus. Bewusstseinsänderung im Bereich Ernährung, dass Frauen zum Beispiel verstehen, warum Proteine in der Ernährung für Kleinkinder wichtig sind. Wir wollen Anbautechniken verbessern, dass der Ertrag sich erhöht. Und ich denke, da haben wir schon einiges erzielt und da liegt weiterhin ein großes Potential, um Verbesserungen, die sich dann im alltäglichen Leben bemerkbar machen, zu erzielen.“

Nicht überall in Afghanistan ist allerdings Hilfe von draußen willkommen, nicht nur die Taliban haben etwas gegen Ausländer, auch wenn sie Hilfe bringen.

„Also das hängt sicherlich von der Region ab, in der man in Afghanistan tätig ist. Bei uns im zentralen Hochland, im Hasaradschat sind wir sehr, sehr willkommen. Allgemein konzentriert sich die Hilfe auf Konfliktgebiete; wir sind also in einem Gebiet tätig, wo es weniger Sicherheitsvorfälle gibt, und die Menschen sind sehr dankbar, sie verlangen von uns, dort zu bleiben und unser Engagement auszubauen.“

Bis Ende 2014 werden voraussichtlich die NATO-Truppen abziehen aus Afghanistan. Caritas international allerdings ist zum Bleiben entschlossen.

„Das heißt, wir waren lange vor der Bundeswehr vor Ort, und wir werden auch voraussichtlich lange nach der Bundeswehr dort sein. Direkte Auswirkungen auf unsere Arbeit sehe ich zunächst keine. Es kann natürlich sein, dass sich die Sicherheitslage weiter verschärft, dann wären das indirekte Auswirkungen, aber wir haben keine direkte Berührung mit der Bundeswehr, wir arbeiten nicht mit ihr zusammen, wir sehen sie nicht in unseren Projekten... also hat das für uns direkt erst mal keine Auswirkungen.“

Er sei „nie mit einem unguten Gefühl zur Arbeit gegangen“, sagt Kuebart, sonst hätte er es auch nicht zweieinhalb Jahre vor Ort ausgehalten.

„Also ich hab die Arbeit sehr gerne gemacht, ich war sehr gerne in Afghanistan. Ich hab vor allem natürlich die Feldbesuche, also die Projektbesuche sehr genossen, den direkten Kontakt mit den Menschen. Aber selbst in Kabul hab ich die Arbeit sehr gerne verrichtet. Wir haben ein sehr schönes Team vor Ort gehabt, eine gute Kollegialität. Also von daher bin ich jeden Morgen gerne ins Büro gegangen.“

Am 5. April sind die Präsidentschaftswahlen. Einerseits ist das ein gutes Signal, weil es demokratische Wahlen sind. Andererseits gibt es im Vorfeld viele Anschläge, zum Teil tödlich, auf die Kandidaten, auf ihr Wahlkampf-Team, oder auch den Anschlag auf das Serena-Hotel in Kabul von diesem Donnerstag.

„Ja, der Wahlprozess ist natürlich jetzt etwas schwierig. Die Taliban werden sicherlich versuchen, den Prozess zu delegitimisieren, denn sie haben kein Interesse an einer Regierung, die von der breiten Masse Afghanistans gewählt wurde. Ich denke, es ist einfach für die Afghanen selber ein gutes Zeichen, wenn die Macht friedlich übergeben werden kann im Land. Also wenn ein neuer Präsident gewählt wird und Hamid Karzai seine Präsidentschaft übergeben kann. Das wär das erste Mal in Afghanistan, und ich denke, das kann einfach eine positive Energie erzeugen, die sich dann hoffentlich eben auch längerfristig positiv auswirken wird. Gleichzeitig dürfen wir uns nichts vormachen, das alleine wird die Probleme in Afghanistan nicht beheben.“

Die Caritas arbeitet „natürlich nicht auf der politischen Ebene“, so Kuebart. Darum habe sie mit dem politischen Prozess dort nichts zu tun – jedenfalls nicht direkt.

„Aber natürlich, wenn wir es schaffen, die Menschen zu befähigen, zum Beispiel in der Landwirtschaft genug Ertrag zu erzeugen, dass sie auf ihren Ländern bleiben, dass sie nicht von staatlicher Hilfe abhängig sind, dann tragen wir zur Stabilisierung bei, dann verringern wir Konflikte. Wir haben zum Beispiel auch in der Vergangenheit psycho-soziale Projekte gemacht. Das heißt, mit traumatisierten Menschen gearbeitet, und zumindest somit auf der Familienebene Konflikte verringert. Und das wirkt sich natürlich langfristig auch gesellschaftlich aus, wenn ich viel konfliktfähiger bin, Konflikte positiv bewältigen kann und nicht in Gewalt abrutsche.“

Kuebert verlässt jetzt Afghanistan und tritt eine neue Stelle an: in Heidelberg. Aber er wird dem Land am Hindukusch innerlich verbunden bleiben, sagt er.

„Oftmals lese ich in Foren, im Internet, dass die Menschen das Bild hier haben, die Afghanen wollen sich bekämpfen, sie wollen Krieg. Das ist nicht richtig! Die Afghanen erfahren seit 30, 40 Jahren Krieg, sie wollen es nicht mehr. Sie wollten es wahrscheinlich nie, zumindest nicht die Zivilbevölkerung, die darunter leidet. Sie wollen Frieden, sie wollen ein stabiles Leben, sie wollen, dass ihre Kinder zur Schule gehen können, und dass sie letztendlich irgendwann in Frieden sterben können und nicht im Krieg sterben. Das würde ich mir also wünschen, dass ich irgendwann vielleicht auch selber mal nach Afghanistan zurückkehren kann im Urlaub, um Afghanistan zu bereisen, denn es ist ein wunder-, wunderschönes Land, und ich kann nur jedem auch wünschen und raten, wenn es stabil ist, dort mal hinzugehen.“

(rv/erzbistum freiburg 22.03.2014 sk)







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