Der Einfluss der Religionen auf die Gesellschaft wird weiter wachsen. Davon ist die
frühere FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer überzeugt. Je mehr „die Marktkräfte unser
Leben bestimmen“, desto mehr werde in der Gesellschaft auch danach gefragt, was diese
Mechanismen eigentlich im Zaum hält“. Schwaetzer ist Präses der Synode der Evangelischen
Kirche in Deutschland, kurz EKD. Sie äußerte sich am Montagabend in Kiel bei einer
Veranstaltung zur christlich-jüdischen Woche der Brüderlichkeit. Wörtlich sagte sie:
„Dort, wo Religionen Barmherzigkeit und Orientierung geben können, werden die Menschen
in Europa diese Stimme aufmerksam hören. Diese Rolle gehört zu uns: Barmherzigkeit
zu üben in einer ökonomisierten Welt, Orientierung zu bieten und Orte und Riten bereit
zu halten, die auch jenseits unserer je eigenen Mitgliedschaft tragfähig sind.“
Rabbiner
Jona Pawelczyk-Kissin aus Heidelberg äußerte sich zur immer wieder aufflammenden Debatte
um die Beschneidung von Jungen oder das Schächten. Aus seiner Sicht würden da „gerade
die lebensnotwendigen Traditionen der jüdischen Gemeinschaft nach zweitausendjähriger
Präsenz in Europa nun in Frage gestellt“. Aachens katholischer Bischof Heinrich Mussinghoff
rief dazu auf, sich für ein Europa einzusetzen, „das sich nicht gegen andere abschottet,
wie wir es auf Lampedusa und anderenorts immer wieder erleben“, und für ein Europa,
„das sich seiner Verantwortung für Israel und für eine Lösung des Nahostkonflikts
stellt“.
Hintergrund: Seit 2006 treffen sich Vertreter der
Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland
(ORD) mit Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD einmal
jährlich zu einem ausführlichen Meinungsaustausch. Alle zwei Jahre führen sie gemeinsam
mit dem Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit eine öffentliche Veranstaltung durch.